In Wien, da gibt es nicht nur die fetten, koketten Operettensoubretten, wie sie Friedrich Hollaender, der Herrgott hab ihn selig, in seinem Lied vom „Wiener Schmarrn“ beschwor. Die Donaustadt ist auch die Heimat des Hofrats. Früher jedenfalls. Heute schimpfte sich dort schon jeder Frau oder Herr Magister, bevor diese Unsitte auch nach Deutschland auf die Visitenkarten überschwappte. Und ein Doktor ist dort beinahe fast jeder – der sich nicht Magister nennt – sowieso. Auch der Herr Doktor Bogdan Roščić, seines Zeichens in drei Jahren Operndirektor 4.0. im Haus am Ring. Früher, in der guten, alten Kaiserzeit, wäre er damit wohl automatisch zum Hofrat aufgestiegen, heute muss es der mindere Titel tun. Auch solange er noch bei Sony als Klassikboss wirkt, wo sein Gehalt kolportiert achtmal so hoch sein soll wie künftig als Herr der Goldkehlen und Ballettratten – über die übrigens noch keiner öffentlich im Zusammenhang mit ihm geredet hat. Weshalb Roščić (ja, wir haben in kürzlich in der Oper gesehen, echt, sogar zweimal! Immer bei seinem Vertragsnehmer Jonas Kaufmann) wahrscheinlich so lange wie möglich bei der kommerziellen Konkurrenz bleiben wird; auch wenn bereits auf dem SPÖ-Parteiticket fahrendes und aus der Burgtheaterskandal-Schusslinie zu bringendes Fußvolk als Vorbereitungsteam in die Oper überstellt wurde.
Damit freilich nicht genug. Österreichische Medien melden, dass am Doktor Roščić etwas faul ist, nicht an der Person selbst, aber am Titel. Ist der gegenüber den Medien sich schon jetzt erstaunlich dünnhäutig gebende Operndirektor in spe wohlmöglich nur ein Operettendoktor? Könnte sein! Denn der designierte Staatsopern-Grande ist mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert. Der einschlägige Experte Stefan Weber stellte bei der Universität Wien Anzeige, weil der 52-Jährige bei seiner Dissertation abgeschrieben haben soll.
Roščić soll bei seiner 1988 eingereichten wissenschaftlichen Arbeit „Gesellschaftstheorie als kritische Theorie des Subjekts: zur Gesellschaftstheorie Th. W. Adornos“ Passagen übernommen haben. „Ich habe selten ein deutlicheres Plagiat gesehen“, sagt Plagiatsexperte Weber. Roščić soll aus der 1982 erschienenen Doktorarbeit von Peter Decker, „Die Methodologie kritischer Sinnsuche. Systembildende Konzeptionen Adornos im Lichte der philosophischen Tradition“, Teile identisch übernommen haben, ohne das auszuweisen. „Es wurden seitenweise Interpretationen von Adorno mitsamt bei Decker, heute Publizist, an der Universität Bremen, in den Fußnoten zitierter Literatur fast 1:1 abgeschrieben. Herr Roščić erdreistete sich auch noch, im Plagiat häufig die Ich-Form von Decker mit abzuschreiben oder selbst zu verwenden“, so Weber in einem der Nachrichtenagentur APA vorliegenden Schreiben.
Mit den Vorhaltungen konfrontiert, bestätigte Roščić wohl oder übel den Sachverhalt: „Ich kenne seit einigen Tagen den Vorwurf der fehlenden Zitierung einer Arbeit von Peter Decker in der Einleitung meiner Dissertation von 1988.“ Dabei zollte er gegenüber der APA dem genannten Kollegen Respekt: „Herrn Decker habe ich vor 35 Jahren persönlich kennengelernt, mit ihm zu verschiedenen geisteswissenschaftlichen Themen gearbeitet und von ihm das Entscheidende über die Kritische Theorie gelernt.“ Zum konkreten Vorwurf betonte Roščić: „Die Einzelheiten der nun beanstandeten Verwendung kann ich, auch wegen der knapp 30 Jahre Abstand, derzeit nicht rekonstruieren. Ich bin mit der Universität Wien hierzu in Kontakt, sie wird meine Arbeit der entsprechenden Prüfung unterziehen.“ Besonders pikant: Peter Decker, war ein Spitzenfunktionär der Marxistischen Gruppe (MG), mit der Roščić in seinen Studententagen sympathisiert haben soll.
Eine Auswertung des Magazins „profil“ zeigt, dass Roščić für das erste Kapitel seiner insgesamt lediglich 114 Seiten umfassenden Dissertation ganze Passagen von Decker übernahm – und das wortwörtlich, ohne Decker als Quelle anzuführen. Der Name Peter Decker wird in der gesamten Dissertation mit keinem einzigen Wort erwähnt. Fünf der neun Seiten des ersten Kapitels („Einleitung“) wurden faktisch zur Gänze von Decker abgeschrieben – einschließlich der von Decker eingearbeiteten Literaturhinweise.
„Es gibt diese Anzeige“, bestätigte Julia Wippersberg, Vizekanzlerin der Uni Wien, sie verwies aber auf die Verschwiegenheitspflicht. Grundsätzlich prüft die Universität nun den Vorwurf, um zu entscheiden, ob ein Verfahren eingeleitet wird. In diesem Fall würde ein externer Gutachter bestellt, der idealerweise aus dem Ausland stammt und den Stand des wissenschaftlichen Arbeitens vor 30 Jahren berücksichtigen kann. Auf Basis dieses Gutachtens entscheidet der Kanzler dann, ob der Titel aberkannt werden muss oder nicht – wobei auch diese Entscheidung der Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Erfahrungsgemäß dauert es bis zu diesem Zeitpunkt allerdings Monate. Die wir gern abwarten.
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