Mag es beim Wiener Neujahrskonzert wieder vorab viel mitzuteilen geben, die erstaunlichste News ist doch diese: In ihrem 175. Jubiläumsjahr zeigen sich die Philharmoniker erstmals im neuen „The Philharmonic Suit“. Den hat niemand anderes als die längst schon extrem auf Kleideretikette achtende Ex-Punk-Queen Vivienne Westwood mit ihrem österreichischen Ehemann Andreas Kronthaler für den Edelklangkörper entworfen – für die Männer wie für die übersichtliche Anzahl an Frauen. Abgestimmt wurde dies mit einem der renommiertesten Herrenmaßanzugschneider der Londoner Savile Row. Das Jackett, ein gekürzter Cutaway, wurde als moderne Interpretation des traditionellen Fracks gestaltet. Kombiniert wird das Jackett traditionell mit schwarz-weiß gestreiften Hosen und einer klassisch doppelreihigen Westwood-Weste.
Für Konzerte untertags tragen die Musiker den Anzug mit Westen in weichem Sandsilber; kombiniert werden sie mit ebensolchen Seidenkrawatten, die mit dem champagnerfarbenem Orchesterlogo bestickt sind. Am Abend tragen die Musiker den Anzug mit Weste und Fliege. Erstmals werden jetzt aber auch die Damen, die sich bisher mit Hosen und Jacketts den Männern anzupassen hatten, einheitliche Kleidung bekommen. Die ursprüngliche Inspiration für die Musikerinnen war das Jackenmodell „Dangerous Liaisons“ aus des Kollektion Anglomania für Herbst/Winter 1993/94 in Anlehnung an den Gehrock des 18. Jahrhunderts. Das kragenlose Jackett wird mit einer schmal geschnittenen Hose und einem drapierten Wickeltop aus sandsilberfarbenem Seidensatin kombiniert. Bei abendlichen Konzerten tragen die Musikerinnen Wickeltops aus schwarzer Seide. Im freilich auf der Philharmoniker-Webseite allzu schamhaft versteckten Werbeclip führen zwei MusikerInnen als Models die neue Dienstkleidung noch ein wenig hüftsteif vor.
Idee und Entscheidung, dass ein klassisches Orchester sich einheitlich von einem Modeschöpfer ausstatten lasst, geht auf eine philharmonische Vollversammlung im Jahr 2009 zurück und konkretisierte sich 2014, als Vivienne Westwood mit Andreas Kronthaler die Ballettkostüme zum Neujahrskonzert entwarf. So einzig, wie die Philharmoniker meinen, ist dieses Alleinstellungsmerkmal nun freilich nicht. Zwar sind jetzt die anderen Traditionsorchester im Zugzwang (insbesondere die doch auch auf visuelle Präsenz in höchstem Maße Wert legenden Berliner Philharmoniker als ewige Konkurrenz), aber die 2006 geadelte Dame Vivienne hat auch bereits kürzlich äußerst kleidsame Blusen für John Eliot Gardiners Monteverdi-Choir-Damen entworfen. Denn da war die Not noch größer als bei den Philharmonikern: Wer mal vergleichend aufgepasst hat, mit was für albernen Schleichern, Tüchern, Netz- und Glitzerhängerchen, Kettchen, Schlitzen und Abnähern die diversen Sangesvereinigungen die unterschiedliche Anatomie ihre weiblichen Vokalkräfte vereinheitlichend kaschieren wollen, der muss dem unbedingt zustimmen.
Aber ob sich die die nunmehr nicht nur edel tönenden, sondern ebenso gekleideten Philharmoniker auf den sicheren Aufschrei lokaler Kleiderschneider wie Knize, Lena Hoschek, Petar Petrov oder Atıl Kutoğlu eingestellt haben? Denn ihre englische Wahl ist ja so, als ob sich früher Königin Elizabeth II. für Fred-Adlmüller-Modelle vom König des Wiener Schick entschieden hätte…
Und dann bleibt natürlich noch die Frage zu klären: Was tragen die notorisch modemuffeligen Dirigenten der Philharmoniker? Seit auch beim Stabführer der Frack mehr und mehr verschwindet, ist da alles möglich: von den Nehrujacketts Christoph Eschenbachs und Semyon Bychkovs über die Chinesenjacken Simon Rattles, die das wachsende Embonpoint nicht wirklich verdecken können, bis hin zu den meist zu engen Glänzeanzügen Yannick Nézet-Séguins oder den total unmöglichen Schlabbershirts (neuerdings in Rot!) des schnell schwitzenden Andris Nelsons. Sie alle mögen sich ein Beispiel nehmen an einem der bestgekleideten Instrumentalsolisten: Jean-Yves Thibaudet. Nachdem der seine Glitzer-Bling-Phase hinter sich gelassen hat, trägt er nämlich nur noch eine: Vivienne Westwood.
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