Achter Tag der aktuellen DSO-Tournee. Und noch sind keine Müdigkeitserscheinungen erkennbar. Von Krankheitsfällen ganz zu schweigen. Dotoressa Licini hat die Hände frei und macht Bootsausflüge mit Sushi und Sake satt. Für die Musiker heißt es neue Halle, neue Konzertglück. Zumal auch jetzt das Repertoire nach der durchaus pädagogisch wertvollen Beethoven-Diät wechselt. Nicht radikal, man bleibt der deutschen Klassik/Romantik sehr puristisch verhaftet, aber die Stücke sind erstmals auf der Reise komplett ausgetauscht. Schließlich müssen allein in Tokio vier Konzerte bestückt werden.
Dafür wird richtig doll geübt, da frage also noch einmal einer die Musiker: „Und was machen Sie so tagsüber?“ Auf den Fluren des New Otani wird gefiept und gefiedelt, geschrummelt und geblasen. Nur die Beherrscher der großen und wirklich lauten Instrumente haben das Nachsehen. Sie müssen zum Üben in die Halle, wo ihre Schätze in den Transportkisten ausharren. Doch schon ab zwei Uhr setzt sich ein steter Strom auch von Geigen, Flöten und Oboen samt Frauchen und Herrchen zum zwanzig Minuten entfernten Konzertort in Bewegung. Dabei ist erst um halb fünf Probe, neunzig Minuten. Dann eine Stunde später 120 Minuten Konzert. Für die, die alle Stücke zu spielen haben, ordentlich viele Noten.
Der zweite Abend, der endlich wieder einmal in die beglückend gute, romantisch runde Akustik der Suntory Hall führt, wurde komplett von einer luxuriösen Autofirma aufgekauft. Dass das Publikum im ersten Teil mit Schuberts Rosamunde-Ouvertüre und Mendelssohns Violinkonzert noch verhalten reagiert, zeugt aber nicht von musikalischen Desinteresse der vorher eher bescheiden mit kaltem Tee und Bagels versorgten Firmengäste. Offenbar hat das japanische Publikum inzwischen wirklich ein feines Näschen für Qualität.
Denn immer öfters wird im Tourneegeschäft bei den Solisten gespart, solches soll dann durch einheimische Kräfte wettgemacht werden. Doch der patriotische Stolz hält sich diesmal in sehr fassbaren Grenzen. Denn die im püppchenhaften Glitzerkleid antretende 29-jährige Geigerin Mayuko Kamio ist so eine typische Tourneesolistenkröte, die man heute offenbar stoisch schlucken muss. Sie mag zwar bei den besten Lehrern von Dorothy DeLay bis Zakhar Bron studiert haben, eine Stradivari aus dem Besitz von Joseph Joachim (er hatte einst sechs) spielen dürfen und sogar schon eine beachtliche japanische Diskographie vorweisen. Musikalität, eine wirklich reine Intonation und einen schönen Ton hat ihr freilich keiner vermittelt.
Wie mit dem Scheuerschwamm bearbeitet sie mit finstrer Miene grob und grell die Saiten, das zarte, fragile Mendelssohn-Konzert spult sie mit dem Stoizismus einer Maschine ab, unsensibel laut und grell besonders am Anfang und Ende. Zwischen ihr, dem routiniert das abwickelnden Tugan Sokihev und dem Orchester scheint ein Graben nicht nur aus Klängen zu liegen Zum Glück hat das DSO mit ihr nur zwei Auftritte. Am Abend vorher war in der Suntory Hall übrigens ebenfalls das Mendelssohn-Konzert zu hören, auch mit einer japanischen Solistin, die hier mit der Tschechischen Philharmonie unter Jirí Belolavék auf ein Heimspiel hoffte. Eigentlich wollte ich gerne das Orchester wieder einmal hören. Aber selbst das Management hatte diskret abgeraten, man war mit der Dame alles andere als glücklich…
Umso größer ist der Beifall, ja Jubel für das DSO tags später dann nach der 1. Sinfonie von Johannes Brahms. Die gelingt mit wunderbar vollem, runden Ton, ganz anders als der schlanke Beethoven der vorangegangenen Tourneetage, und trotzdem ist sie keine Kalorienbombe. Man kann wieder einmal exemplarisch beobachten, wie das Orchester und sein diesmal stabloser, mit wenigen, aber absolut klaren und direkt umgesetzten Bewegungen agierender Chefdirigent in den letzten drei Spielzeiten zu einer Einheit verschmolzen sind, wie hier wirklich Musik gemacht und dabei neuentdeckt, nichts einfach absoviert wird. Sokhiev besitzt die seltene Gabe, ohne jede äußerliche Show seine Musiker zu motivieren und zu begeistern; was sich automatisch auf das Publikum überträgt.
Er selbst äußerst sich schon nach der Probe enthusiastisch: „Es ist wirklich schön, wenn es so einfach und so gut läuft. Wir alle fühlen uns davongetragen. Ich muss eher bremsen als anspornen. Natürlich, etwas rhythmische Disziplin geht immer. Aber mit dem DSO ist es echt ein gutes, inspirierendes Arbeiten geworden. So vieles wird sofort umgesetzt, gespeichert und ist dann automatisch abrufbar – aber nie mechanisch, immer auf den Augenblick und auf meine Zeichengebung hin reagierend. Das inspiriert ungemein! Schade, dass wir in Berlin so wenig deutsches Repertoire gespielt haben. Immer ist uns irgendwer anderes von der Klassikkonkurrenz mit Brahms zuvorgekommen!“
Dann wird Sokhiev für seine Verhältnisse richtig offensiv: „Ich finde es wichtig, gerade bei diesen Komponisten ohne Scheuklappen, nur mit dem besten Notentext vor Augen, immer wieder einen Neuanfang zu versuchen. Ich mag keine Dogmatiker, deswegen ist mir die Barockbewegung stets etwas suspekt geblieben. Man muss Mozart, Beethoven, Mendelssohn, Brahms für unsere Zeit und unserer Zuhörer musizieren, aber nicht für ein angeblich korrektes historisches Ideal. Daran möchte ich verstärkt arbeiten. Aber ich werde ja wiederkommen, schon zum Finale der nächsten Spielzeit. Für mich ist die Reise mit diesem Orchester auch nach dem Ende meiner Zeit als Chef definitiv nicht abgeschlossen. Allerdings ist das Bolschoi Theater doch arbeitsintensiver als gedacht. Wir sind in Moskau auf einem guten Weg, auch wenn es dauert. Immerhin gibt es jetzt endlich einmal eine künstlerische Planung, die bereits bis 2018 reicht. Das war in Russland bisher einfach nie möglich.“
Und noch ein Foto-Fund in Hotelnähe: Der alte Toyokawa Inari Schrein im Stadtteil Akasaka war eigentlich ein buddhistisches Heiligtum, aber musste (wie so oft im religiös sehr pragmatischen Japan) in der Meiji-Ära, die die importierten Glaubensrichtungen zurückdrängen wollte, auch einer Shinto-Gottheit geweiht werden – in diesem Fall dem Fuchsgott Inari. So wurde daraus der auf einem Fuchs reitende Buddha Dakini-Shinten. Besonders beliebt ist der Tempel freilich bei Kreativen, Sängern, Musikern, Schauspielern, TV-Stars, Malern, Designern und Schriftstellern, die hier am Neujahrstag zwischen rotweißen Bannern und unzähligen Fix und Foxis für gute Eingebungen im folgenden Jahr beten.
Morgen mehr!
Der Beitrag DSO in Fernost: Asientournee VII erschien zuerst auf Brugs Klassiker.