Früher hieß es immer: die gute alte Tante „Zeit“. Abwarten, Tee trinken und dann donnerstags die Welt erklären. So ist es im Prinzip immer noch, aber inzwischen gibt es Internet, iPhone und Apps. In der Zeit-App erscheint bereits mittwochs um 18 Uhr der Inhalt der nächsten Donnerstagsausgabe. So auch am 11. Januar, dem Inaugurationstag der Hamburger Elbphilharmonie. „Jetzt, da ihr Herzstück, der Konzertsaal, endlich eröffnet worden ist, mit Musik von Britten bis Beethoven, von Michael Prätorius bis Bernd Alois Zimmermann, mit Festakt und Reden und unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen, mit Angela Merkel im Publikum und Fatih Akin und Olaf Scholz und Hannelore Hoger und Florentino Pérez, dem Präsidenten von Real Madrid…“ war da also in der aktualisierten App (und am nächsten Morgen im Print) zu lesen.
Um 18 Uhr war aber noch nix eröffnet, da standen alle im Foyer und Frau Merkel stand im Schneesturmstau. Da hat jemand einfach ein bisschen geflunkert und verschleiert, dass er höchstens die Generalprobe besucht haben kann. Und das auch noch unberechtigterweise, denn trotz Intervention von höchster „Zeit“-Stelle hatte die Elbphilharmonie-Intendanz solches für Journalisten nicht gestattet. Der Klang, das sollte das bis zuletzt gehütete Geheimnis bleiben. Was aber ficht das die sonst so auf Akkuratesse bestehende Wochenzeitung an? Schließlich musste man mit dem Wettbewerbsnachteil fertig werden, erst wieder sieben Tage nach Eröffnung zu erscheinen. Geht als Hamburger Platzhindin natürlich gar nicht. Noch dazu, wo die perfekt PR-gesteuerte Vorfreude über das neue „Weltwunder“ bereits von Blankenese bis Duvenstedt und von Altengamme bis Fischbek die Hysteriegrenze überschritten hatte. Da musste man einfach handeln.
Der „Spiegel“ hatte ja früher das gleiche Problem. Theater- und Opernpremieren am Wochenende waren nicht mehr im Magazin mitzukriegen. Es sei denn, man ging in die Generalprobe. Was man oft tat, mit Erlaubnis der Theater, und mit der Erläuterung, dass man nur die Voraufführung gesehen habe. Die Kritik lag dann am Montag am Kiosk. Das wäre in Zeiten von Apps und vorgezogener Erscheinungsweise in Metropolen schon schwieriger zu steuern. Aber das Problem hat sich ja von selbst erledigt: Der gedruckte „Spiegel“ schreibt schon lange nicht mehr über Theater und Oper. Die „Zeit“ bisweilen schon.
Und so wusste man jetzt dort auch aus dem für klangbewertende Journalisten bis zuletzt streng verbotenen Großen Saal noch vor der Eröffnung: „Die Akustik … hat etwas Sturm-und-Drang-Haftes: Sie ist wach, schnell, höchst temperamentvoll und gelegentlich von einem Übermut, einer schäumenden Übermotivation, die ins Nervöse, vegetativ Flackernde zielt. Ist das Orchester groß besetzt (bei Strauss oder auch bei Olivier Messiaens Turangalîla-Sinfonie, deren Swing den ersten Teil des Eröffnungsprogramms beschloss, mit erstaunlich kurzem Nachhall im letzten Crescendo), können einem in den hohen Frequenzen schon mal heftig die Ohren klingeln.“
Da klingeln uns aber auch die Ohren. Man war offenbar, ob offiziell oder nicht, es wird vornehm schwebend umnebelt, sogar mehrfach zum Musikhören hinter den verbotenen Türen: „Irritierend bleibt – ob nun an der Rosenkavalier-Suite gewerkelt wird oder, Mitte Dezember, an Bachs Weihnachtsoratorium – ,dass man im großen Saal grundsätzlich etwas anderes sieht, als man hört.“ Sind das nun echte Eindrücke oder wohlmöglich nur aufgeschnappte? Es wird nicht klar. Trotzdem werden, zweieinhalb Stunden bevor das streng geheime, dreistündige Festprogramm überhaupt beginnt, schon säuerlich Noten (wohl aus er strikt limitierten Generalprobe vom Montagabend) darüber verteilt, denn es stolpere „ein wenig über seine flinken Füße, wenn es vor der Pause Britten, Dutilleux, Cavalieri, Zimmermann, Prätorius, Liebermann, Caccini, Messiaen nahtlos, atemlos aneinanderreiht und nach der Pause Wagner, Rihm, Beethoven (die Neunte!) ebenso.“
Aha. Zukunftsschau und Undercover-Recherche gleichzeitig im „Zeit“-Feuilleton! Wir sind echt beeindruckt. Aber journalistische Korrektheit und Ehrlichkeit gegenüber dem Leser – gerade in diesen Zeiten – wäre einfach noch besser gewesen. Ganz zu schweigen davon, was losgewesen wäre, hätte sich ein politischer Journalist solches zu Schulden kommen lassen. Aber ist ja nur Feuilleton. Und da sind Sperrfristen und Verbote seit jeher nur so viel wert wie das Butterbrotpapier von gestern. Denn die geschädigten Institutionen (die bisweilen immer wieder auch selbst Ausnahmen zulassen, in diesem Fall aber offenbar nicht!) knirschen zwar mit den Zähnen, sie ziehen freilich keinerlei Konsequenzen…
Der Beitrag Exklusiv: Für die „Zeit“ eröffnete die Elbphilharmonie schon früher erschien zuerst auf Brugs Klassiker.