Im März habe ich ihn noch einmal in der schönen Philharmonie de Luxembourg erleben können. Am Pult seine Lieblingsorchesters, der Tschechischen Philharmonie, hat Jiri Belolavek ein hinreißendes Programm mit Dvoraks Othello-Ouvertüre, Mozart: 5. Violinkonzert und Bohuslav Martinus: 4. Sinfonie dirigiert. Er war dünn, immer noch ohne Haare, aber gut gelaunt und verspeiste hinterher mit großem Appetit eine Bouillabaisse. Gerade Martinu war Belolavek in seinen letzten Jahren ein Anliegen, er wollte einige seine Sinfonien einspielen, doch dazu kommt es jetzt nicht mehr. Wie die Tschechische Philharmonie mitteilte, ist dieser wunderbar uneitle, liebenswerte, aber in der interpretatorischen Sache unnachgiebige Dirigent jetzt im Alter von 71 Jahren verstorben. Er hat gestern Nacht den Kampf gegen den Prostata-Krebs verloren.
Belohlavek galt als Grandseigneur und Pfeiler der Dirigentenzunft seines Landes, als Spitzeninterpret insbesondere tschechischer Komponisten von Antonin Dvorak über Bohuslav Martinu bis Leos Janacek. Er wurde am 24. Februar 1946 in Prag geboren und interessierte sich bereits als Kind für die Musik. Bereits im Alter von vier Jahren war er Mitglied eines Kinderchors und nahm bald Klavier- sowie Cellounterricht. Nach einem Cellostudium am Prager Konservatorium griff er schließlich zum Dirigentenstab und nahm bei Sergiu Celibidache Meisterstunden.
Als Assistent des rumänischen Maestros gewann er 1970 einen Young-Conductors-Wettbewerb in Tschechien und erreichte im Jahr darauf das Finale des Herbert-von-Karajan-Dirigentenwettbewerbs. Nach Stationen bei den Brünner Philharmonikern sowie den Prager Symphonikern führte ihn sein Weg bereits Anfang der 1990er zur Tschechischen Philharmonie, wo er von 1990 bis 1992 in der Nachfolge von Vaclav Neumann das Orchester dirigierte. Doch als die Orchestermusiker erstmals das Recht erhielten, ihren Dirigenten in geheimer Wahl selbst zu bestimmen, endete das Engagement Belolaveks im Streit.
Von 2006 bis 2012 leitete er mit großem Erfolg das BBC Symphony Orchestra, einen der wichtigsten Klangkörper in Großbritannien, wo man ihn besonders liebte und wo er endlich zudem internationalen Ruhm kam, den er so sehr verdiente, den der Bescheidene, Zurückhaltende aber nie angestrebt hatte. Dreimal dirigierte er das BBC Orchester bei der legendären „Last Night of the Proms“. Für seine Leistungen in London zeichnete ihn Königin Elisabeth II. mit dem britischen Verdienstorden „Commander of the British Empire“ aus.
Er führte die Philharmonie mit Sitz im Prager Rudolfinum dann doch ab 2012 zu internationaler Anerkennung. Erst im Januar hatte Belohlavek seinen Vertrag mit dem Orchester um weitere sechs Jahre verlängert. Belolavek hat in Prag zuletzt ganze Arbeit geleistet. Das zerrissene und vernachlässigte Orchester wurde von ihm bereinigt und glanzpoliert. Im Jahr ihres 121. Bestehens kann es so wieder an den Ruhm der großen, diesen besonderen Klangkörper prägenden Namen von Karel Ancerl, Rafael Kubelik und Vaclav Talich anknüpfen. Belolavek handelte zudem einen erstaunlichen Plattenvertrag mit der Decca aus und legte gleich zu Anfang seiner Amtszeit mit einer Acht-CD-Box ein Herzstück des Repertoires in neuer, klangfeiner, packender, beifällig aufgenommener, natürlich im schimmernd klingenden Rudolfinum produzierter Interpretation vor: alle neun Dvorak-Sinfonien plus die Konzerte. Das war mutig, aber erfolgreich. Plötzlich war die Tschechische Philharmonie wieder ein Schmuckstück. Ein weitere CD mit den Slawischen Tänzen folgte letzten Herbst.
„Ich finde es wichtig, diese Tradition zu pflegen und hochzuhalten“, erzählte Belolavek: „Wir sind ein kleines Land, da sind Identitäten bedeutend, das habe ich insbesondere im Ausland immer wieder erlebt. Aber man muss sie lebendig halten, darf sich nicht den Blick verengen. Natürlich müssen wir auch das Repertoire ausweiten, aber die reichhaltige Komponistenpalette möchte ich frisch erhalten, auch, das ist nun mal eine Besonderheit, weil in diesem Orchester eigentlich nur heimische Musiker sind. Wir haben eine DNA und Erziehung, wir verstehen, was wir spielen..“
Man tourt wieder verstärkt, regional, national, international. In Wien hat man eine Residenz im Musikverein, inzwischen spielt man auch wieder in der New Yorker Carnegie Hall. Und besonders in England liebt man die Tschechische Philharmonie. Nach dem Instrumentalwerk folgte als nächste Aufnahmeaufgabe das Vokalwerk Dvoraks; eben wurde ein hinreißendes, zartes und doch auch voll tönendes Stabat Mater veröffentlicht. Dabei bleibt es jetzt wohl. Auch seine Pläne mit Josef-Suk-Tondichtungen und Mahler-Sinfonien konnte Jiri Belolavek nicht mehr verwirklichen. Jetzt wird sich in Prag vieles auf seinen Zögling Jakub Hrusa konzentrieren. Der freilich leitet seit letztem Herbst die Bamberger Symphoniker.
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