Anreise
Die Pilgerreise kommt dank bester EU-Verbindungen zu einem guten Ende. Salzburg-Berlin, das ist heute ein Flugklacks, auch wenn nicht alle Maschinen gleich pünktlich gen deutscher Hauptstadt starten und so mancher Festspiel-Wiederholungstäter Pumps und Bauchbinde in die Hand nehmen muss, um pünktlich im Schiller Theater zu sitzen. Schließlich wird dort auf die berlinbaustellenübliche Zeit hin die Staatsoper weiterhin sitzen und wohlmöglich (sicher ist am 3. Oktober maximal ein konzertanter Wieder-da-Seufzer am wohl lange noch nicht fertig renovierten Stammhaus Unter den Linden) auch die nächsten Festtage als Daniel-Barenboim-Personale zu Luxuspreisen einläuten. Dies wird sie mit einem neuen „Falstaff“ tun (die Schamfrist für eine Neuproduktion nach der missglückten Loy-Chose an der Deutschen Oper ist eben abgelaufen), den ausnahmsweise mal nicht Ambrogio Maestri, sondern Michael Volle singen wird. ihre einst von
Die Festspielstadt
Is nich! Berlin ist sich zum einem selbst genug. Und zum anderen ist hier das überbordende Kulturleben ein einziges Festspiel. Mehr geht kaum. Und so kann man sich kaum noch abheben. Einheimische haben sowieso die Mogelpackung verstanden, dass es die überteuerten Festtage-Premieren kurz danach (oder spätestens nächste Spielzeit) zum ortsüblichen Billigpreis gibt – auch wenn Anna Netrebko dann nur noch eine um Spenderstühle werbende Pappfigur ist. Extra Blumenschmuck oder so. Hier doch nüscht! Da darf man stattdessen über den Ernst-Reuter-Platz stiefeln, eine besonders ständebaulich verwahrloste Wüste.
Das Theater
Aber wenigstens ist das Schiller Theater, ein schönes Fifties-Schmuckstück, inzwischen wieder ordentlich herausgeputzt mit all seinem sitztechnisch unbequemen und akustisch übertrockenen Nierentischcharme. Für die Hochpreis-Woche gibt es Edelchampagner am Outdoor-Tresen, und man hat sogar für ein wenig blühendes Grün in die Taschen gegriffen – wo man doch, wie der Programmzettel vergleichsweise großflächig vermerkt, sich selbst die Künstler-Tischweine beim eher kargen Premierenfeier-Stehrumchen sponsern lassen muss.
Die Besucher
Barfuss oder Lackschuh, das ist in Berlin keine Alternative, sondern Lebensanschauung. Rucksack und Holzfällerhemd alles geht hier im rustikalen Laissez-faire der gar nicht eitlen Hauptstadt, auch wenn natürlich die wunderbaren Aquamarin-Solitäre von Dirigentengattin Nancy Mehta hervorglitzern. Internationales Publikum kommt immer weniger, die übliche Mischung aus Adabeis, Opern-Interessierten und nur wenigen finanzkräftigen Vielreisern. Irgendwie scheint bei dem Festival der Lack ab. Ob es mit Daniel Barenboim verschwinden oder die Kraft zum Re-Branding haben wird? Die Strahlkraft der Münchner Opernfestspiele als Bündelung der Spielzeit-Preziosen hat es nie erreicht.
Die Inszenierung
Alt. Vor fünf Jahren ist diese „Frau ohne Schatten“ bereits in der üblichen Claus-Guth-Anmutung an der Mailänder Scala herausgekommen und dann für diverse Durchläufe an das Royal Opera House Covent Garden weitergewandert. Wir haben wieder: Christian Schmidts edelholzgetäfelten Rundsalon, eine Drehbühne, die schwarze Styroporfelsen reinschaufelt, Videoprojektionen, Doppelgänger in Gestalt diverse Tiermasken, ein Sanatorium. Guth liest Hofmannsthals uns immer abstrus-verschmockter vorkommende Symboleanhäufung mal wieder psychologisch.
