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Interview: Stéphane Lissner will sich in Paris trauen

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LisnerHeute Abend steigt an der Pariser Opéra de Bastille mit Schönbergs „Moses und Aron“ in der Regie von Romeo Castellucci, dirigiert von Philippe Jordan sowie mit dem 1,5 Tonnen schweren Charolais-Stier Easy Rider, der als Goldenes Kalb auftritt, die erste Opernpremiere der Ära von Stéphane Lissner (62). Der leitete – nicht immer unumstritten – das städtische Pariser Théâtre du Châtelet (1988-97), das Festival in Aix-en-Provence (1998-2006), gleichzeitig das private Pariser Théâtre des Bouffes du Nord. 2005-14 war er Intendant der Mailänder Scala, gleichzeitig bis 2013 Verantwortlicher für das Musikprogramm der Wiener Festwochen. Jetzt will er es in den nächsten sieben Jahren, sein Vertrag läuft weit über die in Frankreich übliche Pensionsgrenze bis 2021, noch einmal wissen. Ich sprach mit ihm in Paris.

Manuel Brug: Schaue ich auf die neuen Pariser Opernspielpläne, dann lese ich Namen wie Warlikowski, Salonen, Tcherniakov, das sieht ein bisschen sehr wie Gerard Mortiers Ästhetik aus…

Stéphane Lissner: (lacht) Ja und nein! Natürlich hatten wir immer einen Geschmack, der ähnlich war, der sich ergänzt hat, das war am Châtelet und in Salzburg, bei der Ruhtriennale und in Aix, in Mailand und in Paris so. Aber ich habe natürlich mit diesen und anderen Namen auch eine Geschichte, die ich nicht verleugnen möchte, da ich ja nach wie vor an sie glaube. Und es finden sich auch einige neue Künstler, beispielsweise Claus Guth, Calixto Bieito oder Romeo Castellucci, die haben noch nie in Paris gearbeitet. Interessant ist freilich, dass Mortier für diese Ästhetik zum Teil sehr heftig kritisiert wurde, jetzt scheint man aber allgemein froh, dass sich auch auf der Bühne der Pariser Oper wieder etwas tut. Gérard hat Prügel für diese Namen bezogen, inzwischen sind sie durchgesetzt.

Brug: Aber besteht da nicht auch die Gefahr, dass man mit diesen Regisseuren an jedem Haus, das modern sein möchte, auch total austauschbar wird?

Lissner: Ich denke, wenn man für sie die richtigen Stücke findet, die an die jeweiligen Häuser passen, sich mit dem Rest des Spielplans verbinden, dann ist es nicht austauschbar, sondern sehr besonders. So wie ich etwa Dmitri Tcherniakov gebeten habe – was er übrigens schon lange machen wollte – Tschaikowskys „Yolantha“ mit einem Inszenierungskonzept für den „Nussknacker“ zu verbinden. Ursprünglich wurden ja beide Werke an einem Abend uraufgeführt, und ich wollte so auch die Verbindung zu unserem Ballett verstärken, das für mich ein integraler Bestandteil der Opéra de Paris ist, der mich wirklich interessiert und den ich nicht nur so geschehen lassen möchte.

Brug: Was Sie ja schon durch ihre Berufung von Benjamin Millepied als Ballettchef bewiesen haben.

Lissner: Genau! Und ein Wunsch von Tcherniakov, den ich ihm erfüllen möchte, war immer schon „Schneeflöckchen“ von Rimski-Korsakow. Und mal sehen, auch „Sadko“ ist sehr schön, Tugan Sokhiev möchte es unbedingt dirigieren….

Brug: Ursprünglich sollte den „Moses“ ja auch mal Patrice Chéreau machen….

Lissner: Das war einer der vielen Träume, die man im Operngeschäft immer wieder auch begraben muss. Natürlich, es sollte etwas Besonderes sein, das den Chor wie den Dirigenten fordert. Und dann starb Patrice. Ich wolle das Projekt schon aufgeben, aber dann rief plötzlich Romeo an, der in dieser ersten Spielzeit Salome machen sollte, was aber terminlich einfach nicht klappe, und sagte, es würde ihn interessieren. So konnte ich ihn doch noch in der ersten Saison mit dabei haben. Und beispielsweise Claus Guth wird in Paris andere Stücke machen als anderswo, kein Strauss und Wagner. Nach dem „Rigoletto“ wird mit ihm „Bohème“ folgen, wir denken nach über „Die Hugenotten“. Ich versuche doch sehr, in Linien und Entwicklungen mit den einzelnen Personen zu denken.

Brug: Ihr Vorgänger hatte mit „Mireille“ von Charles Gounod begonnen, man dachte, es kämen vielleicht ein paar mehr selten gespielte französische Opern. Da war nicht der Fall. Wie werden Sie mit diesem Repertoire verfahren?

