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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Nach 140 Jahren: in Leipzig wurde mit „Cinq-Mars“ ein starker Gounod wiederbelebt

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Ein Opernchef verliebt sich. So geschehen 2015 anlässlich der Einspielung von Charles Gounods komplett vergessener tönender Histo-Tragödie „Cinq-Mars“ durch Ulf Schirmer und das Münchner Rundfunkorchester. Inzwischen liegt der Vierakter auf einer hochgelobten CD vor, und jetzt hat Schirmer, der ja auch Intendant der Oper Leipzig ist, auch szenische Taten folgen lassen. Und wieder ist die Erfolgsstrategie der Stiftung Palazzetto Bru Zane aufgegangen, die sich mit den richtigen Partnern für die vergessene französische Musik des 19. Jahrhunderts stark macht. Während gerade deren jüngste Operneinspielung, Camille Saint-Saëns’ „Proserpine“, erschienen ist, Mehuls „Uthal“ mit dem Vierteljahrespreis und die Arbeit der Stiftung selbst mit dem Jahrespreis des Preises der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde, kommt Gounods Oper um Liebe, Intrigen und Enthauptung 140 Jahre nach er eigentlich glücklichen Pariser Uraufführung nun wieder auf der Bühne. Es dirigiert jetzt David Reiland, Anthony Pilavachi inszeniert liebe- und prunkvoll, dem unbekannten Stück nichts aufpfropfend, in historistischem Ambiente, das aber immer als Zitat erkennbar.

Warum ist Charles Gounod nach einer Musiktheaterschaffenspause von zehn Jahren mit der zehnten seiner zwölf Opern nicht wirklich gelandet? Trotz den Erfolgen von so melodieseligen Klassikern wie „Faust“ (1859), „Roméo et Juliette“ (1867) und selbst „Mireille“ (1864)? Das versuchte ein interessantes Symposium am Vormittag der Neuaufführung der hier als „Der Rebell des König“ auf „einen Brad Pitt des 17. Jahrhunderts“ (Pilavachi) neugieriger machend gegebenen Oper zu ergründen. Und kam zu zwei Ergebnissen: einmal waren nach dem 1870er-Krieg kaum noch gute Sänger in Paris zu finden, deswegen wurden wohl schon auch die Interpretinnen der beiden weiblichen Hauptrollen heftig kritisiert. Und weil versierte Männerstimmen noch mehr Mangelware schienen, wurden zwei wichtige Rollen, nur sehr klein bzw. gar nicht besetzt.

Was dazu führte, dass die authentische Geschichte um den ungestümen Königsgünstling Henri, Marquis de Cinc-Mars, der sich gegen seinen Regenten verschwor und 1642 in Lyon erst 22-jährig hingerichtet wurde, auf Ludwig XIII. fast und auf den im Hintergrund die Strippen ziehenden Kardinal Richelieu ganz verzichten wurde. Zwar kennt den Fall in Frankreich jeder Geschichtsschüler, aber im Ausland förderte dieses Manko die Verbreitung der Oper schon gar nicht.

Fotos: Tom Schulze

Anthony Pilavachi hilft dem ab. Er zeigt den Kardinal, ganz wie wir ihn aus dem „Drei Musketiere“-Filmen kennen, schon in der langen Ouvertüre (und noch mehrmals später) als stummen Bösen, der der verzweifelt vor dem abgeschlagenen Kopf ihres Geliebten knienden Prinzessin Marie de Gonzage die eigentlich für sie bestimmte polnische Königinnenkrone autoritär auf das Haupt drückt. Das wird in einem riesigen, zweidimensional reproduzierten Goldbilderrahmen ausgestellt. So rückt die Regie unaufdringlich wie gleichzeitig die grausamen TV-Bilder unserer Zeit, die eigentlich starre Tableaux-Ästhetik der Grand Opéra, die historische Frühbarockepoche in den Männer-Kostümen und Langhaarperücken sowie die Ära der Entstehung in den Damenkleidern und Frisuren à la Winterhalter, dem Lieblingsporträtisten des Zweiten Kaiserreichs, in den szenischen Fokus.

