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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Freude, schöner China-Böller: mit den Wiener Symphonikern auf All-Beethoven Mission in Shanghai – Teil II

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Verwirrung bei der Ankunft auf dem Lande: Nicht jeder hat in der ersten Probe in Shanghai mitbekommen, dass die 8. Sinfonie ansteht und nicht die Pastorale. Es klappert noch ein wenig. Vor zwei Wochen war die letzte Probe. Man muss sich in der heruntergekühlten Konzerthalle des Shanghai Oriental Art Center erst warm spielen, die zwei ein paar Tourneetage getrennten Orchesterhälften bemühen sich, wieder zusammenwachsen. Diminuendo oder nicht, dass ist die Frage, und bitte mehr Präsenz der ersten Geigen. Philippe Jordan, schnell ist noch ein Schal herbeigeschafft, hat sehr genaue Klangvorstellungen. Sforzati, bitte, nicht schlafen. Die Achtel sind zu lang! Absolutes Pianissimio, Akzent auf dem dritten Taktteil. Das muss glänzen. Zweite Geigen, das Staccato bitte mit Mut zur Hässlichkeit. Das ist ein großer Moment – Durchführung – deshalb wird kräftig vorgesungen. Holzbläser, bitte bleiben Sie dran. Es knallt ordentlich los, zum Auftakt – immer noch fast zu schön. Bitte sostenuto auf Takt 24. Das ist Präzisionsarbeit. Loslassen kann man dann später im Konzert. Die Musiker müssen heute früh gefordert werden, richtig aufwachen.

Vorher beim Frühstück. Zweiter, bzw. fünfter Tourmorgen, je nach Gruppenzugehörigkeit. Wer hat wie lange geschlafen, wohlmöglich sogar ohne Unterbrechung? – Geht bei dir die Klimaanlange aus? – Nein, wir brauchten nachts die Haustechniker. – Der Lichtschalter in der Toilette mit dem selbsthebenden Deckel und der gewärmten Brille ist kaum zu finden. – Wenn ich die Zimmertür aufmache, geht immer der Fernseher mit Klaviermusik an. – Morgens um fünf ein Hörbuch, das macht wieder müde. – Ich habe mir gestern noch eine billige Gitarre gekauft, da habe ich mich ein wenig warm gespielt, als ich nicht mehr schlafen konnte. So gehen die Gespräche.

Im Breakfast-Bereich mit den offenen Wänden und dem wirklich opulenten Büffetangebot zwischen East und West kommt man ins Grübeln über InterContinental-Hoteldesign. Über Wasserbassins und Blütenzweige, indirekt beleuchtete Onyxwände und Marmorflächen, Blasenlüster und kinetische Glasschlangenobjekte, amorphe Metallstatuen und chinesische Antiquitäten. Es ist auch viel Zeit für lustiges Charakterraten. Ist die Dame mit der vorbildlich veganen Gemüseplatte wohlmöglich die Flötistin? Ob der Karnivor mit ganz viel Bacon auf dem Teller FPÖ wählt? Was isst ein Posaunist? Wie in jedem Orchester sind ganz schnell die Sportler (tierisches Eiweiß und viel Obst) von den Bequemen (nur einmal gehen, deshalb viel auf den Teller) geschieden, der Freak ist vom Öko, der Monologisierer vom Schweigsamen, der einsame Wolf vom Gruppentierchen abgesetzt.

Beethoven als Elementarereignis. Was Philippe Jordan gestern in der Pressekonferenz angekündigt hat, das löst er jetzt praktisch ein. Er hat den Luxus eines kompletten Probentags ohne Konzert am Abend, das nutzt er genüsslich aus. Unerbittlich treibt er seine Klangtruppe in die Crescendo-Steigerung, energetisch geht es in die Spannungskurven. Elastisch wie ein Jo-Jo-Band wiegt sich der Rhythmus. Zwei Jahrzehnte ist der letzte Beethoven-Zyklus der Wiener Symphoniker her, zu Hause sind sie halb durch. 1 und 3 und 4 und 5 sind schon im Musikverein aufgeführt und für das eigene Label auf CD eingespielt worden. Die Verwertungskette funktioniert. 2 und 7 folgen nach der Rückkehr, der Rest vor der Sommerpause. Und nächste Saison gibt es den ganzen Zyklus an vier Tagen im Konzerthaus! So wie jetzt, zum ersten Mal überhaupt in Shanghai. Eine Premiere für das Orchester wie für die Stadt.

Beethoven, immer wieder. Nicht nur im Hinblick auf 2020. Alle Sinfonien sind in Wien komponiert worden, für ein Wiener Orchester, noch dafür das Sinfonieorchester der Stadt, die ewige, absolute Herausforderung, die DNA, von der ganze Dynastien von Instrumentalistenfamilien zehren. Die Pastorale etwa hatten sie seit 2008 nicht mehr aufgeführt! Das klang in der Probe ganz fremd. Die komplizierte, selten programmierte Achte aber erst letztes Jahr. Ob es im Orchester noch Nachfahren Beethovens gäbe, wurde auf der Pressekonferenz gefragt, ausgerechnet von den – sieht man diese brutale Boomtown – scheinbar so geschichtsvergessenen Chinesen. Wir schließen es nicht aus, gibt sich der Intendant diplomatisch. Wie denn, fragt man sich genealogisch.

