Es geht los, wieder einmal. Keine Ahnung, meine 15 (?) Reise nach Japan. Mit diversen Orchestern war ich dort, mit Opernhäusern, dem Berliner Staatsballett, bei Seiji Ozawas Saito Kinen Festival, auf Einladung der Stadt Tokio, um die heimischen Orchester zu beurteilen. Nie nur als Tourist. Japan, das ist für einen Musikjournalisten immer irgendwie Arbeit, aber eine angenehme, meist stressfreie.
Besonders entspannt ist es diesmal mit dem Deutschen Symphonie Orchester Berlin. Erst nach Korea, dann nach Japan, vierzehn Tage, acht Konzerte. Man reist in zwei Gruppen, die über München ist schon weg. Die zweite, jüngere, weniger betreuungsaufwändige, etwa 40 Leute starke, trifft sich jetzt in Tegel. Alle sind pünktlich, die Reiseleitung kann aufatmen. Via Frankfurt fliegen wir fast zehn Stunden nach Seoul und fahren dann noch einmal sechs Stunden im Bus nach Ulsan, der ersten Tourstation. Der Zeitunterschied: 7 Stunden plus.
Die vom Orchester, das sind die in den Trainingshosen, den Kapuzenjacken, mit den Schals zum geistigen und stofflichen Wegtauchen, sich Abschotten, in der engen, zugigen Kabine – und mit den Schuhen, aus denen man auch mit geschwollenen Füßen schnell raus- und reinkommt. Man ist lange Reisen gewohnt, weiß, das es zunächst einmal nicht auf Schönheit, sondern auf Bequemlichkeit ankommt.
Es ist die dritte und letzte große internationale Tournee mit dem Ende der Saison nach nur vier Jahre schon wieder scheidenden Chefdirigenten Tugan Sokhiev. Der vielgefragte Osete ist inzwischen Musikchef des Moskauer Bolschoi Theaters, das ist für ihn eine nationale und patriotische Verpflichtung. Doch man hat eine schöne, fruchtvolle Zeit gehabt. Der Orchesterklang hat sich gerundet, ist satter geworden. Das will man jetzt in Asien vorführen und genießen. Der Chef freilich fliegt separat via Paris ein. Aber mit DSO-Tasche, Coporate Identity verpflichtet.
Kopfhörer auf, ein erstes Schläfchen, sich Bekreuzigen, Witze machen, im Duty-Free-Magazin lesen, was man nicht braucht, jeder hat so seine Methode und seine Rituale, sich auf Reisetemperatur zu bringen. Gewohnt routiniert wird überlegt, was die letzte so lange und so weite Tour war, Brasilien oder doch schon wieder mal Asien? In den USA war das DSO schon lange nicht mehr, zu teuer und deshalb kaum zu finanzieren, zu wenig Interesse.
Zum Glück ist in Asien, in Japan, China, Korea, Honkong, Singapur, Taiwan, der Enthusiasmus für westliche Orchester ungebrochen, und deshalb gibt es gleich vier neue Gastierorte, wo man noch nie war und ein erst zum zweiten mal bereistes Tourland – Korea. Unter Vladimir Ashkenazy war man schon mal in Seoul – via St. Petersburg und Moskau. Lang ist’s her, 23 Jahre. Die wievielte Fernost-Reise des DSO ist das eigentlich?
Gestern war noch Konzert, das zweite, man hat die beiden Tourneeprogramme gespielt. Freilich mit anderen Solisten und ein wenig angeraut für Berlin, damit es nicht ganz so gängig wirkt , nur mit Mendelssohn, Beethoven, Brahms, Das nämlich erwartet der asiatische Hörer immer noch von einem deutschen Klangkörper. Die Berliner Kritiken, immerhin sechs gab es in den Zeitungen und im Radio aber haben das trotz Hartmann- und Messiaen-Zusatzstücken meistenteils durchschaut, und sie waren auch nicht überenthusiastisch.