Das gerät zu einer optisch prunkvollen, aber eben nicht nur in kostbar schillernden Stoffen und pastellfarben schwelgenden Melange. Ausstatter Markus Meyer präsentiert die repräsentativen Schauplätze wie verfremdete Postkarten als raffiniert collagierte Kulissenbühnen-Veduten aus Versailles oder Garniers Opernpalast. Das sind deutliche Reminiszenzen, denen die kunstvoll theatralisch beleuchtete Leere des Kerkers und der Hinrichtung gegenüber gestellt werden. Der scheinbare Realismus ist oft auch durch grotesk kollektive Chorbewegungen unterlaufen. Der historische Bilderbogen nach einem Roman Alfred de Vignys, altertümlich und royalistisch rückwärtsgewandt schon bei der Uraufführung, ist konsequent stilisiert.

Das beschäftigt das wache Auge und macht gleichzeitig das Ohr weit für die Gounod-gewohnt honigseimsüße, melodieselige, einige Male nur knapp am Ohrwurmstatus vorbeischrammende Musik. Die ist süffig, satt orchestriert, dramatisch schlagkräftig und mit vollsatten Chören. David Reiland am Pult des gut aufgelegten Gewandhausorchesters akzentuiert das besonders nach der Pause mit strudelhaft vorantreibenden Tempi, ohne die lyrischen Ruheinseln zu gefährden.

Die Partitur, zunächst für die Opéra comique mit ausufernden Dialogen konzipiert, dann mit Rezitativen umgearbeitet, gefällt sich in der etwas langen, dafür als goldinkrustiertes Schäferspiel szenisch integrierten Balletteinlage (die Julia Grunwald choreographisch trutschig brav gerät) in pavaneschreitenden Stilkopien, schwingt sich zu einigen schönen Ariosi auf (die Gefängnisszene des Cinq-Mars gehört eigentlich in jede französische Tenor-Anthologie) und präsentiert drei herrliche, durchaus Posa-Carlos ähnliche Männerduette für den Tenor und seinen mahnenden Baritonfreund Conseiller De Thou, die von großen (sogar ambivalenten) Gefühlen und viel Vergeblichkeit handeln.

In Leipzig hat man das mit viel Gepränge, Aufwand und Liebe auf die Bühne gebracht. Und auch vokal sorgfältig besetzt. Wie schon auf der CD ist Mathias Vidal mit seinem schlanken, feinen Tenor ein Ideal: höchst stilvoll gesungen, mit feiner voix mixte sich emporschwingend, seelenbebend und engagiert. Der flexible Bariton von Jonathan Michie steht dem als De Thou angenehm zur kerligen Freundschaftsseite. Mark Schnaible hat Spaß an den aasig basstiefen Brunnenvergiftertönen des Père Joseph, der hier als Richelieu-Vollstrecker herhalten muss. Die historischen Kurtisanen Marion Delorme (Danae Kontora mit hochfliegender Koloratur) und Ninon de Lenclos (solide: Sandra Maxheimer) dienen vorwiegend der Dekoration mit Weiblichkeit. Doch die Princesse de Gonzague, in die sich der vom König abfallende Cinq-Mars (der zudem wenig sympathisch mit den feindlichen Spaniern kooperiert) ungünstigerweise verliebt, wird von Fabienne Conrad zwar engagiert gespielt, bleibt aber mit ihrem flachen, einfarbigen Sopran vokal auch nur Ausschmückung – angenehme Klangtapisserie im üppigen Tontableaux.

Das schmälert aber nicht den Wert dieser bedeutenden Ausgrabung. Die man sich jetzt als nächstes durchaus szenisch frecher, respektloser, satirischer in ihrem Hin und Her zwischen politischen Machtspielen und amourösen Rochaden, himmelhochfahrenden Gefühlen und bösartigen Bauchlandungen vorstellen könnte.

 

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