Ein zeitlos moderner Einheitsraum, war ja fast klar. Warum auch sollte Ausstatter Stuart Nunn sich mit 17 verschiedenen Szenenbildnern und einem Jahrhundertwende-Venedig beschäftigen wollen? Erbswurstgrüne Wände mit zwei Reihen Tatepentüren, im zweiten Akt mit dem rasch hingeschmierten Grafitty „Achtung“, damit ja keiner die sciroccoschwül-phlegmatische Choleraatmosphäre vergisst, tun es doch auch! Davor sind schwarze Stühle, ein Riesenbilderrahmen mit halbverschimmeltem Foto, ein Flügel und ein liegender Strauß lila Riesentulpen platziert, auf denen zur Pause hin halbnackte Knaben drapiert werden. Ja, die Deutsche Oper Berlin hat es wieder getan: Nach der missratenen Uraufführung „Edward II.“ folgt als informell schwuler, nicht weiter kommentierter Minizyklus nun in der Benjamin-Britten-Reihe dessen Opernabgesang nach Thomas Mann „Death in Venice“. Ein sprödes, von fast altmodischen Secco-Rezitativen umranktes Weltabschiedswerk für den lange schon schwerkranken Komponisten und seinen auch nicht mehr tauffrischen Lebensgefährten Peter Pears in der morbiden Hauptrolle des Schriftstellers von Aschenbach.
Eigentlich bräuchte das, große, trotzdem gut gefüllte Haus dafür einen Tenorstar wie Ian Bostridge. Aber der sympathische Paul Nilon tut es auch. Obwohl man anfangs um seinen sandpapierartige, sehr monochrome Stimme fürchtet, hält er doch mit vokaler Ökonomie gut durch und kommt ebenso stark rüber in seiner Auflösung einer bürgerlichen Existenz, die zur Strafe dahinsiechen muss, weil sie sich in eine hübsche Jungslarve vergafft hat. Der freilich, Tadzio alias Rauand Taleb, könnte mit seiner juvenilen Migranten-Rotzigkeit unter der Basecap auch vom Kotti kommen, vornehme Polen sind er und seine Familie kaum noch; genauso wenig seine Freunde-Gang, die sich – damit ja von Anfang an nix unklar bleibt – stricher-ostentativ die Nippel knetet und irgendwann anödend Hemdchen aus- und anzieht. Sehr sexy wirkt das nicht. So wie auch (die schon von Brittens Klangsprache heute leicht vergilbt gezeichneten) ins mythische Griechenland weisenden Strandspiele samt dem gellenden Countertenor Tai Oney als Apollo und Aschenbach-Alter-Ego: Die ziehen sich opahaft albern und in ihrer szenischen Wiederholungseinfallslosigkeit enervierend lang dahin.
Darum herum viele bewährte, längst ausgelutschte Regietheatermanierismen von Graham Vick: ein neurotische Gesellschaft von heute, die sich selbst spielt und in dem zusehens zerflederten Trauerarrangement samt hartem, gar nicht atmosphärischem Kunstlicht von Wolfgang Göbbel eine Art Impro-Theater mit groß übersteigerter Gestik aufführt. Jede angedeutete Anzüglichkeit wird da gleich zur grabschfreudigen Massenorgie, damit es auch der letzte merkt. Venedig darf zwar nicht sein, trotzdem herzen Ringelshirt-Kerle als Ersatz-Gondolieri ihre Gäste auf Stühlen, über welche man später als Brückenersatz trippeln muss: anstrengend.
Dafür geben Chor und all die kleinen Rollen ihr Bestes, auch Donald Runnicles, dem die Britten-Beschäftigung eine Herzensangelegenheit ist, dirigiert mit feinem Puls und schwingendem, gamelan-artig hell getöntem Schlagwerkwellenspiel. Auf der Bühne sitzt seine Frau Adelle Eslinger an den Tasten. So gewinnt diese Partitur in ihrer fein abgestuften Reduktion Intensität und Spannkraft. Die geht vor allem auch von Berlins Barihunk Seth Carico in den verschiedenen Bassbariton-Ausprägungen des dionysischen Prinzips aus, der hier mit seiner vokal wie optisch lässigen Sinnlichkeit alles blässlich Apollinisch einfach bühnenbeherrschend wegfegt.
So bleiben von einer bemühten, bildlich bräsigen Britten-Bearbeitung wenigsten klanglich nachwirkende Momente. Die Deutsche Oper will unbedingt noch ein szenische „War Requiem“ folgen lassen. Das letzte Britten-Teilstück aber ist noch offen. Vom „Midsummer Night’s Dream“, den die Komische Oper vor nicht langer Zeit eher fade geträumt hat, ist die Rede. Warum aber eigentlich nicht die historistische, in Deutschland immer noch zu entdeckende Krönungsoper „Gloriana“ – wohlmöglich mit Evelyn Herlitzius in einer grandiosen Altersrolle als Elizabeth I.?
Noch am 23. und 28. April
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