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Andrea Chénier: Sind die schönen Kaufmann-Tage schon vorbei?

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Fotos: Bayerische Staatsoper/Wilfried Hösl

Rolando Villazón, der einstige Tenorliebling, in Deutschland immer noch als singender Entertainer, Moderator, Clown, Autor, Regisseur, Mensch geschätzt, muss sich gerade in Paris die wohl schlimmsten Kritiken seiner Laufbahn gefallen lassen. Als er an seinem Wohnort nach 15 Jahren erstmals wieder in einer Opernproduktion auftrat, konnte er über sich als Titelfigur in Monteverdis „Il Ritorna d’Ulisse in Patria“ in der „Financial Times“ lesen, er würde sich inzwischen anhören wie Florence Foster Jenkins. Und „Le Monde“ schrieb, seine Stimme läge in „Trümmern, die denen der Stadt Troja gleichen“. Und dabei wird der Ulisse normalerweise von einem hohem Bariton gesungen. So schlimm ist es um Jonas Kaufmann nicht bestellt. Aber nachdem er nun nach vier Monaten krankheitsbedingter Auszeit erst in Paris als Lohengrin und jetzt in seiner Heimatstadt München als Andrea Chénier auf die Opernbühne zurückgekehrt ist, muss man doch vorsichtig konstatierten: der Lack ist ab! Zumindest im Augenblick.

Sein Lohengrin à la Claus Guth im Januar war einigermaßen inszenierungskonform introvertiert, aber gegenüber der Mailänder Premiere der Inszenierung im Jahr 2012 arg verhalten. Aber auch sein Revolutionsdichter, 2013, bei der seinem Rollendebüt in London ein sonniges Sängerfest, scheint jetzt von einigen Schatten getrübt. Was ist da los? Nach Paris hatte er auch bei einer kleinen Londoner Residence im Barbican Centre schon wieder zwei von vier Auftritten absagen müssen. Seine zwei Einlagen beim Wiener Opernball, Don Josés Blumenarie und Lehárs „Dein ist mein ganzes Herz“, klangen trotz Mikro, seltsam aschfahl, flau, extrem gaumig und irgendwie schon altherrenhaft vor der Zeit.

In München, allein gelassen von der Regie, in Räumen wo sich Sängerpersönlichkeiten nicht entfalten konnten, teilweise im Halbdunkel versteckt, bleibt er lange merkwürdig blass. Den ersten, wie improvisierten Monolog „Un dì all‘ azzurro spazio“, wo die Stimme wie tastend einsteigt, fließend an Fülle und Kraft gewinnt, tönt unauffällig vorüber. Man hört keinen Glanz, kein Funkeln, kaum sich verfestigende Leidenschaft. In dem hier in einem Keller zu singenden Duettino „Ora dolcissimia“ verunglückt ihm das Anfangscrescendo, die Stimme spricht nur peinigend spröde an, bricht fast weg.

Auch Anja Harteros als Maddalena braucht diesmal Zeit, zu ihrer Spitzenform zu finden. Ihr Filetstück „La mamma morta“ aber singt sie mit einer Innigkeit und Verzweiflung, der zwar die strömend weibliche Portamento-Wärme einer Renata Tebaldi oder die existenzielle Bedrängtheit einer Callas nicht zur Gebote steht, die aber heute höchstens von Anna Netrebko, wenn sie beteiligt ist, erreicht wird. Auch Harteros wird nicht jünger, man hört inzwischen ein leichtes Vibrato, das Einschwingzeit braucht, das Timbre ist für die italienischen Rollen ein wenig zu weiß; aber das ist Mäkelei auf höchstem Niveau.

Den stärksten Einzelbeifall erhält der Bariton Luca Salsi als Gérard für seine Abräumnummer „’Nemico della patria?“. Ja, die wird laut und effektvoll serviert, das Timbre des Italieners ist aber arg monochrom, wenig aufregend seine Rollengestaltung. Während man weiter auf ein Aufblühen Kaufmanns wartet, erfreut man sich an der schönen vielversprechenden Stimme des jungen Ensemble-Baritons Andrea Borghini als Roucher. Doch der vierte Akt wir dann endlich zur versprochenen Kaufmann-Show.

