Mitten in der Fressstraße von Ulsan steht das neonbunte Eco Motel. Das tut nur so unschuldig, ist aber ein Puff mit Themenzimmern à la Dior oder James Bond. Miss Kitty fehlt, dafür stehen „Titanic“, „Vom Winde verweht“ und ein flotter Vierer mit zwei Doppelbetten zur Auswahl. Gibt es, wie das Plastikessen in Japan, übrigens auch von außen als Display. Links und rechts davon aber sitzt die feierabendfreudige koreanische Jugend, vorzugsweise mit Nerdbrille, und schlägt sich aus Feuer- und andere Töpfen den Bauch voll, mit Schnecken, Oktopussen, Muscheln, Spinnenkrabben und weitem fiesen, schwer nach Mutprobe aussehendem Meeresgetier, das man sich vorher aus Aquarien ausgesucht hat. Supergut und superbillig.
Tagsüber ist Ulsan, knapp eine Million Einwohner, zehntgrößte Stadt Koreas, aber die mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen und Hauptquartier von Hyundai Heavy Industries, wo die größten Containerschiffe der Welt gebaut werden, eine ganz normale asiatisch-aufstrebend-arbeitssame Metropole: ein wenig gesichtslos, uniform, austauschbar modern. Aber am Taehwagang River haben die Orchesterjogger bereits einen herrlichen, natürlich künstlich angelegten Laufpfad durch weißblühende Schilffelder entdeckt (die Stadt ist vergleichsweise öko-friendly ausgerichtet), das japanische Meer ist nah, und am Islan Beach kann man wunderbar Korean Barbecue essen; außerdem lockt der Daewangam Pine Forest auf der vorgelagerten Drachenhalbinsel mit netten Fußwegen, drei historischen Leuchttürmen, einer brülllauten Stranddisco und herrlichen Klippen, die aussehnen wie auf Rügen, nur mit asiatischen Zedern dazwischen.
Und mit Koreanern, die sich für ihren Samstagsausflug ausstaffiert haben mit perfekten Trecking- und Outdoor-Outfits. Die Jack-Wolfskinisierung vom Feinsten tut hier offenbar flächendeckend ihre Wirkung, sogar Handschuhe, Mützen und Schutzbrillen – als gehe es direkt ins Ozonloch – sind bei von sanftem Wind umspielten 24 Grad keine Seltenheit. Vorher schon eine Beobachtung im Kaufhaus: Der koreanisch elegante Mann von Welt trägt die Krawatte offenbar gern mit Glitzerstein, völlig tuntenfrei und mit konservativstem Streifenmuster. Aber dann doch nicht im Konzert. Dort sieht man auch keine Hunde, mit den wunderbare Engelunterhosen, Fliegen und nachhaltigen Spielsachen, wie sie das Kläfferparadies „Hot Dog“, gleich neben dem Hotel, bereithält.
Das DSO-Konzert findet als Geburtstagsereignis zum 20. Jubiläum des monumentalen, aber nicht unhäßlichen Ulsan Culture & Arts Center statt. Internationale Orchester hört man darin selten, aber immer öfter. Hauptattraktion ist freilich diesmal nicht das Deutsche Symphonie-Orchester, obwohl es am Ende frenetisch bejubelt, ja sogar mit Standing Ovations bedacht wird, sondern der in seiner Heimat Korea enorm populäre Pianist Kun-Woo Paik. Der lebt zwar in Paris, wurde Ende der Neunziger mit lebendigen CD-Aufnahmen des Fauré-Klavierwerks und Rachmaninow-Solorepertoires (er gibt das G-Dur-Prélude Op. 32 Nr. 5 zu) auch international bekannt, aber kommt immer wieder gern mit internationalen Orchestern nach Hause. For Decca-Korea durfte er sogar sämtliche Beethoven-Sonaten aufnehmen.
Mürrisch spielt sich Paik jetzt in der Probe in Trainingshosen durch Beethovens 3. Klavierkonzert, führt es aber anschließend in Frack und weißem Rollkragenpullover (kennt das DSO noch von seinem ehemaligen Chef Vladimir Ashkenazy) mit rhythmisch straffem Zugriff und gehärtetem Anschlag eigenwillig akkurat vor. Damit hatte er sich dann bereits seines Tourneeanteils entledigt. Paiks Frau, eine einst berühmte koreanische Filmactrice, wartete schon mit der Thermoskanne in der Garderobe.
Und das Orchester glänzt im ersten von zwei reinen Beethoven-Programmen mit der zuletzt im Sommer unter dem Vordach des Verdrussflughafens Berlin-Brandenburg gespielten Egmont-Ouvertüre mit schönem, vollem Ton und rasanter Schlusssteigerung. Tugan Sokhiev, in der Probe noch sehr penibel, macht nicht viel, das aber präzise. Klavierkonzert wie Eroica-Sinfonie kommen so angenehm unaufgeregt, ohne zu harte Lautstärkekontraste aber mit dynamisch-dramatischen Spannungskurven in der strukturklaren Akustik der harmonischen 1500-Plätze-Mehrzweckhalle rüber. Auch dem hurtig schreitenden Trauermarsch fehlt jede Larmoyanz.
Obwohl normalerweise noch ein Tag Akklimatisierungsfreizeit wäre, sind alle wach, auch die Backstage in einem lustigen Lüsterraum auf Kundschaft wartende Reiseärztin Dr. Lisa Liccini ist vorläufig noch arbeitslos. Asien hat gut begonnen. Das sehr ruhige, sehr junge, sehr weibliche Publikum, zwischen Fein und Casual wohlabgewogen gekleidet, wo selbst die Kinder aufmerksam den Klängen aus dem fernen Land lauschen, stellt sich hinterher brav in Schlangen an: um sich vor dem Triptychon-artigen DSO-Werbebanner samt koreanischem Tastenhelden in der Halle fotografieren zu lassen.
Morgen mehr!
Der Beitrag DSO in Fernost: Asientournee II erschien zuerst auf Brugs Klassiker.