Stadt? Shanghai ist ein Moloch. Aber eines der heiteren Art. Bereits bei der Busfahrt zu Probe – 13 Kilometer in einigermaßen stau- und smogfreien 35 Minuten – bekommt man ein Gefühl für das einem Europäer shizoid anmutende Nebeneinander von heimeligen, weil alten Wohnhöfen, zum Teil gerade im Abriss begriffen, und brutal hingestampfter und hochgezogener Betonglasstahl-Moderne. Salatschüssel, Flaschenöffner, Zange, so heißen hier die Hochhäuser, der dagegen mäßig emporragende, nachts rosa angestrahlte Fernsehturm mit seinen zwei Kugeln aus dem Jahr 1991 mutet da fast schon nostalgisch an.

Der Großraum von über 24 Millionen Einwohnern ist zu erahnen, aber kaum zu spüren. Die Massen verlieren sich auf den neuen, vorbildlich gepflegten Parkflächen und zwischen den futuristischen Hochhausarealen auf der Pudong-Seite. Hier liegt das Oriental Art Center mit seinen grünen Saalschüsseln, den farbigen Kachelfoyers und den in China offenbar unausrottbaren Topfpflanzen. Es ist Heimstatt der meisten Orchesterkonzerte. Im Grand Theatre mit der spektakulär umgedrehten Wanne auf dem Dach am Volksplatz ist eher die Oper zu Hause. Seit kurzen hat auch das seit 1979 existierende Shanghai Symphony Orchestra eine neue Halle, aber mit nur 1200 Plätzen; für Tourneen rentiert sich das nicht.

Achte Sinfonie, zweiter Satz. Kichern, bitte! Das wird ein Spaß, nur niemand weiß es bis jetzt. Deshalb mehr ostentativ. Die Probe in dem holzbraunen und grauen Weinbergsaal schreitet konzentriert sachlich voran. Die ersten Geigen fahren den Holzbläsern widerborstig dazwischen. Und Jordan strahlt. Kontraste, hart, aber trotzdem weich, Spritzen, Sprudeln, dunkel, Kichern, mehr – so will er es. Alles ist hier Rossini! Nicht denken, Spaß haben, aber intelligent. Senza vibrato und ohne Akzent am Ende bitte. 79, Diminuendo, bitte eintragen. Das Orchester hat sich warm gespielt. Jordan lässt sie allein hört sich das Allegretto scherzando im nicht übergroßen Saal an. Viel mehr Fortissimo, bitte! Kichern, mehr, spitzer!! Sehr gut. Vergessen Sie Ihre Wienerische Gemütlichkeit. Raus aus der Komfortzone. Geht doch! Jetzt wird er gemeint, freut sich der Intendant. Dann ist Pause, lachende Gesichter.

Weiter, 3. Satz. Endlich wieder ein Menuett, nach den vielen Scherzi. Aber nur als nostalgische Erinnerung, leicht verklärt. Die Auftakte sind hier das Wichtigste. Und wir singen wieder! Mehr Glanz, der Saal ist etwas dumpf zu den Bratschen. Träumerisch zart das Trio von den weltberühmten Wienweichen Hörnern. Das Finale als Präzisionsmaschine. Jede Streichersektion einzeln, die zweiten Geigen nehmen das C sehr schön, aber das F zu breit. Wir werden zu laut. Kurz, explosiv! Hören sie, reagieren sie! Mezzoforte dolce. Und jetzt nochmal mit allem. Danke, ich bin zufrieden mit Ihnen. Zum Ende der Probe schlage ich vor, dass wir den ersten und letzten Satz einfach mal spielen. Nachstimmen. Und ab geht’s. Jetzt haben sie es.

Die Wiener Symphoniker sind zum zweieinhalbten Mal in Shanghai, ein Mal gastierte nur eine Kammerbesetzung. Philippe Jordan war noch nie da. China wird gegenwärtig mehr, Kunststück, da werden dauernd neue Säle eröffnet, Japan schwächelt, dafür geht Korea gut. Tendenzen des asiatischen Tourneemarktes, aber immer noch der stabilste für europäische und amerikanische Orchester.

Ausführliche Mittagspause. Unter den weiten Grünflächen vor der Tür verbirgt sich ein Bazarlabyrinth aus Fake-Shops mit besonders hartnäckigem Personal und einfachen Restaurants. Genug Ablenkung für einen anschließend frischen Ansatz für die Neunte. Es spielt eine 14-er Streicherbesetzung, sonst sind nur schlanke 12 Geigen aufgeboten. Vorher noch hat der Konzertmeister Florian Zwiauer über die Streicherzumutungen beim späten Beethoven philosophiert. Jetzt durchmisst man die Neunte mit Grandezza und dunkler Glut. Jordan will, weil das Konzert erst am Sonntag ist und mit Vokalsolisten wie Chor nochmals ausführlich geprobt wird, möglichst lange durchspielen. Es gibt wenige vor allem technische Korrekturen: Bläser, mehr misterioso in der Farbe, gibt er für den 2. Satz aus. Bisher war das noch viel zu konkret. Doch der Trip hat längst begonnen: Die disziplinarische Droge Beethoven berauscht sie alle.

 

Der Beitrag Freude, schöner China-Böller: mit den Wiener Symphonikern auf All-Beethoven Mission in Shanghai – Teil II erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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