Lissner: Ich werde das berücksichtigen. Wir starten diese Saison einen ganzen Berlioz-Zyklus mit der „Damnation“ von Alvis Hermanis. „Béatrice et Bénédict“ gibt es konzertant, dann folgen „Benvenuto Cellini“ und zum 30. Geburtstag der Opéra de Bastille neue „Trojaner“. Und meine zweite Saison werde ich mit „Samson und Dalila“ eröffnen. Anita Rachvelishvli wird die Dalila singen.

Brug: Und haben Sie noch andere französische Identitätsbestrebungen?

Lissner: Ich habe einige Kompositionsaufträge veranlasst, die sich explizit auf Werke der französischen Literatur beziehen. Luca Francesconi wird Balzacs Bösewicht Vautrin in eine Opernfigur verwandeln, Marc-André Dalbavie Claudels „Der seidene Schuh“. Michael Jarrell wird eine „Berenice“ nach Racine komponieren. Das ist eine französische Dramaturgie, die klingt konservativ, zugegeben. Es wird aber auch Projekte mit zeitgenössischen Schriftstellern geben. Die brauchen freilich etwas mehr Vorlauf. Ich möchte, dass sich die Opéra de Paris sowohl mit unserem kulturellen Erbe, als auch mit der Gegenwart beschäftigt. Und natürlich versuche ich auch Michel Houellebecq für eine Oper zu begeistern. Aber da muss man wirklich die richtigen Partner zusammenbringen, jemanden, der ihm gewachsen ist. Und das braucht Zeit und sorgfältiges Abwägen. Es geht mir nicht um die Sensation. Es soll ja etwas Substanzielles herauskommen. Ich arbeite aber dran.

Brug: Nochmals zum Ballett. Warum haben Sie mit Millepied bewusst jemand von außen geholt?

Lissner: Es klingt paradox: Um die Einheit des Hauses zu stärken, Ballett und Oper besser zusammenzubringen. Wir denken ähnlich, er ist Franzose, kennt die Tradition, hat aber auch sehr starke Ideen, wie er sie weiterentwickeln möchte. Und er denkt musikalisch, versucht auch attraktive Partituren sich vorzunehmen, die wiederum Philippe Jordan als Musikdirektor und das Orchester begeistern. So wie wir es jetzt mit dem Boulez-Abend im Dezember versuchen werden. Sie wollen alle! Da ist plötzlich eine sehr starke, unerwartete Aufbruchsstimmung im Haus. Es ist nämlich ein Haus der Musik, in der Oper wie im Tanz, wo Stimmen und Bewegung zusammenkommen. Und natürlich schauen wir auch nach Choreografen, die wir für eine Opernregie fragen können.

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Brug: 1500 Mitarbeiter, 205 Millionen Euro Etat. In Paris kann man offenbar noch aus dem Vollen schöpfen…

Lissner: Vergessen Sie nicht, dass es zwei komplette, sehr große Theater sind, die da bespielt werden. Allein das Ballett hat eine eigene Kostümabteilung mit 50 Personen. Dafür ist es nicht zu viel. Und wir spielen mehr als 75 Millionen Euro wieder ein. Ich versuche aber auch weiterhin, diese Häuser zugänglich zu machen. Beispielsweise, sind jetzt, wie schon Mailand, die Generalproben für junge Leute öffentlich. Und wir haben, zunächst vor allem mit dem Ballett, seit September eine „dritte Bühne“ eingerichtet, einen Videokanal auf unserer Internetseite, wo wir experimentelle Künstlerfilme als interaktive Dialoge produzieren. Das wird zur Gänze von Sponsoren finanziert. Auch so versuchen wir mit der jüngeren Generation zu kommunizieren. Wir haben 900.000 Zuschauer pro Saison und über eine Million Besucher besichtigen das Palais Garnier. Auch mit dem Fernsehen haben wir weiterhin einen Vertrag über sechs Übertragungen pro Spielzeit.

Brug: Aber ist es nicht in Frankreich auch enger mit dem Geld für die Kultur?

Lissner: Im Augenblick ist das noch zu verschmerzen. In den letzten Jahren haben sie hier 2,5 Prozent gekürzt, das sind knapp 2,5 Millionen Euro. Gegenwärtig sind es 700.000 Euro weniger. Alle müssen in Frankreich sparen, also wir auch, das ist normal. Bei uns hat sich das aber jetzt schon in der Balance verändert, wir nehmen für gewöhnlich fast 50 Prozent durch Ticketverkäufe ein, inzwischen sind es 52 Prozent, das spürt man schon, vor allem wenn es fehlt. Aber ich muss sagen, hier ist die Professionalität aller Mitarbeiter sehr hoch, wir werden auch diesem Druck standhalten. Dafür steht auch unser Spielzeitmotto, das nach innen wie außen gleichermaßen gelten soll: „Osez! – Traut euch!“

„Moses und Aron“ wird am 23. Oktober auf Arte gezeigt

 

 

Der Beitrag Interview: Stéphane Lissner will sich in Paris trauen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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