Alle Ostern wieder: Da drängelt sich jahreszeitlich passende Neuaufnahmen in den Regalen, vorzugsweise die der Bachschen Passionen. Und dieses Jahr sind zwei Alpha-Player der Alten-Musik-Garde dabei: John Eliot Gardiner hat im Anschluss an eine weitläufige Tournee nach 30 Jahren die Matthäus-Passion noch einmal auf den CD-Prüfstand gestellt, Und Marc Minkowski hat sich erstmals die Johannes-Passion erobert. Gardiner, der für sein Label Soli Deo Gloria hat mitschneiden lassen, brachte wie üblich Monteverdi Choir und seine English Baroque Soloists am Start, die Solostimmen hat er ebenfalls dem Chor entnommen. Gegenüber früher gibt er sich abgeklärter, flüssiger, aber nicht weniger bohrend. Der knapp 30-köpfiger Chor (der auch die Solisten stellt) und das Orchester bestechen durch Präsenz, Struktur, Körper. Hervorragend sind Rede und Gegenrede der Volksmenge im Wechselspiel der beiden Chöre zu verfolgen. James Gilchrist ist ein lyrischen, mitunter wackliger Evangelist, Stephan Loges ein eher äußerlicher Jesus. Für natürliche Dramatik sorgen in der erstmals am Karfreitag 1727 aufgeführten Matthäus Passion die zwei Orchester und teilweise drei Chöre, denen der Altmeister eine nuancenreiche Leidensgeschichte voll farbenbunter Dramatik ,aber auch natürlicher Abgeklärtheit entlockt.
Gegenüber dem eigenen, liebgewonnenen Klassiker von früher fällt hier auf: Gardiner nimmt sich mehr zurück, lässt den von allen auswendig gelernten, so wirklich verinnerlichten Text sprechen, deshalb vielleicht auch der Verzicht auf namhafte Solisten? Anderseits arbeitet er mehr mit verbindendem Legato, es geht um ein fortlaufendes Geschehen, auch musikalisch, die Einzelnummern verbinden sich stärker zu einer Geschichte. Aus denen die Frage nach dem Warum von Einzelnen gestellt werden. Gardiner individualisiert, nimmt dein Einzelnen heraus, macht dieses Werk so humaner, noch vielgestaltiger.
Aufgeregter, spannender, unmittelbarer gibt sich Marc Minkowski in der sowie eher zu Herbheit und ungeschliffener Wucht neigenden Johannes-Passion mit seinen Les Musiciens du Louvre. Ein großes, brodelndes Welttheater über Sterben und Wiedergeburt, Auferstehung und Erlösung. Neben dem lyrisch-vergeistigten Evangelisten (Lothar Odinius) sind insgesamt nur acht hinreißende Solisten (darunter Colin Balzer, Lenneke Ruiten und David Hansen) mit von der klein besetzten Chorpartie, pro Stimmlage zwei, die gemeinsam sowohl Choräle wie Turba-Chöre bestreiten wie auch innerhalb der Leidensgeschichte die Arien und Rollen verkörpern. So verschwinden die Kontraste, alles wirkt noch unmittelbarer, ja opernhafter vergegenwärtigt. Das klingt oft hart, aggressiv, vor allem im dagegen ungleich größer wirkenden Orchester. Rasend sind die Akzente, unbarmherzig die Tempi. Da verwischt manches, aber es bleibt eine frappierende, wuchtige, aber eben nicht romantisch voluminöse Direktheit. Bach Al-fresco, ja martialisch. Die aus den beiden Fassungen von 1724/25 gemixte Passionsgeschichte als sonnendurchglühter Italo-Western.
Man kehre von Wegen zu Werken dieser Größe „zurück wie ein Forscher vom Mount Everest oder vom Mond: verwandelt“, so beschreibt Minkowski Wucht und Einzigartigkeit der geistlichen Werke Bachs. An deren Ende der immer die noch heute gültige Schlussformel gesetzt hat, ganz egal, ob man daran glaubt: Soli Deo Gloria – Gott allein die Ehre.
Johann Sebastian Bach: Matthäus Passion. Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, John Eliot Gardiner (Soli Deo Gloria); Johannes Passion. Les Musiciens du Louvre, Marc Minkowski (Erato)
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