Ein halbes Jahr hat es gedauert: Die hastig von der letzten Berliner Regierung, aber dem immer noch amtierenden Bürgermeister designierten Intendanten des Staatsballetts Berlin, Johannes Öhman und Sasha Waltz, trafen auf einer Personalvollversammlung am 27. April erstmals mit ihren wohlmöglich künftigen Tänzern zusammen. Der Vertrag ist inzwischen ratifiziert worden, dabei ist die Opernstiftung mit immer noch drei von sieben Stiftungsratsmitgliedern eigentlich nicht beschlussfähig. Ziel des Treffens war der Beginn eines offenen und konstruktiven Dialogs. Waltz und Öhman gaben dabei und tags darauf bei einer Pressekonferenz auch erste Einblicke in ihr künstlerisches Programm: neben Wiederaufnahmen sind u. a. Arbeiten der überall und nirgends (zum Teil auch längst schon in Berlin) gehandelten Choreografen Alexei Ratmansky, Sharon Eyal, Stijn Celis und Richard Siegal geplant.
Das Treffen mit dem Staatsballett Berlin verlief laut offizieller Verlautbarung „sehr positiv. Wir freuen uns, diesen konstruktiven Dialog weiterzuführen und gemeinsam eine vertrauensvolle und kreative Atmosphäre zu schaffen. Wir sind hier, um eine Brücke zu schlagen zwischen dem klassischen und zeitgenössischen Tanz.“ Noch mehr Gemeinplätze gehen wohl kaum. Immer noch ist aber nicht klar, was beide eigentlich nun an dieser Truppe interessiert und wie Sasha Waltz, die im Juni erstmals seit fast zwei Jahren im Radialsystem ihres Gatten Jochen Sandig ein neues Werk zeigen wird, ihre eigene Truppe Waltz & Friends eigenständig weiterführen will, während der offenbar nicht ausgelastete, selbst auch inszenierende Gemahl zudem die Ludwigsburger Festspiele übernimmt. Wer dort natürlich als erstes gastieren wird, wurde ja schon verkündet….
Johannes Öhman übernimmt die Intendanz des Staatsballetts bereits mit der Spielzeit 2018/19. Sasha Waltz wird wie geplant ein Jahr später mit Beginn der Spielzeit 2019/20 als Ko-Intendantin dazu kommen. Man sehen, wie gut dann ihre Stellung noch sein wird. In Belgien ist gerade wieder ein Choreografen/Manager-Modell gescheitert. An der Spitze des ästhetisch verunsicherten Ballet Vlaanderen muss sich der selten dort gesehene Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui bereits nach eineinhalb Spielzeiten einen neuen Kompaniemanager suchen. Denn die Stelle des noch amtierenden, von der Frankfurter Forsythe Company kommenden Tamas Moricz ist schon für November ausgeschrieben.
„Frau Waltz und Herr Öhman wurden von der zuständigen Senatsverwaltung aufgefordert, mit dem Staatsballett neue Wege zu gehen. Ihre Zukunftsvision ist es, das klassische Erbe zu pflegen und gleichzeitig mit den besten heutigen Choreografen Neukreationen zu erarbeiten, sowohl klassische als auch zeitgenössische. Das Modell der Ko-Intendanz mit geteilter Verantwortlichkeit und vielseitigen Kompetenzen entspricht dieser Vision.
Das Staatsballett Berlin präsentiert jährlich Produktionen an drei unterschiedlichen Bühnen der Stadt. Die neue Leitung wird 50 % der Produktionen in der Form von klassischen Balletten programmieren, 50 % werden zeitgenössische Arbeiten sein. Sasha Waltz wird ab der Spielzeit 2019/20 neue Stücke für das Staatsballett Berlin entwickeln. Ihre Compagnie ”Sasha Waltz & Guests“ bleibt dabei als eigenständige Struktur bestehen.“
So weit das Behördendeutsch. Als ob die Quote es regeln würde. Die Frage ist ja auch, wer das dann tanzen soll, wer einen komplexen Ratmansky auf Spitze und Walz’ expressive Wallungen für Individualisten beherrschen wird. Und auch bei den angedachten Klassiker-Titeln fragt man sich schon, ob die Neuen jemals die alten Spielpläne angeschaut haben? Öhman möchte Bournonville machen, „La Sylphide“ zuletzt war die Schaufuß-Produktion in der Malakhov-Zeit zu sehen, gibt es da nichts anderes? Marcia Haydee wird ihre uralte Stuttgarter „Giselle“ nach Berlin transferieren, wo man mit Ray Baras traditioneller Fassung eigentlich bestens bedient ist. Ratmansky will seine „Bajadere“-Version zeigen – die nicht so viel anders sein wird als die zuletzt 2015 wiederaufgenommene Fassung von Malakhov. Und dazu ein abendfüllender Forsythe-Abend.
Alles unglaublich originell. Da geht jemand mit der Einkaufstasche herum und hat zumindest ein ordentlichen Speisezettel dabei. Aber innovativ, wegweisend ist das nicht. Wofür braucht man für so etwas eine Sasha Waltz in der Leitung? Oder reicht es uns schon, dass es besser wird als unter Nacho Duato? Eine scheint aber gelungen: Der Widerstand der Truppe ist offenbar gebrochen, die Proteste sind verpufft. Oder ist das Resignation, auf die Abwanderung folgen wird? Von der stolzen Truppe der Malakhov-Ära wird jedenfalls nach 2019 so gut wie niemand mehr da sein.
Der Beitrag Berliner Ballett-Perspektiven: Es bleibt provinziell erschien zuerst auf Brugs Klassiker.