Traumschön akzentuiert, dunkel timbriert und trotzdem wie von innen leuchtende gelingt ihm das poetische Arioso „Come un bel dí di Maggio“. Das gipfelt im leidenschaftlichen, endlich ekstatisch strahlenden Schlussduett „Vicino a te“ mit der jetzt wunderfein erblühenden Harteros – trotz der albernen Bebilderung für die nur noch das Doppelschafott zur Schichtl-Hinrichtung fehlt.

Nicht schlecht, unterm Strich, aber irgendwie trotzdem nur die halbe Kaufmann-Miete. Will er noch nicht, kann er nicht mehr, oder ist wirklich die Stimme schon über ihren Höhepunkt gelangt? Fordert hier das baritonal zurückgezogene, die Zunge an den Gaumen drückende Singen, dieses knödelige sich Öffnen seinen Tribut? Schon der jugendliche Stolzing klang nicht richtig, augenblicklich scheint der Stimmsitz eher für tenortiefe Rollen wie Siegmund und Parsifal ideal. Letzteren singt Jonas Kaufmann diese Spielzeit auch noch, aber erst einmal will im Juni das Londoner „Otello“-Rollendebüt bewältigt sein. Gut, er nähert sich wohlmöglich Ramon Vinay im Timbre, aber auch der konnte als Otello beim „Esultate“ viril aufreißen. Wie sich das wohl bei Kaufmann anhören wird – wenn es dazu kommt?

Auffällig ist: Soweit er schon bekannt ist, reduziert Jonas Kaufmann gegenwärtig seinen Kalender. Im Vorfeld der „Chénier“-Premiere war er nur für die dpa und den ORF zu sprechen. Weitere Auftritte als Andrea Chénier in Barcelona in der Londoner Produktion sind nächste Saison auf drei (inklusive Premiere natürlich) limitiert. In New York wollte er wegen seiner familiären Situation die „Tosca“-Silvesterpremiere auf vier spätere Vorstellungen (samt Kino-Übertragung) verkürzen. Da machte Met-Chef Peter Gelb nicht mit, statt sich Erpressen zu lassen, wurde Kaufmanns Mitwirkung nach der Veröffentlichung des Spielplans wieder abgesagt. Der schon bereite Vittorio Grigolo singt statt seiner.

Man wird beobachten müssen, wie Jonas Kaufmann sich klanglich in den nächsten Monaten macht. Von einem einmal anvisierten Hoffmann oder Aeneas, neuen Radamés- oder „Trovatore“-Vorstellungen ist gegenwärtig nicht mehr die Rede, den zweiten Akt „Tristan“ wird er hingegen nächsten April mit dem Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons ausprobieren. Und ob er wohl alle acht herbstlichen „Don Carlo“-Vorstellungen in Paris, ungekürzt und auf französisch singen wird? Haben wir schon wieder ein Tenorsorgenkind mehr? Oder muss der nur durch ein Tief? Zu wünschen wäre es.

Erst mal kann man sich freilich mit dem Anfang April bei Sony erscheinenden Wiener Mitschnitt einer einmaligen Tenor-Tour-de-Force vom letzten Juni trösten. Da singt Jonas Kaufmann mit den Philharmonikern unter dem energischen Jonathan Nott gleich beide Vokalpartien in Mahlers „Lied von der Erde“. So manchem puristischen Sängerkollegen trieb das zwar die Zornesröte ins Gesicht ob der Verkennung der Komponistenabsicht (dieser wollte nämmlich zwei Stimmlagen), als pure Leistungsschau plus dem Versuch, auch seiner tieferen Vokalregion Gesicht und Charakter zu geben, ist das freilich hochspannend. Hier führt Jonas Kaufmann also schon mal halbabendfüllend den Bariton ein, einige Jahrzehnte bevor Plácido Domingo damit angefangen hat…

Der Beitrag Andrea Chénier: Sind die schönen Kaufmann-Tage schon vorbei? erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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