Der absolute Tournee-Luxus: Fünf Tage im selben Hotel, alles auspacken können, sich in einem Zimmer einrichten, in einer Stadt wirklich ankommen. Vor allem, wenn es Tokio ist, was man als Musiker (und selbst als mitreisender Journalist) einigermaßen kennt. Aber immer wieder neu entdecken kann. So wie auch das New Otani Hotel, in Gehweite zum kaiserlichen Garten und damit dem geistigen und historischen Herzen des alten Edo gelegen. Eine der wenigen noch vorhanden alten Grand-Hotel-Damen der Stadt, die so wenig auf ihre Geschichte Rücksicht nimmt. Großzügig, stilvoll, distinguiert. Selbst die Badezimmer sind mit Kacheln nach japanischen Holzschnitten von Utagawa Hiroshige geschmückt. Zwar wurde hier noch kein „James Bond“ gedreht wie „Man lebt nur zweimal“ im Okura. Doch dafür steht das 1964 zu den Olympischen Spielen eröffnete New Otani noch, während selbst die besonders von Musikern geliebte Okura-Legende (die Suntory Hall liegt direkt darunter) eben einem höheren, künftig besser zu kapitalisierenden Neubau weichen musste.
Doch keine Zeit für Tränen, lieber verliert man sich im dem weitläufigen, stellenweise noch zu erahnenden Sixties-, aber auf jeden Fall sehr diskreten Schick des New Otani. Toll schon das Frühstücksbuffet im 40. Stock des Garden Towers mit seinem Panorama Richtung der Türme-Silhouette von Shibuya/Shinjuku. Skurril die Wedding Chapel samt Amphitheater im Basement der Garden Court. Wunderbar das große Panorama-Restaurant in der Rivoli-Passage, wo die Tokio Ladies-who-lunch die „Sandwich and Sweets“-Formula genießen. Herrlich der großzügige, super gepflegte Garten mit seinen diskreten Pavillons, in denen sich exquisit-teure japanische Restaurants verbergen.
Da plätschert der Wasserfall, Gärtner schneiden den akkurat getrimmten Rasen symbolisch mit der Nagelschere. Und im Teich tummeln sich die fetten Koi-Karpfen. Ein Vermögen schwänzelt da und gibt ein dankbares Motiv für eine Fisch-Foto-Folge:
Unübersichtlich wie stets ist es nachmittags im Ueno-Bahnhof, der gleich neben der ersten DSO-Konzerthalle, der Bunka Kaikan, liegt. Die 1961 erbaute Halle mit ihren 2300 Sitzplätzen hat als ehrliche Beton-Moderne freilich mehr Charme als das gegenüberliegende Museum für westliche Kunst, bei dem Le Corbusier einen sehr schlechten Entwurfstag gehabt haben muss. Das Konzert, wieder all Beethoven, ist so gut wie ausverkauft, wobei fast 160 Euro für die teuerste Karte durchaus happig ist. Aber kein Vergleich zu den Wiener Philharmonikern. Die nehmen fast 300 Euro, wie den am Eingang wie stets gereichten Plastiktüten mit schrillbunten Werbeprospekten für die kommenden Klassikmonate zu entnehmen ist. Diese Taschen waren vor zehn Jahren allerdings fast noch doppelt so dick. Und Tugan Sokiev, der bald wieder mit seinem zweiten Klangkörper, dem Orchestre National de Toulouse nach Tokio kommt, ist dann gar mit nur 80 Euro Spitzenticketpreis angesetzt!
Es ist noch etwas Zeit bis zum Konzert. Der Ueno-Park mit seinem stets gut besuchten Zoo lockt, vor allem aber das Japanische Nationalmuseum. Dort sind die Artefakte von Samurai-Schwertern über Buddha-Statuen, Bronzearbeiten, Kimonos, Lackwaren, Kaligrafien, Tuschbilder und Porzellan zwar streng und minimalistisch präsentiert, aber da sie regelmäßig alle ausgetauscht werden, erlebt man diese vorzügliche Sammlung immer wieder neu. Und entdeckt etwa die Netsuke-Sammlung eines Prinzen, der diesen traditionellen Miniskulpturen, die als Gegengewicht für die am Kimono hängenden Behältnisse Verwendung fanden, auch im 20. Jahrhundert als reinen Artefakte noch eine Motivfortsetzung bereitete. Die Katze etwa, als Glücksymbol nicht nur in Maneki-neko – Winkekatze-Gestalt selbst bei uns hipp, wird als Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“ mit separatem Lächeln neu interpretiert und besonders belacht. Es ist sogar noch Zeit für einen Snack, diesmal unweit des Bahnhofs in der lärmigen Bazar-Gasse ein paar Oktopusbällchen. Jami.
Ähnlich lecker dann das Konzert, wirbelig schnell, doch schön ausgehört. Tugan Sokhiev dirigiert Egmont-Ouvertüre, Siebte und Dritte wie aus einem Guss, durchaus muskelzeigend, aber geschmeidig. Doch gerade die zweiten Sätze könnten noch etwas mehr Versenkung und Verdunklung vertragen. Es ist ein sonniger, sehniger Beethoven, rhythmisch flockig, behend, optimistisch – mit kurzen Schlussknallern. Das Publikum liebt es, ebenso die ersten Mithörer des aus Kyoto hinzugestoßenen DSO-Förderkreises, die von nun an mit von der japanischen Konzertpartie sind.
Hanne Eckrodt, mit im Förderkreis-Vorstand und eine – wie sagt man? – finnische Woman of Distinction, kann hinterher leider nicht mit zum ersten gemeinsamen Gelage, sie muss ein japanisches Ehepaar der 20 Stradivari-Instrumente schweren und diese verleihenden Nippon Music Foundation betreuen. Ob da was für das DSO geht? Eine Guaneri würde es ja schon tun. Obwohl auch bereits jetzt schon der Versicherungswert der mitgeführten Instrumente bei weit über 5 Millionen Euro liegt. Die Dinger werden einfach immer teurer. Und die Alpträume so manchen Geigers, sie im Taxi liegen zu lassen, wohl immer größer….
Morgen mehr!
Der Beitrag DSO in Fernost: Asientournee V erschien zuerst auf Brugs Klassiker.