Und wieder ist es eine weniger. Gleich nimmt Nadja Saidakova, einer der prägenden Ballerinen der Malakhov-Ära, ihren Bühnenabschied beim Berliner Staatsballett – auf der Höhe ihres Könnens und in einer der schönsten Rollen überhaupt: als Tatjana in John Crankos Eugen Onegin. Noch einmal junges, scheu verliebtes Mädchen sein, dann reife, gefühlsstarke Frau, die ihr gesellschaftliches Leben nicht für einen ewigen Hallordri wegwerfen will, der sie eins verschmähte. Saidakova, geboren im russischen Ischewsk, erhielt ihre Ballettausbildung an der Staatlichen Ballettakademie in Perm. Dann tanzte sie zunächst beim Klassischen Ballett Moskau, wo sie Malakov kennen lernte. 1991 wurde sie Solotänzerin beim Ballett der Deutschen Oper am Rhein. Seit 1995 war Nadja Saidakova erste Solotänzerin beim Ballett der Staatsoper Unter den Linden, dem heutigen Staatsballett Berlin. Nach 22 Jahren und vielen glanzvollen Auftritten schließt sich jetzt für die 45-Jährige der Bühnenvorhang. Der Titel Kammertänzerin, den gerade erst absurderweise (Namedroping ist eben alles) die nur noch als teurer Gast engagierte Polina Semjonova nachgeworfen bekommt, verweigerte man ihr, wie schon Beatrice Knop. Wohl als Ausgleich für die Unkündbarkeit, die heute sowieso nicht mehr zu erlangen ist. Saidakova, die vor kurzem ihr zweites Kind bekommen hat, wird als Trainingsmeisterin dem Ensemble verbunden bleiben.
Nadja Saidakovas Repertoire war beeindruckend riesig und vielseitig. Es beinhaltete die großen romantischen und klassischen Partien, insbesondere in den Neubearbeitungen von Rudolf Nurejew, Heinz Spoerli und Patrice Bart, aber auch moderne Stücke, unter anderem von Maurice Béjart und William Forsythe. Im Rahmen des Projektes „Shut up and Dance“ des Staatsballetts Berlin zeigt Saidakova regelmäßig eigene Choreografien. 2009 wurde bei den Berliner Festspielen ihr abendfüllendes Werk „Egopoint“ uraufgeführt, eine Kooperation mit dem DJ Luke Slater. Der Tanzfotograf Gert Weigelt hat mit ihre diverse Kurzfilme und unzählige Aufnahmen verwirklicht. Denn wie kaum eine andere konnte diese Tänzerin wirklich alles, die harten und die zarten Rollen, die Turbotechchnik-Partien, wie auch lyrische Charaktere.
Sie war eine fragile, wandlungsfähige schauspielerisch erstklassige Gestalterin aber auch eine kraftvoll zähe Interpretin jeder Art von modernen Materials, schnell und langsam, schräg und schön. Mit ihr wird die Ballerinenriege des Staatsballetts bedeutend ärmer werden. Wenn der Schwund an Persönlichkeiten so weiter geht, dann kann Johannes Öman 2019 das Staatsballett besenrein übergeben.
Der Beitrag Nadja Saidakova hört auf: die Harte und die Zarte erschien zuerst auf Brugs Klassiker.