Die Anreise.
Bequem und pünktlich. Trotz dreimal Umsteigen. Nur das WLAN geht im ICE nicht und wird im EC Richtung Klagenfurt vermisst. So mancher professionelle Festspielpilger kasteit sich fromm und bricht schon um sechs Uhr morgens vom Schwarzwald gen Österreich auf, doch uns reicht die Ankunft in der alten Festspielstadt um 14 Uhr.
Die Festspielstadt
Am 5. April wäre Herbert von Karajan 109 Jahre alt geworden. Außer der Deutschen Grammophon, die fleißig seine alten Aufnahmen recycelt, stört das keinen. Hier, wo Mozartwoche, Oster-, Pfingst-, Sommerfestspiele, Kulturtage und Adventssingen einander in stetem Wechsel ablösen, macht man wenig Gewese, wenn im Festspielbezirk mal wieder besonders viel, gar internationales Leben ist. Schließlich ist ja hier jeder Migrant ein potenzieller Tourist. Und die sind überall. Bei herrlichem Wetter scheint die Stadt ein einziger Flohmarkt mit angeschlossener Hüpfburg, die Feingemachten fallen da kaum auf. Dieses Jahr konzentriert man sich auf 50 Jahre Osterfestspiele. Die wurden am Palmsonntag 1967 mit der „Walküre“ als falsch getaktetem „Ring“-Start eröffnet. Und die haben, obwohl einst als sein kommerziell bis zum letzten ausgeschlachtetes Privatfestival erdacht, jetzt also schon 28 Jahre nach Karajan überlebt: sie existieren weiter – trotz einer anfänglichen Philippika der Kirche gegen „Walküre“ am Gründonnerstag(„Hojotoho statt Halleluja“), später dann unwilliger Maestri, missratenen Premieren, schlechtbesuchten Jahren, Unterschlagungen des immer noch im Häfen brummenden Geschäftsführers und dem rüden Abzug des anderswo mehr Geld witternden Berliner Edelklangkörpers, der hier einst exklusiv in der Oper vorgeführt wurde. Über 50 Förderer von 1967 stehen immer noch auf der Spendenliste. Und auch zwei Überlebende der „Walküre“ von damals haben sich eingefunden: die Sieglinde Gundula Janowitz und die Fricka Christa Ludwig. Hier kann man Festspiele professionell: die beiden Damen erinnern sich öffentlich, in der neuen Residenz gibt es eine Ausstellung mit faszinierenden Memorabilia (inklusive Siegmund-Schwert und Regine-Crespin-Vertrag) von 1967, parallel zur „Walküre“ wird ein neuer Dokumentarfilm ausgestrahlt, im ORF-Studio gibt es eine Hommage an Eliette von K. als Fotoschau: „An seiner Seite“.
Das Theater
Nicht ganz so groß wie das einst von Hans Poelzig für Hellbrunn erdachte, wirklich große Festspielhaus, das man sich gut auch hätte als Walhall vorstellen können. In den ehemaligen Hofstallungen und dahinter in den Mönchsberg gesprengt. Von diskretem Sixties-Charme, der sich gut gehalten hat. Da kann man sich immer noch gut Sorayas spraytoupierte Frisur vorstellen, die natürlich 1967 ebenfalls Ostern adelte. Die Breitwandbühne ist gefürchtet und der hochliegende Orchestergraben macht deutlich: Hier ist der Klangkörper der Hauptdarsteller, mehr noch der Mann, der ihn lenkt und leitet.
Die Besucher
Seit hier die Preise gesenkt wurden (von 510 auf 490 Euro, immer noch Höchstwert weltweit für eine Opernkarte, die man hier freilich eigentlich nur als Abo mit zweizusätzlich kostenden Konzerten erwerben kann), hat sich nichts verändert. Man zeigt was man hat, und hat (meistens) auch, was man zeigt. Geldadel und altes Geld, selbst die Jungen atmen hier den ortstypischen Stallgeruch aus abgebrüht und ignorant. Höchste Smoking-Dichte, kurz darf nur das Seidendirndl sein. Von geschliffenen Steinen schwer herabhängende Ohrläppchen, mit viel Blingbling die Falten verhüllende Hälse. Opernkenntnis: schwankt zwischen Nerd und rudimentär. Aber in der Pause wissen alle, wie sie sich vor Gaffern und Paparazzi zu präsentieren haben. Oper als Sättigungsbeilage zum Schaulaufen? Man weiß nicht so genau, was wirklich wichtiger ist. Die Industriebosse von früher sich freilich deutlich weniger geworden.
Die Inszenierung
Eine Re-Kreation. Man hat Günther Schneider-Siemssens Kulissenteile von damals nachgebaut und allerdings ohne die alles entrückenden Portalschleier in zu hellem Licht einfach so hingestellt. Das wirkt ziemlich prosaisch. Der kosmische Zauber von damals, dem Jahr von Ken Adams Bond-Architekturen und dem Hippie-Summer of Love ist dahin. Die schieferschwarze Weltesche als stilisiert schrundiges Uterus-Totem, inspiriert von einem Sequoia-Baum, durch den man mit dem Auto fahren kann, funktioniert immer noch. Zudem ist sie akustisch günstig. Die heute mit Videos nachgemachten Projektionen, einst Weltraumstrudel und –Gezeiten, wirken eher wie albernes Gepinsel.