Eine Hysteriepatientin alias die Kaiserin träumt das alles in ihrem Einzelzimmer, wird von ihrer Amme als Schwester Michaela (Schuster) sowie dem Geisterboten (Roman Treckel mit kaum mehr Stimme) als Krankenpfleger im Bett sediert und hat Erscheinungen von allerlei Getier: sie selbst tritt als weiße Gazelle auf, der Falke (Narine Yeghian) ist natürlich ein solcher, der Amme und diversen schwarzen Gestalten erwachsen Flügel wie den Wasserspendern auf Notre-Dame; was das Ganze in Richtung deutschen Horrorst(i)ummfilm dreht. Und dann ist da – als drehgehörntes Kudu – auch noch der in der Oper bewusst ausgesparte Geistervater Keikobad, der gebrechlich am Stock geht und der unsichtbaren Figur jeden Nimbus raub. Wenn er stirbt, kann die missbraucht Tochter genesen – vielleicht. Oder taugt für so viel Küchentischpsychologie eine vierstündige Straussoper als Schmerztherapie?
Ach, irgendwie muss natürlich auch noch die Menschenwelt da hineingefummelt werden. Also ist die Färberin noch eine Doppelgängerin der Kaiserin, was die eh schon verzwickte Geschichte nicht einfacher macht. Barak steht dabei als seltsame Mischung aus Jäger/Gerber/Färber in dieser Gründerzeitwelt isoliert herum. Und wie so oft bei Guth: Es sieht gut aus, ist professionell gestellt und bleibt doch bedeutungsmäßig im Diffusen. Um die eigentlichen Probleme des Stücks mogelt er sich wieder einmal mit einem schicken, viel zu oft kopierten Ambiente herum. Aber was tut’s: Jürgen Flimm schätzt ihn, also wird das Schiller Theater wieder mal zur Abwurfstation einer alten Arbeit.
Die Sänger
Laut, sehr laut. phonstärkenmäßig gewinnt die überschrille Michaela Schuster als mittellagenstumpfe Amme, die hier auf des Teufels Großmutter macht. Als zweitgrellste geht Iréne Theorins Färberin ins Ziel, aber das ist ja eine berüchtigte Keifpartie. Ordentlich Stahl hat auch Camilla Nylund als sonst lyrischer besetzte Kaiserin zu bieten, aber sie weiß mit ihrem material intelligent umzugehen, ihre gelingt eine bannende Figur zwischen Wahn und Wahrheit. Außerdem ist sie dauerpräsent und man möchte ihre schillernde Bühnenerscheinung keine Sekunde missen. Eine rustikalen Barak spielt und singt Wolfgang Koch, wenn er am Ende jubeln möchte wie noch nie, tut er das mit seinen Restkräften. Burkhard Fritz als von keinerlei Darstellungsbemühung angekränkelter statuarischer Kaiser liefert ebensolche tenorgesunden Stentortöne.
Das Dirigat
Noch lauter. Da wackelt sogar Nancy Ohrgehänge. Zubin Metha geht es zwar mit der lange von dem instrumentalen Gustostück entwöhnten Staatskapelle leise silbrig an, doch der gute Vorsatz hält nur einen Akt. Dann werden alle Schotten aufgeklappt, es kracht und gleist und dröhnt, dass man sich wundert, dass am Ende das Schiller-Theaterdach noch drauf ist. Gleichzeitig werden Nuancen eingeebnet und weggeschreddert, die expressive Moderne des Werkes geht unter im Dauertonfeuer. Am Ende sind alle fast taub, deshalb vielleicht hört sich der ausdauernde Jubel so moderat an. Immerhin klingen die schönen Cello- und Geigensoli von Andreas Greger und Thorsten Rosenbusch wohlig nach.
Fazit
Die Festspiele plustern sich, ob in Baden-Baden, Salzburg oder Berlin. Ob man den Rummel mitmachen und bezahlen möchte, bleibt jedem selbst überlassen. Eine Notwendigkeit dafür gibt es nach diesem Augen.- und Ohrenschein nicht. „Walküre“ gab und gibt es mit Thielemann weit wohlfeiler in Dresden, für „Tosca“ gibt es viele Alternativen und diese „Frau ohne Schatten“ hatte man auch schon früher anderswo haben können. Der Opernzirkus feiert sich selbst, die Stars präsentieren sich auf dem Silbertablett. Auch wenn das oft genug stumpf bleibt. Und selbst der Glamour ist – provinziell in Baden-Baden, routiniert in Salzburg, ruppig in Berlin – irgendwie endenwollend.
Der Beitrag On the Festspiel-Road: Berlin erschien zuerst auf Brugs Klassiker.