Eine Perle, weich schimmernd und milchig zart, ist an sich schon ein besonderes Phänomen. Zum Rarissimum wird sie, wenn es sich um ein schwarzes Exemplar handelt. Eine solche schwarze Perle ist die am 10. Februar 1927 in Laurel/Mississippi geborene Sopranistin Leontyne Price. Keine amerikanische Opernsängerin wird so kultisch verehrt. Keine verband so stark Können mit hoheitsvoller Ausstrahlung, wurde so sehr mit zwei Rollen identifiziert, in denen sie mindestens Met-Geschichte gemacht hat und die ihr wie auf den Leib geschrieben schienen: die der Ptolemäerkönigin in Samuel Barbers glanzvollem Misserfolg „Anthony and Cleopatra“, 1966 als glamouröse, unter dem Gewicht der Zeffirelli-Barockdekors schwer tragende Eröffnungspremiere der neuen Metropolitan Opera im New Yorker Lincoln Center vor genau 50 Jahren – und natürlich die der nubische Königstochter Aida.
Letzte, die sie ebenfalls in dieser besonders brillant besetzten Met-Spielzeit sang, ist eine Partie, in der Price schlicht und einfach konkurrenzlos war. Keine konnte die Piani so fluten lassen, ähnlich sehnsuchtsvoll die geliebten Wälder und Täler der Heimat besingen. Und die Aida wie die Cleopatra sind jetzt kostbarer Teil einer CD-Box-mit zehn Live-Mitschnitten von damals (Warner Classics). Man erlebt hier die Price, die im Studio gern auch vokal ein wenig statuarisch sein konnte, in der Glut und Direktheit einer Liveaufführung, temperamentvoll, leidenschaftlich und mit diesem eigenwillig rauchigem Timbre, aus dem heraus die sicher gesetzten Spitzentöne wie LED-Leuchtraketen abschossen. Und dabei immer von einer lockenden Weiblichkeit umschwungen wurden.
Debütiert hatte Leontyne Price in New York an der alten Met freilich schon 1961 als Leonora im „Troubadour“ an der Seite des ebenfalls hier neuen Franco Corelli: 42 Minuten Applaus und ein goldener Eintrag in die Met-Annalen waren die Folge. Verdi und Gospel, in der samtweichen, legatoweit ausschwingenden Stimme von Leontyne Price schien das kein Widerspruch, sondern Erfüllung. Eine Verschmelzung scheinbar divergierender Kulturen, Morbidezza und Italianità, gepaart mit Südstaaten-Soul; im immer noch rassistisch determinierten Kunstklima Amerikas der Fünfziger- und Sechzigerjahre eines so explosive wie exorbitante Mischung. Die bis heute nichts von ihrer Provokation und Einzigartigkeit verloren hat.
Eine eindeutig schwarze Stimme, die europäischen Ziergesang veredelt, das war unerhört. Dabei hatte die so begabte wie ehrgeizige, unter großen familiären Opfern an der Juilliard School ausgebildete Leontyne Price, deren Vater Zimmermann und die Mutter Hebamme waren, schon vorher die Massen betört – freilich im angestammten „Fach“, als sinnlich-sirrende Protagonistin in George Gershwins damals noch als „Negeroper“ kategorisiertem revolutionärem Musiktheater „Porgy and Bess“, mit dem sie ab 1952 international tourte – auch in Berlin. Dort lernte sie auch ihren, den Porgy singenden künftigen Mann William Warfield kennen; gemeinsam haben sie auch Highlights der Oper eingespielt. Die 1952 geschlossene Ehe wurde 1973 geschieden; längst freilich schon hatte Leontyne Price nur noch für ihre Kunst gelebt. Und tut das bis heute, in New York, Greenwich Village.
Groß und statuarisch, würdevoll und stolz, gern mit Turban und in Signalfarben, stilisierte und inszenierte sich Leontyne Price schon lange vor Jessye Norman als Black Queen of Opera. Dabei hatte sie an sich selbst gezweifelt, es später kaum fassen können, was für eine Tür sie mit ihrer Kunst und ihrem Dasein schwarzen Sängern aufgestoßen hatte. Zwar war bereits am 7. Januar 1955 mit Marian Anderson als Ulrica in Verdis „Un ballo in maschera“ in der alten Metropolitan Opera erstmals ein afroamerikanische Sängerin also Solistin aufgetreten, aber deren Karriere war damals schon im Spätherbst angelangt. Die von Leontyne Prince, deren Eltern sie 14-jährig eigens mit nach Jackson genommen hatten, um Marian Anderson singen zu hören, hatte freilich erst begonnen. Sie selbst konnte sich allerdings zunächst nur als Konzertsängerin sehen, da die Oper in den USA ihrer Hautfarbe weiterhin ziemlich verschlossen schien. Und so gehörte zu ihren frühen Erfolgen etwa 1953 die Uraufführung von Samuel Barbers (der seither mit ihr eng befreundet war) zehnteiligem Liedzyklus „Hermit Songs“.
