Ein Abend des Wohllauts und der Begeisterung, wenn auch ein wenig verhalten, nach Berliner Art eben. Genau auf den Tag vor 50 Jahren, am 31. Mai 1967 debütierte ein junger spanisch-mexikanischer Tenor hier mit der hastig gelernten Rolle des Riccardo in Verdis „Maskenball“ – Plácido Domingo. Das war freilich an der Deutschen Oper. Von der sich jetzt niemand im Saal des Schiller Theaters hatte blicken lassen, nachdem dieses symbolträchtige Datum natürlich von einem anderen besetzt worden war. Denn der inzwischen Bariton singende Tenorissimo feierte lieber bei seinem Freund Daniel Barenboim, wo er in den letzten 25 Jahren regelmäßig zu erleben war: Hier gab er nicht nur sein Bariton-Debüt als Simon Boccanegra, hier sang Domingo auch seinen ersten Graf Luna (der freilich zum Glück schnell wieder aus dem neuen Repertoire verschwand) und seinen ersten Macbeth. Und ganz klar: Hier wurde er am Ende des mit warmen Beifall bedachten Abends auch noch zum Ehrenmitglied der Staatsoper ernannt.
Und Berlin war somit im nach wie vor engen Terminplan des berühmtesten und ja auch: legendärsten Sängers, der gegenwärtig noch auf einer Bühne zu erleben ist, immer noch gut dran. Den Hamburgern, die anno 1967 bei seinen drei wichtigen Debüts an deutschsprachigen Häusern in der Mitte lagen und wo er immerhin später seinen ersten Otello wie Lohengrin ausprobierte, zeigte Domingo die kalte Schulter. Bevor er im Lauf des Jahres noch in Verona und Los Angeles (wo er nach wie vor die Oper leitet) mit Galakonzerten feiern wird, beglückte der offiziell 76-jährige Weltstar die Wiener, an die ihn naturgemäß viel engere Bande binden, am 19. Mai (auch genau das damalige Datum) mit drei kompletten Verdi-Akten.
Erstmals sang Domingo dort den Grafen Ankarström im dritten Akt von „Un ballo in maschera“ neben Ana Maria Martinez und Ramon Vargas. Es folgte das 1. Bild des 2. Akts aus „La traviata“ mit Dmitry Korchak und Sonya Yoncheva sowie das „Simon Boccanegra“-Finale. In Wien hat er es immerhin auf 253 Auftritte gebracht. Zum Dank gab es zwei Ausstellungen, eine Publikation, „Plácido, wie lieben dich“-Transparente sowie ein „Andrea Chenier“-Kostüm. Und am 11. Juni wird er in Wien in jener Oper zu sehen sein, in der er am 19. Mai 1967 erstmals auf der Staatsopernbühne stand, in Verdis „Don Carlo“, diesmal jedoch nicht in der Titelrolle, sondern als Marquis von Posa. Ein Termin, dem viele Domingo-Liebhaber auch mit Zweifel entgegensehen.
Denn schließlich ist das keine Rolle für einen alten Mann, wie berühmt auch immer er sei. Und natürlich bemerkte man auch in Berlin seine vokalen Limits – freilich erst im zweiten Teil. Vorher sang er noch einmal sehr berührend das Traviata-Germont-Duett mit Elsa Dreisig, einer aufstrebenden Sopranistin, die 2016 seinen Operalia-Wettbewerb gewonnen hat und wie alle anderen Beteiligten gegenwärtig im Staatsopernensemble singt. Es folgte das große Duett aus dem ersten „Macbeth“-Akt mit der erdig-schlanken Marina Prudenskaya und René Pape hatte extra den Fiesco-Part im 3.Akt-Duo aus „Simon Boccanegra“ einstudiert. Und zu studieren war auch, wie intakt diese Domingo-Stimme noch ist, wie er Kraft seiner Persönlichkeit Charaktere gestaltet, wie sehr ihm das Verdi-Idiom zweite Natur scheint und wie man mit der Gnade eines sofort erkennbaren Timbre selbst im höchsten Sängeralter noch bezaubern kann.
Bei dem „Traviata“-Vorspiel und der „Macht des Schicksals“-Ouvertüre, die den ersten Verdi-Teil instrumental rahmten, kamen Daniel Barenboim und die Staatskapelle auf der übervollen Bühne über wenig geprobtes Abhaken nicht hinaus, dafür bewegten sie sich in der zweiten Wagner-Hälfte mit „Meistersinger“-Vorspiel sowie „Tristan“-Vorspiel und Liebestod in ihrer gewohnt klangprächtigen Komfortzone. Hier waren die Herausforderungen für den Star bestimmt: Der sang erstmals sehr schnell Wolframs Abendstern-Lied, wo man nur den „Sälgen Ängl“ einigermaßen verstand (das alte Domingo-Deutsch-Problem) und mit deutlichen, aber physiologisch natürlich nachvollziehbaren Legato-Schwächen. Die Stimme eiert an den Rändern, das fiel auch beim stark an den Noten klebenden „Parsifal“-Finale ab „Nur eine Waffe taugt“ auf, wo dann noch einmal Tenorhöhen in Annäherung erklommen wurden. Für zwei Mal „Erlösung dem Erlöser“ wurde um halb elf Uhr abends sogar der Staatsopernchor bemüht, doch so ging die Gala feierlich transzendent zu Ende. Und wie man hört, ist Plácido Domingo auch mit Bayreuth noch nicht ganz fertig…
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