Vor sechs Jahren brachte der Ex-Monty Python Terry Gilliam in London als erste Operninszenierung gleich ein so komplexes Stück wie Berlioz’ „La Damnation de Faust“ heraus. Die ist inzwischen in Berlin gelandet und wird an der Staatsoper im Schiller Theater von Simon Rattle dirigiert. Direkt anschließend leitet der dort eine Wiederaufnahme der von ihm schon 2014 betreuten Andrea-Breth-Inszenierung von Janaceks „Katja Kabanova“. Die war freilich auch kein Berliner Original, sondern ein Brüssel-Import aus dem Jahr 2010. Nach einen Rückblick auf die freche, natürlich mit allen Klischees zwischen Briten und Hunnen/Krauts spielenden Klischees Berlioz-Produktion ein paar Fragen an Simon Rattle
Der Teufel als Puppenspieler samt dickärschigem Assistenten sagt sich unter Donner, Blitz und rotem Rauch selbst als Puppenspielmacher an. Damit ist noch vor dem Vorspiel der Grundakkord gesetzt, über dem Terry Gilliam, der ehemalige Cartoonist, Trickfilmanimator und weltberühmte Regisseur fantasmagorischer Filmwelten, mit „La Damnation de Faust“ einen prallbunt überdrehten Berlioz-Bilderbogen auffächert, der – typisch englisch – schnell bei den Nazis endet. Offenbar führt für manche Briten der Weg von der deutschen Innerlichkeit der Romantik bis heute nur zu Adolf Hitler. Das ist nicht neu, immerhin aber für eine starke Optik gut. So stapft anfangs Faust durch eine kulissenklassisch gepinselte Caspar-David-Friedrich-Bergseelandschaft. Faust sieht aus wie Friedrich Nietzsche. Auf seinem Rücken türmt sich in einer Kiste Forschungsgerät, an dem er sich wie Sisyphos abschleppt. Natürlich wird er von Landbevölkerung als Außenseiter abgelehnt. Das kann für den „mad scientist“ nicht gut enden.
Hector Berlioz lässt seinen gewaltig schäumenden „Faust“-Handlungsfluss immer wieder wie Stolpersteine durch Intermezzi und Tanzeinlangen elliptisch ins Stocken kommen. Diese bindet Terry Gilliam in seine, virtuos die Bühne in Bewegung haltende, höchst satirische Sicht der Dinge ein. Der „ungarische Marsch“ wird gleich zur Tea Party europäischer Mächte, bei der die von Kaiser Wilhelm angeführten Operetten-Monarchen den nationalen Kuchen wild zerschneiden. Pickelhauben mutieren zu Stahlhelmen, zwischen Senfgasopfern findet sich Faust zum Osterspaziergang im Schützengraben wieder. Später führt ihn seine Reise in ein Spiegelkabinett und in Auerbachs Keller, der einem expressionistischen Weimar-Pandämonium von Otto-Dix- und George-Grosz-Kopfgeburten ist.
Hier werden zum „Lied von der Ratte“ von den Nazis erst die Kommunisten samt Rosa Luxemburg exekutiert und dann, Mephisto singt sein Floh-Couplet, sechsarmige Ungeziefer-Juden verprügelt. Weiter geht es gleich zum Obersalzberg, wo der Führer über den Gipfeln von der Weltmacht träumt und Faust als Siegfried in einer Wagner-Aufführung erwacht. Während Berlin mit Riefenstahl-Reihen blonder Bestien Olympia feiert, macht sich parallel die Wehrmacht kampfbereit.
Gretchen sieht Faust erstmals als Brünnhilde, doch die stellt sich später als Jüdin mit blonder Zopfperücke heraus, die dummerweise arische Männer liebt. Während der „Reichskristallnacht“ wird sie deportiert. Im Viehwagon nach Auschwitz singt sie von der „Liebe, der brennenden Flamme“. Kurz danach landet Faust nach einer wilden Motorradjagd in der Hölle, wo er auf ein Hakenkreuz gebunden wird, während Hitler hysterisch deutschgrüßt. Da kann Gretchens Errettung und Erlösung nur noch ein KZ-Leichenberg sein.
Furios, wie Gilliam seine Chormassen führt und verführt, wie er Versatzstücke bewegt, Videos rotieren lässt. Konsequent sind diese faustische Deutung und die parodistische Choreografie eines nationalen Untergangs. Berlioz ist übrigens mit seinem Werk nie glücklich geworden, finanziell zerbrach er daran. Der ihm in seiner Anarchie durchaus geisterverwandte Gilliam gibt „La Damnation de Faust“ eine Stringenz, die nicht bequem ist, aber fesselt.
Sie dirigieren dieser Tage Opern von Berlioz und Janacek hintereinander weg an der Berliner Staatsoper im Schiller Theater. Warum das denn?
Es ist Zufall, aber mir macht es Spaß, die gehen beide in eine so total andere Richtung! Und ich habe beide Komponisten sehr gern, deshalb dieses Mal als Menü zur gleichen Zeit. Warum also nicht? Ich bin in the mood, hop on hop off, wie bei den Touristenbusen auf Stadtrundfahrt. Und es trainiert zudem die Staatskapelle ungemein, das ist ja nicht ihr übliches Menu
Unterschiede? Gemeinsamkeiten?
Beide erfordern ein Spiel auf der Stuhlkante, weil es so anders ist, die Anforderungen der Komponisten nie nachlassen. Bei der „Damnation“ kommt hinzu, das Terry Gilliam seine Drehbühne nie still stehen lässt. Bei der Premiere an der English National Opera hatten sie bis zur Premiere keinen einzigen ununterbrochenen Durchlauf, weil es technisch so kompliziert ist. Mal sehen, wir wir das in Berlin hinbekommen. Ich habe das Stück zwar gut drauf, habe es gerade letztes Jahr ja auch mit den Philharmonikern konzertant aufgeführt, aber jetzt muss alles szenisch zusammenkommen. Immerhin ist meine Frau Magdalena dabei, das garantiert eine gewisse Sicherheit.
Janacek ist aber auch kein Zuckerschlecken…
Ja, aber ich mache den wieder mit der wunderbaren Eva-Maria Westbroeck. Und jetzt sind wir zudem um eine gemeinsame „Tristan“-Erfahrung reicher. Da ist es ein willkommenes Zurückschauen. Ich mag diese strenge Visualisierung, Katjas Eisschrank als Zuflucht vor der erdrückenden Bürgerlichkeit, der Selbstmord in der Badewanne. Nach dem überdrehten Gilliam-Slapstick wird das ein Konzentrat in Grau, ein Requiem. Wunderbar, dieses Umschalten.
Und wie gehen Sie mit so unterschiedlichen Regisseur-Persönlichkeiten um?
Terry Gilliam ist sehr musikalisch, auch wenn er Unmögliches möchte. Und Andrea Breth ist sehr konsequent. Sie hat eine pessimistische Weltsicht, aber hier passt das absolut, ihre Sichtweise ohne jede Folklore, gibt dem Werk eine noch strengere, konsequentere Fallhöhe.
Termine Damnation: 27. Mai, 1., 4., 9., 11. Juni; Katja Kabanova: 14., 18., 22., 25. Juni
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