An der liberalen San Francisco Opera sang Leontyne Price dann 1957 doch erstmals eine größere Rolle – aber „nur“ die Madame Lidonie in einem eher exotischen Werk, den eben uraufgeführten „Dialoge der Karmeliterinnen“ von Poulenc. Allerdings folgten dann gleich Donna Elvira, Leonora und Aida. In Chicago sang sie Liu und Madame Butterfly, in Wien unter Karajan und in London unter Kubelik, sowie in Verona und Mailand wieder Aida. 1958 sang sie an der Wiener Staatsoper Pamina, am selben Abend debütierte dort übrigens eine 19-jährge Berlinerin als Königin der Nacht – Anja Silja.
Nun musste die Met einfach handeln. Und nahm sie in ihr Ensemble auf, wo sie dann nach der Leonora in Folge schnell als Liù, Donn Anna und Butterfly debütierte. Bis Mitte der Sechziger war sie an der Metropolitan Opera zu einem unumschränkten Star aufgestiegen, der erste ihrer Hautfarbe, mit der gleichen Gage wie Maria Callas, Renata Tebaldi oder Joan Sutherland. Die Price war schließlich „zu Hause“ angekommen, wie sie nie müde wurde zu betonen. Und hatte immer noch zu kämpfen, wollte nicht nur scheinbar assimiliertes und toleriertes Aushängeschild sein. In Europa war sie dann freilich nur noch sporadisch zu hören Legendär sind etwa bis heute unter den Fans ihre „Troubadour“-Leonoren unter Herbert von Karajan, der sie sehr mochte; sogar eine wunderfeine Weihnachtsplatte hat er mit ihr eingespielt. Später wurde sie als Liedsängerin mit vielfachen Auftritten besonders auch bei den Salzburger Festspielen geschätzt,
Leontyne Price war nicht einfach, sie nahm sich immer wieder stimmlich wie gemütsbedingte Auszeiten. Ihr Rollenspektrum war schnell ausgeschritten; als letztes kam noch die Ariadne von Richard Strauss dazu. Sie hat, einmal arriviert, aus ihrem Talent nie ein Hehl gemacht; sie hat es aber auch großzügig geteilt. Technisch kannte sie Grenzen, als Königin des Verdi- und Puccini-Fachs regierte sie dennoch bis zu ihrem Bühnenabschied 1985 – natürlich mit Aida. Sie war auch, trotz der großen, nicht eben flexiblen, deutlich in zwei Register geteilten Stimme, weiterhin bis 1997 eine großartige Lied- und Konzertsängerin, wusste um Innigkeit wie Dramatik; hat zudem die meisten ihre Signaturrollen aufnehmen können, auch Tosca und Carmen. Auf ewig frisch strahlen diese so meistenteils bei RCA, heute Sony konservierten und in diversen Editionen wiederaufgelegten Töne als leuchtendes, kribbelnd gutturales Sopranbeispiel.
Und trotzdem: Schwarze sind längst auf der Opernbühne wohlgelitten, augenblicklich etwa der Rossini-Tenor Lawrence Bronwlee oder die beiden südafrikanischen Sopranistinnen Pretty Yende und Pumeza Matshikiza, an der Met der Bassbariton Eric Owens, aber noch immer müsse sie besser sein als die anderen, haben manche Besetzungschefs Vorbehalte. Der Normalfall sind sie noch nicht – anders als etwa die eben meist auch aus sozial höher rangierenden Familien kommenden, sich eine besser Ausbildung leisten könnenden Asiaten.
Doch heute jedenfalls wird Leontyne Prince, für viele weit mehr als nur eine Sängerin, die ihren Status als nationale Ikone zuletzt 2001 bei einem Gedenkkonzert für die 9/11-Opfer akustisch demonstrierte, 90 Jahre alt.
Miles Davis schrieb über sie in „Miles: The Autobiography“: „Man, I love her as an artist. I love the way she sings Tosca. I wore out her recording of that, wore out two sets. Now, I might not do Tosca, but I loved the way Leontyne did it. I used to wonder how she would have sounded if she had sung jazz. She should be an inspiration for every musician, black or white. I know she is to me.“
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