Laut Elīna Garanča sind ihre bisherigen sechs Soloalben „Bekenntnisse“: „Aria Cantilena“ als Aufwachen einer Stimme; „Bel Canto“ als Voranschreiten; „Habanera“ als vokalen Reaktion auf ein Teilzeitleben in Spanien mit ihrem von dort stammen Mann; „Romantique“ als Antwort auf die erste Schwangerschaft, „Meditation“ als Reflektion über die Geburt der zweiten Tochter und die Erkrankung der Mutter. Im Herbst folgte die neue CD, „Revive“, das meint ein Wiederaufstehen starker Frauen nach einem schwachen Moment. So wie sich die echte Elīna Garanča nach dem Tod ihre Mutter im vorletzten Jahr und einer kurzen Karrierepause zurück aufs Opernkarussell schwingen musste. Die in Riga Geborene, die kürzlich 40 geworden ist, steht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. 10 bis 15 Jahre gibt sie sich die Perfektionistin noch, die will sie jetzt mit einem Wechsel der Fachrichtung weitergehen. Von den Mozart- und Strauss-Hosenrollen, verabschiedet sie sich gerade, ebenso von ihrer eigenwillig souveränen Carmen.
Auf der CD locken Santuzza, Eboli, Dalila als Versprechen, die Berlioz-Dido, die Marina in Mussorgskys „Boris Godunow“. Anderes, Mignon und Massents Herodiade, werden wohl ein Traum bleiben, Verdis Preziosilla, die Laura aus „La Gioconda“, ganz Seltenes wie Ausschnitte aus Leoncavallos „Bohème“-Variante und Saint-Saens’ „Henry VIII“ sind Studioutopie. Und fast wie ein ironischer Kommentar wirkt Garančas „Adriana Lecouvreur“-Arie, mit der auch die gerne vom Betrieb als angebliche Rivalin inszenierte Anna Netrebko ihre jüngste CD eröffnet hat. Doch diese Mezzo-Scheibe ist weit stimmungsraffinierter, intelligenter in der Auswahl und subtiler gesungen.
Die Santuzza hat Elīna Garanča inzwischen auch so anrührend wie erfolgreich auf der Bühne der Pariser Opéra Bastille absolviert. Jetzt gab es in der fast vollen Berliner Philharmonie den ersten Tourneeabend zur CD. Am Pult der achtbaren Staatphilharmonie Rheinland-Pfalz natürlich ihr nussknackerhaft grinsender Gatte Karel Marc Chichon, während die CD vom Orquestra de la Comunitat Valenciana unter Roberto Abbado begleitet wurde. Und so sehr das Paar maskenhaft lächelte, wirklich Stimmung mochte im mit vielen Russen, mit Raubtierbluse, Reptilienprint und so manchen bleichen Jüngling mit Chinchillakragen durchsetzen Publikum nicht aufkommen. Elīna Garanča, so gut sie als Schauspielerin auf der Bühne ist, tut sich mit der direkten Kommunikation im Saal schwer.
Dabei hatte der Star sich so fein gemacht: Mit einem schwarzen, trägerfreien Seidenkleid, auf das weiße Päonien bis zum Ausschnitt hoch appliziert waren, dazu ein raffinierte Stolajacke in Weiß, die Haar elegant zurückgesteckt, damit die tropfenförmigen Perlenohringe besser zu Geltung kommen. Die Grace Kelly der Oper. Etwas hausbackener hingegen das feuerwehrrote Spitzenkleid mit schwarzer Tüllrose am Gürtel zu großen Glitzerkaskaden am Ohr für den zweiten, italienisch-spanisch geprägten Teil.
Gesungen hat Elīna Garanča nicht viel, höchstens 15 Minuten pro Hälfte: melancholisch nachdenklich die Arie der Johanna aus Tschaikowskys „Jungfrau von Orléans“, mit schön schwingenden Bögen Dalilas „Amour, viens aider ma faiblesse“. Vor und nach der Pause erst der furiose Ausbruch „O vagabonda stella“ der Princesse de Bouillon, dann das Credo der Titelheldin „Io son l’umile ancella“ aus „Adriana Lecouvreur“ – als reizvolles Spiel mit den Mezzo- wie Sopranschattierungen im Verismofach. Wobei man ihr nie abnimmt, dass sie irgendwem „niedrige Magd“ wäre. Dann von innen heraus furios funkelnd Santuzzas „Voi lo sapete“ Schließlich drei neapolitanische Canzonen, sonst eigentlich eher Männerrepertoire, generös, aber von eisiger Sonne beschienen.
Zwei Zugaben nur, eine Zarzuela-Arie, sogar mit gurrender Koloratur in der Drehung, und „Granada“. Blumen und Schluss. Diese Sängerin hat gegenwärtig alles, berührt mit der Stimme, hat sich völlig losgelöst von Technik und anderen Hindernissen. Und doch dringt ihr Gesang, so schön und strahlend, aber ohne die Kraft einer Bühnengeschichte und eines kostümierten Charakters nicht zum Herzen. Er bleibt seltsam artifiziell und ausgestellt. Merkwürdig.
Elīna Garanča: Revive (Deutsche Grammophon)
Tour: 3. Februar Baden-Baden, 5. München, 8. Frankfurt Alte Oper, 14. Düsseldorf, 17. Wien, 19. Graz, 21. Köln, 23. Mannheim
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