Die Bäckchen sind ein wenig hamsterrunder als früher, aber ansonsten sieht sie noch aus wie immer, und man möchte sich in ihre tiefen, mal melancholisch dunklen, mal fröhlich blitzenden Augen versenken: Heute wird Marcia Haydée Salaverry Pereira da Silva, eigentlich in der Tanzwelt nur als Marcia geliebt, 80 Jahre alt. Die Brasilianerin von Geburt und Schwäbin aus Berufung, wurde eine der besten Ballerinen der Welt. Nicht so sehr wegen ihrer eher vernachlässigenswerten Technik (irgendwie hat sie freilich auch „Schwanensee“ getanzt), sondern wegen ihrer theatralischen Finesse. „Drama, Baby“, das könnte auch ihr Leitsatz sein. So wurde sie zur umjubelten Muse John Crankos, die die Fackel des Stuttgarter Ballettwunders selbst im fremden Santiago de Chile bis heute emporhält und zur symbiotischen Partnerin ihres zeitweiligen Lebensgefährten Richard Cragun.
Sie hätte gehen können. Angebote soll es genug gegeben haben. Damals, als John Cranko 1973 plötzlich im Flugzeug starb. Doch Marcia Haydée bleibt, springt ein, hält im Schwabenländle das künstlerische Erbe des Briten mit etlichen begnadeten Tänzern am Leben, wird somit quasi zur Mutter der bis heute weltweit anerkannten Tanzkompanie. Sie hat Fehler gemacht, viele. Aber sie hatte immer wieder das, was im Ballett wichtiger ist als Intelligenz – Instinkt. Heute feiert Macia Haydée in Südamerika. Nach Stuttgart will sie erst Ende April wieder kommen. Am Welttanztag gratuliert ihr die Truppe. Natürlich mit einer Aufführung von Crankos „Romeo und Julia“. Bei der Premiere 1962 in Stuttgart war das eine ihrer Lebensrollen, in der sie selbst 30 Jahre später noch faszinierte. Bei der Jubiläumsvorstellung 2012 war sie die Amme.
„Ich wurde bezahlt für das, was ich liebe“, hat sie mal gesagt. Geboren im brasilianischen Niteroi bei Rio de Janeiro, kommt Marcia Haydée nach einem Tanzstudium an der Royal Ballet School in London zum Grand Ballet du Marquis de Cuevas in Monte Carlo. 1958 begegnete sie dort dem Mann, der sie berühmt macht: der junge britische Choreograph John Cranko. Ihm folgt das unscheinbare Gruppentänzerinnen-Entlein zum Ballett der Staatstheater in Stuttgart. Und erblüht zum Tanzschwan der anderen Art.
Cranko macht Haydee zu seiner Ersten Solistin, schafft für sie eine unvergessene Porträtgalerie interessanter Frauengestalten von der Julia über die Tatjana in „Onegin“ und die Katherina in „Der Widerspenstigen Zähmung“. 1973 wird sie dann – zunächst etwas widerwillig – seine künstlerische Nachlassverwalterin. Ihr gelingt, was niemand für möglich gehalten hätte: Das Stuttgarter Ballett überlebt, Haydee verpflichtet die besten Choreographen, darunter John Neumeier, der für sie „Die Kameliendame“ und „Endstation Sehnsucht“ kreiert und Jiri Kylián. Einach „Divine“ nannte sie Maurice Béjart, der sie als Greta Garbo und vertrocknete Ballettmeisterin in „La Vie parisienne“ auftreten ließ. Denn Marcia Haydée ist beides: Tragödin und Komödiantin sondergleichen.
Sie zeigte auch eigene Choreografien: 1987 „Dornröschen“ (mit Cragun als Carabosse) und 1989 „Giselle“. 1996 nahm sie Abschied vom Stuttgarter Ballett. Seit 2002 leitet sie das Ballett von Santiago de Chile im Teatro Municipal. Seit 1995 ist sie mit ihrem Yoga-Lehrer Günther Schöberl verheiratet. Und blickt heute auf eine einzigartige Karriere zurück (in Santiago wurde sogar schon eine Straße nach ihr benannt), die fast nur aus Rollen bestand, die eigens für diese so besondere Tänzerin geschaffen wurden. Und in denen sich ihr größtes Talent als Tugend spiegelt: Hingabe.
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