Antoine Tamestit ist als Bratscher einer der drei vier besten auf der Welt. Eine der drei anderen, Tabea Zimmermann, sitzt im Publikum des Kleinen Konzertsaal des Konzerthaues in Berlin. Dort sind die Reihen nur schütter besetzt. Schade eigentlich, aber die Viola bleibt eben die Ostfriesin des Orchesters. Nicht an diesem Abend. Tamestit ist mit seinem langjährigen Klavierpartner Cédric Tiberghien da. Sie haben ein so kluges wie schönes, so beziehungsreiches wie herrlich klingendes Programm zusammengestellt. Ja, und ein bisschen Werbung für ihre neue CD machen sie auch. „Bel Canto“ heißt die, und Antoine Tamestit gibt der Viola wirkliche eine Stimme. Eine betörend zarte, doch kraftvolle, blitzsaubere, doch schmeichelnd verführerische in wohliger Lage.
Es beginnt, so wie die CD, mit der Viola-Sonate von Henri Vieuxtemps. Der war zwar ein berühmte Geiger, der vieles und virtuoses für sich selbst komponierte, aber eben auch gleichzeitig ein ambitionierter Bratschist. Und so hat er 1863 auch diese Zunft hinreißend bedacht. Tamestist und der pedalbedachte Tiberghien spielen das als vollkommene Duo-Einheit, mit festem Strich und trotzdem lyrisch versonnen, pointiertem Anschlag, aber zurückhaltend. Von Vieuxtemps wird noch das kurze Solo-Capriccio serviert, in der ersten Hälfte dazwischengestreut sind zwei Gabriel-Fauré-Stücke aus dem Salon: die Elegie c-moll und die Liedbearbeitung „Après un rêve“. Herrlich!
Deutsch wird es dann in der zweiten Konzerthälfte, diesmal sind juveniler Alban Berg und später Johannes Brahms miteinander verschränkt. Erst spielt Cédric Tiberghien die Berg-Klaviersonate op. 1, schillernd in ihrer Reizharmonik, gespannt sich aus dem Korsett der Tonalität winden wollend und doch in ihr verharrend. Das geht es animalisch zu: Auf Brahms’ melodisch leuchtende Duo-Bearbeitung seines Liedes „Nachtigall“ folgt in gleicher Besetzung Bergs „Nachtigall“ aus den Sieben frühen Liedern“, opak abgedunkelt, geheimnisvoll wispernd. Schließlich geht es mit Verve und rhythmischem Prickeln in die Viola-Sonate Es-Dur Op. 120 Nr. 2 von Brahms. Und keiner vermisst „Fräulein Klarinette“ alias der bärtige Richard Mühlfeld, der und dessen Instrument Brahms einen letzten Schaffensrausch beschert hatten. Stattdessen regiert Dame Bratsche.
Und die singt als Zugabe mit vollendeter Koloratur und silbrigem Legato Bellinis „Casta Diva“ – so wie auf der CD. Diese huldigt der Oper zudem mit zwei weiteren Donizetti-Arien für Saiten sowie einem weiteren Vieuxtemps-Stück, einer Donizetti-Paraphrase von Jacques Féreol Mazas und einem kleinen Stück von Casimir-Ney. Sehr französisch parfümiert ist das – und die feinsinnig schmachtende Stardivari-Viola erweist sich stets als die Primadonna, aber nie als die launische Diva.
Bel canto: Antoine Tamestit, Cédric Tiberghien (harmonia mundi)
Der Beitrag Antoine Tamestit: Dame Bratsche singt was vor erschien zuerst auf Brugs Klassiker.