Im zweiten Akt lässt die Inszenatorin Vera Nemirova, die ohne Beachtung von Karajans Nicht-Regie nicht wirklich konsequent ihr eigenes Deutungs-Ding dreht, hinten eine Familienaufstellung des „Ring“-Personals aufscheinen, an der auch auf der heftig bespielten Podest-Ellipse herumgeschrieben wird. Die Todesverkündung wird sitzend, mit den Beinen baumelnd vollzogen. Die Walküren, ganz brav mit Brustpanzer und Blechflügelhelm, sind, sicherlich auf Dirigentenanweisung, bewegungslos an der kurvigen Rampe aufgepflanzt. Immer wieder zeigt sich der graue Rundhorizont ohne alles, Gipfel der verweigerten Illusion. So wird weitgehend brav die Geschichte nacherzählt.
Frick im Pelz lässt sich von zwei faunischen Schafsböcken den weißen Ledersessel hinterhertragen. Sieglinde erscheint im blauen Kleid als Mischung aus Micaela/Agathe, darf mal mit dem Füßchen stampfen, muss den aber über viel am Boden herumrobben, putzt aber brav Hundings Schuhe, während der im Unterhemd mit Siegmund im Trecking-Look den Feierabend begeht. Auch Brünnhilde zieht sittsam die Boots aus, bevor ihr Papa Wotan die Gottheit von den Augen küsst. Selbst solche zaghafte Emanzipationskritik kann eine der berührendsten Wagner-Szenen nicht trüben. Das findet auch Christa Ludwig, die sonst nicht viel von damals wiedererkannt hat.
Die Sänger
Toll, toll! Vom sehnig-schlanken Hunding Georg Zeppenfelds bis zur etwas kückenhaft trompetenden, aber gut durchhaltenden Anja Kampe als Brünnhilde. Man versteht jedes, wirklich jedes Wort, was selbst die langen Mono- und Dialoge zum Vergnügen macht. Etwa die von Christa Mayer mit fast wolllüsternen Mezzovergnügen ausgekostete Gattenschelte. Überhaupt der Wotan Vitalij Kowaljows: eigentlich war der nur als Zweitbesetzung für die nächste „Walküren“-Station Peking vorgesehen, aber zum Glück hat Wolfgang Koch abgesagt. Das Deutsch des Russen ist fast so makellos wie sein Pianomut. Ein wunderbar resignativer, doch würdiger Göttervater mit einer von oben bis unten ebenmäßig durchgebildeten Stimme, die unendlichen Hörspaß macht.
Großartig auch die intensive Sieglinde-Debütantin Anja Harteros, die sich bis zum „hehrsten Wunder“ hinreißend hält, dunkel gurrt, aber auch mädchenhaft hell klingen kann. Und gerade deshalb ihre Veteranen-Siegmund Peter Seiffert so anrührend wirken lässt. Auch wenn die Mittellage des 63-Jährigen grau geworden ist, das Timbre bleibt unverkennbar, die „Wälse“-Rufe sitzen. Er verkörpert den Karajan-Moment an diesem Abend, nicht die vergebliche Liebesmüh um die Ästhetik von damals
Das Dirigat
Wer immer in derselben Suppe rührt, weiß, dass diese aufgekocht am Besten schmeckt. Was natürlich auch für Christian Thielemann gilt. Vom ersten Gewittergrollen an hört man sofort: hier sind Opernprofis am Werk, Wagner-Wunderwuzzis. Ein Mann, ein Befehl, und die Fußtruppe folgt furchtlos. Wieder fasziniert, wie er den von ihm gefühlte 500 Mal aufgeführten ersten Akt langsam angeht und dann stufenlos schneller schaltest, bis es mit Wumms ins Inzest-Finale geht. Nie wird es zu laut, obwohl er mit Fortissimi nicht geizt. Thielemann ist hier wirklich der akustische Göttervater, alle wollen das, und er gibt es ihnen. Der Walkürenritt tänzelt scharf, die Todesverkündung hat dunkle Kraft, Wotans Abschied wird zum intimsten Moment. Er ist ein wunderbarer Sängerbegleiter, aber auch die Dresdner Staatskapelle bleibt schlank, hat Wärme und immer eine herrliche Durchhörbarkeit. Das ist brillant disponiert und bis zum sanft abgesetzten Schlussakkord souverän disponiert. Eine Märchenerzählung von überzeitlicher Kraft und raffiniertem Reiz.
Fazit
Nach vielen Stunden großer, erleichterter Jubel. Auch für Vera Nemirova. Diese nostalgisch-unscharfe Annäherung als Hybrid aus Sixties-Zitaten und Regietheater-Klischees von heute wird allerdings sicher nicht Retro-Schule machen. Aber es ist ja eigentlich egal, wo welchem Ambiente Christian Thielemann mit solch einer Sängercrew agiert. Salzburg war diesmal also sein Geld Wert. Auch um zu sehen, dass die Karajansche Milchstraßen-Ästhetik besser in der Gruft bleibt. Auch bei den Osterfestspielen Salzburg mögen die Kunstkinder doch bitte Neues schaffen. Die „Tosca“ von Philipp Stölzl im nächsten Jahr ist das zwar sicher nicht, aber zumindest wird sie bunter werden.
Der Beitrag On the Festspiel-Road: Salzburg erschien zuerst auf Brugs Klassiker.