Kann man das neue, das Monteverdi-Jahr (450. Tauftag am 15. Mai) schöner und edler feiern als es der Potsdamer Nicolaisaal vermochte? Dort hat Christina Pluhar, die rothaarige, längst französisierte Lauten-Domina aus der Steiermark, nicht nur den 15. Geburtstag ihres inzwischen 17 Jahre alten Ensembles L’Arpeggiata nachgeholt. Der nämlich war als rauschendes Musikfest mit Tanz und Jazz-Saitensprüngen 2015 den Pariser Charlie-Hebdo-Attentaten zum Opfer gefallen. Tags zuvor schon war sie zudem von der Saal-Prinzipalin Andrea Palent, die sie bereits ganz früh entdeckt hatte, eingeladen worden, in fast schon intimem Rahmen mit „L’Orfeo“ auf Claudio den Großen anzustoßen. Und das wurde ebenfalls ein swingende, aber auch höllisch innerliche Party zwischen Barock-Hochzeit und Brautsuche in der Unterwelt, bis dann am Ende Apollo – nicht wirklich sagenrichtig – alles zum glücklich humanistischen Finale bringt.
Einmal mehr konnte man sich an dieser hinreißenden Partitur erfreuen, die der jungen Gattung Oper am 24. Februar 1607 im Herzogsplast zu Mantua gleich einen ersten, noch heute hörenswerten Höhepunkt beschied. Die Pluhar dirigiert sie 410 Jahre später mit viel Drive, Posaunen und Trompeten dürfen selbst bei der berühmten Intrata erst später einsetzen, aber auch mit anrührender Innerlichkeit. Gleich zwei superbe Haute-Contres haben sich diesmal extra eine Oktave tiefergelegt. Ciril Auvity singt seiner allerersten Orfeo mit Kraft, Leidenschaft und sublimer Messa di Voce, Matthias Vidal ist ein würdevoll göttlicher Apoll. Bei ihm versteht man auch schnell die hemdsärmelige Kostümdramaturgie des herrlichen, semiszenischen, keinerlei Kulissen vermissen lassenden Abends: als Hirte trägt er ein rotes Shirt, als Hades-Geist ein schwarzes, als Olympier ein weißes unterm Jackett. Auch Nuria Real, allerliebst als La Musica wie Euridice, bekommt aus berufen weiblichem Mund gleich ein Kostümetikett verpasst: Vorhangstoff vom Gästeklo. Der gönnerische männliche Blick hätte, vor allem neben dem stoffreichen Dirigentinnen-Outfit, eher auf Defilee der Hausmäntelchen getippt.
Hier wurden eben nicht nur die Ohren überreich beschenkt, sondern auch das Auge hatte zu tun, etwa bei der so schönen wie herbstimmigen Luciana Mancini als bestürzender Messagiera. Mit edelschwarzem Bass deklamiert João Fernandes ungemein wendig den Fährmann Caronte, Dingle Yandell ist ein ebenso dunkelstimmiger Plutone. Céline Scheen als Proserpina, Benedetta Mazzucato als Speranza, der tänzerisch diesmal unterforderte Vincenzo Capezzuto als mit Rose im Knopfloch counterfrohlockender Hirte – alles schick. Und aufgenommen werden soll diese Kostbarkeit im Laufe das Jahres auch noch. Das darf nun ruhig im Namen Monteverdis anheben.
Als nächstes kommt Rolando Villazón in Paris als Ulisse mit Emanuelle Haïm Ende Februar an den Start, während man im März in Lyon die fast schon historische Aixer „Poppea“ des längst toten Klaus Michael Grüber reaktiviert. Und John Eliot Gardiner beglückt ab Juni von Venedig aus sämtliche wichtigen Festivals flächendeckend mit seiner Monteverdi-Opern-Trias – von Salzburg über Berlin, Luzern bis Edinburgh. Aber natürlich haben auch die Potsdamer Musikfestspiele noch ein Ass im Köcher: Unter dem Festival-Motto der Elementargewalten Erde, Feuer, Wasser und Luft wird William Kentridges legendäre „Ulisse“-Inszenierung für die südafrikanische Handspring Puppet Company, die seit 1998 um den Globus tourt, am 10. und 12. Juni reaktiviert.
Übrigens: Am 11. wird das Programm für die Musikfestspiele Potsdam 2017 komplett vorgestellt.
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