Es ist wie es ist. Nun hat also auch Österreich seinen Chris Dercon: Bogdan Roščić (52), ehemaliger Popkritiker, Ö3-Programmchef und Musikmanager bei der Decca und Sony Classical, übernimmt ab 2020 die Direktion der Wiener Staatsoper. Er folgt auf den ein wenig blässlichen, vor allem aber kaum Premierenglanz verbreitenden Dominique Meyer, dessen Vertrag nach zehn Jahren ausläuft. Damit ist er übrigens seltsamerweise auch nach Peter Gelb an der Metropolitan Opera der zweite Sony Boss, dem man ein Opernhaus anvertraut. Doch bei Gelb, der nach wie vor viele Schwierigkeiten mit dem Riesentanker hat, war vor allem seine Vertrautheit mit den New Yorker Medien (via seinem Vater) und dem Geldadel ausschlaggebend. Schließlich verbringt er Dreiviertel seiner Zeit mit Sponsorensuche und -pflege.
Roščić freilich hat keinerlei Theatererfahrung, er ist vernetzt mit Dirigenten und Sängern, so wie man es als Labelboss eben ist, wo es vor allem um Geld und Verkaufszahlen geht. Aber auch bei der Sony war er kein Chef der alten Schule, den man regelmäßig in der Oper und in Konzerten gesehen hätte, der sich für Stimmen oder Regietendenzen interessiert hätte. Er hat mit Klassik einfach nur sein Geld verdient. Aber liebt er sie auch? Kürzlich wurde ihm ein jüngerer Dirigent vorgestellt, der sich bei Sony bereits einige Lorbeeren verdient hatte. Roščić kannte ihn nicht.
Er hat Jonas Kaufmann von seinem alten Label mitgenommen, aber der singt auch jetzt schon an der Staatsoper. Er hat Nikolaus Harnoncourt eine neue Heimat gegeben und geerntet, was andere jahrzehntelang aufgebaut hatten. Er hat den schrägen Teodor Currentzis als Mythos von Perm aufgebaut, ohne dass der jetzt etwa für die Staatsoper kompatibel wäre. Dessen Einstand bei den Wiener Philharmonikern, die ja auch das Staatsopernorchester stellen, war ein Fiasko.
Deren nicht unwichtige Zustimmung für Roščić wird sicher auch darauf fußen, dass er ihnen für die nächsten Jahre einen so exklusiven wie lukrativen Sony-Deal für ihre Neujahrskonzerte verschafft und wohlmöglich weitere Medienprojekte versprochen hat. Obwohl auch hier die Staatsoper mit ihren Live-Streams und Übertragungen auf den Vorplatz im internationalen Vergleich schon recht gut aufgestellt ist.
Natürlich wird Roščić vom um einen Coup bemühten neuen österreichischen Kulturminister Thomas Drozda jetzt als der großer Generationswechsel verkauft: „Ich möchte die Gelegenheit nutzen und die Staatsoper als die Leitinstitution unserer Kulturlandschaft ab dem Jahr 2020 neu positionieren und eine Staatsoper 4.0 kreieren.“ Was immer das auch sein soll.
Und Roščić beruft sich bei dieser „wichtigsten Entscheidung, die ich in meinem Leben getroffen habe“, clever auf Gustav Mahler, einen seiner Vorgänger um gleich einzuschränken, die Staatsoper sei heute nicht mehr „einer jener Orte, in denen man sich zentrale Erfahrungen“ für das Leben erwarte. Aha. Dann spricht er von überaltertem Publikum, das man jeden Abend neu ansprechen müsse, und anderen Gemeinplätzen mehr. Das Publikum von morgen brauche auch Antworten auf die Fragen: Was? und Warum? Solche Antworten können „nur gegeben werden durch Erlebnisse von einer anderen Tiefe als sie die Theaterroutine oft zu bieten hat.“
Das mutet seltsam an aus dem Mund von jemandem, der bisher nur Absichtserklärungen zu bieten hat, während etwa Serge Dorny, Intendant in Lyon und wohl Roščićs letzter Konkurrent in der Endrunde, genau diese Dinge an seinem Haus längst erfolgreich durchgezogen hat. Dem Minister war der Name dann aber wohl nicht spektakulär genug.
Der Ex-Tate-Modern-Chef Chris Dercon an der Berliner Volksbühne, die Tanztheater-Choreografin Sasha Waltz beim Staatsballett Berlin und jetzt Bogdan Roščić – eine neue Politikergeneration, zum Teil auch Quereinsteiger, scheint mit solchen überraschenden, Wind machenden, aber auch viel Stirnrunzeln und Proteste innerhalb der Häuser erzeugenden Berufungen vor allem ihr Unbehagen an den Institutionen zu formulieren, deren Inhalte ihnen fremd geblieben sind und die jetzt durch neue, angeblich frische Namen einmal durchgeschüttelt und neu aufgestellt werden sollen. Ein gefährliches Spiel.
Vor allem wenn man dann, wie eben bei Christ Dercon geschehen, nicht wirklich Aufregendes angeboten bekommt. Monatelange Performances auf dem Tempelhofer Feld, Rekonstruktionen von Beckett-Inszenierungen, unentdeckte, greise Poeten als heiße Namen und schon wieder ausgelaugte Newcomer hat er eben als erste Programm-News verkündet, da kann man eigentlich nur gähnen. Keiner wünscht sich Castorfs Volksbühne noch weiter müde vor sich hinkreiselnd, aber innovativ ist das auch nicht eben.
Die Wiener Staatsoper war bisher ein Haus, das sehr hierarchisch geführt ist. Der Direktor verantwortete die Neuinszenierungen, aber eben auch das beispielhaft riesige Repertoire mit seinem komplexen Besetzungspuzzle. Dafür braucht Bogdan Roščić nun geballte Kompetenz in der zweiten Reihe, die sicher kosten wird. Denn er hat sie nicht. So wie bei Nikolaus Bachler in München, der auch kein Sängerexperte ist, sich Wissen von außen zukauft und mit wechselnden Erfolg fast ausschließlich auf Theaterregisseure auf der Opernbühne setzte.
Bei Sony hat Bogdan Roščić vor allem mit Geld Programm gemacht. Mal sehen, wie er, der seltsamerweise sicher auch ordentliche Gehalteinbußen beim neuen Job hinnehmen muss, damit in Wien klar kommen wird.
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