„Vor einer großen Tournee am anderen Ende der Welt muss man mit den Kräften haushalten“, wurde da tantenhaft beschwichtigend geschrieben. „Zwar sollte alles sitzen, jeder Handgriff vertraut, alle zu erwartenden Schwierigkeiten ins gemeinsame Bewusstsein gerückt sein. Doch zugleich will die emotionale Seite noch geschont werden, darf nicht schon jetzt entflammen, was auf den kommenden Konzerten in Südkorea und Japan glühen soll.“ Es ist also noch Tour-Luft nach oben.
Musiker wie Orchesterleitung sehen das gelassen. Se kennen ihren Wert, wissen, wie sie ihre Kräfte einteilen. Vor zwei Wochen wurde mit Robin Ticciati, einem 32-jährigen Engländer, der nächste, ab 2017 amtierende Chefdirigent vorgestellt und enthusiastisch von den Mitgliedern wie den Medien begrüßt. Man hat also schnell sehr guten Chefersatz gefunden, was für Berlin und das Deutsche Symphonie-Orchester spricht. Auch die leidige, immer wieder aufflammende Diskussion über die Zukunft der Berliner Rundfunkorchester ist damit vorerst vom Tisch, denn auch das Rundfunk Sinfonieorchester Berlin kann mit Vladimir Jurowski ab 2017 einen attraktiven Dirigenten als Nachfolger von Marek Janowski anbieten.
Im Flugzeug ist es ruhig, eine Bratscherin sorgt sich tragisch-komisch, ob sie ihr Instrument am Abend zuvor auch wirklich in der Transportkiste verstaut hat. Man ist gut versorgt mit letzten Grüßen aus der Heimat, Baumkuchenspitzen, „Gala“, „Bunte“, um vorfreudig und dann besonders rückhaltlos sich auf Fernost einzulassen, auf Supermärkte und Garküchen. Routine mit Neugierfaktor, auch wenn man Japan kennt, es ist eben immer wieder ein Aufbruch. Man redet chinesisch englisch, polnisch, nur das Wort „Steuererklärung“ erklingt auf Deutsch.
In Frankfurt, wo im Transitbereich immer noch das Oktoberfest gefeiert und kommerziell ausgeschlachtet wird, gibt es einen letzten Kaffee. Am Soul-Gate gehen die Musiker zwischen asiatischen Massen unter, überragen sie höchstens teilweise. Der danebenliegende „German Handcraft Shop“ macht vor allem mit Keramikbierhumpen ein gutes Geschäft.
Der Flug ist ohne besondere Vorkommnisse, man schläft oder hängt ab zwischen „Mad Max“, „Jurassic World“ oder „Hangover 3“ auf dem Kinobildschirm. Am Flughafen ist alles gesichtslos und effektiv, das erste erblickte Gebäude nach der Landung hat ein dickes DHL-Logo. Man wartet brav in Schlangen, tritt vor der Passkontrolle auf aufgeklebte Fußspuren und kann sich während des Fotografierens und Fingerabdrücke-Nehmens an Hotelwerbung erfreuen. Auch im Bus wird gleich wieder gedöst und an Chickenwarps gemümmelt. Noch schmeckt alles sehr international, obwohl es im Flieger zu den Hühnerbrüsten schon zusätzlich Sojasauce in einem Plastikfisch, Pfefferwürzpaste und Chilikohlblätter gab.
Draußen zieht zwischen Wasser und herbstbuntem Wald ein weitgehend menschenleeres Land vorbei, anfangs viel Neugebautes, Betonwohnriegel und –kisten mit Balkonschubladen, eine Open-Air-Rockarena. Gemüse ist unter Plastikfolien weggepackt, Heu in Folienrollen eingewickelt, auf den Feldern ziehen sich Stoffschutzzäune dahin. Später wird es moorig und heideartig, die Bebauung wirkt jetzt kleinteiliger. Privathäuser ducken sich wie Märchenlebkuchenhäuschen mit spitzen Dächern neben Kirchlein mit großen Kreuzen.
Im Hotel Lotte Ulsan, angeblich liebt der Besitzer Thomas Mann, entschwinden alle auf die Zimmer, Essen, üben (ich wohne neben der Flöte), ein letztes Bier auf der freitagabendlich belebten Freßstraße, ab ins Bett! Herzlich willkommen, Korea! 환영합니다 한국
Morgen mehr!
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