Pesaro als Schicksalsort: hier wurde Olga Peretyatko berühmt, hier heiratete sie und hierher kehrt sie nun geistig mit einem Rossini-Rezital zurück. Und so gibt es diesen Sommer zwar vom etwas schwächelnden Rossini Festival in den Marken nichts sonderlich aufregendes zu berichten, aber wenigstens ein dort geistig beheimatete, wenn auch in Bologna eingespielte CD, die richtig Hörspaß macht. Mit gestochen brillanten, trotzdem sanft perlenden Spitzentönen, feingliedrigen Koloraturen und gefühlvollen Legato-Linien: die 35-jährige Petersburgerin auf der Höhe ihrer Kunst in dieser Hommage an Gioachino Rossini, der sie die ersten Stufen ihrer Karriereleiter quasi schwerlos hinaufexpediert hat. Und mehr noch, es ist auch eine Verbeugung vor dem Genius loci, Pesaro, wo sie 2007 als Desdemona erstmals im Hauptfestival Furore gemacht hatte.
Denn wer in Pesaro die Festival-Höhe erreicht hat, der ist meist durch die Ebene der Rossini-Akademie gegangen. Die wiederum wird nach wie vor von dem inzwischen 87-jährigen Alberto Zedda geleitet, nicht nur ein Methusalem unter den Tatstockgrößen, den man gern mit einer uralten Schildkröte vergleichen möchte, sondern auch die Rossini-Autorität schlechthin. Und Zedda befand nicht nur 2006, das junge Ding da möge gefälligst in der alljährlich von dem Akademisten als Kür-Oper präsentierten „Die Reise nach Reims“ nicht nur den Parade-Fioritur-Part der Contessa di Follevillle memorieren, sondern auch die harfenumrausche, der Madame de Stael nachempfundene, schwärmerische Rolle der Corinna – 2007 kam die dann auf die Bühne, einmalig in der Festivalgeschichte.
Zedda als gutmütiger und gleichzeitig strenger Stimulator steht auch jetzt am Pult des Orchestra del Teatro Communale di Bologna, in Pesaro alljährlich der Festival-Klangkörper, in alle, seriösen wie komischen und halbtragischen Valeurs erfahren und in seinem Klang der Peretyatko bestens vertraut. So ist das nun – wer weiß, wie viele CDs Zedda noch angeht? – ein mustergültiger, stilistisch vorzüglicher, oftmals über zehnminütiger Arienparcours geworden – von der Rossin-Autorität schlechthin und seiner längst zu Star gewordenen Schülerin lustvoll als vergangene und zukünftige Karrierestationen absolviert.
Die Matilde di Shabran hat die Sopranistin 2012 in Pesaro gesungen, die Fiorilla im „Turco in Italia“ anderswo mit großem Erfolg. Die „Tancredi“-Amide, deren große Kerkerszene komplett eingespielt wurde, hat sie erstmals 2014 in Moskau konzertant ausprobiert. Auch die eine Stufe voluminösere Semiramide – Kenner sprechen hier von der allerletzten Barockoper – ist kein Arienzufall, die Rolle kommt bald. Und selbst die ist – neben der Solonummer der Rosina aus dem „Barbier von Sevilla“ – die einzige populäre Nummer dieses Albums.
Sony hat nicht gespart, auch die Chorstellen sind dabei, wichtig schon aus Abwechslungsgründen. Und die Peretyatko lässt keine Sekunde langweilig werden: gibt die übertrieben die Verlust ihres Gepäcks betrauernde Contessa de Folleville genauso verrückt-fioriturensprühend, wie sie der Corinna tiefe und gefühlvolle Verziehrungs-Poesie zu nicht enden wollenden Harfen-Arpeggi leiht. Ihre Mathilde di Shabran hat verzwickten Witz und weibliche Wärme, die tieftraurig sterbensbereite Armide dunkle, fein mattierte, weiche Dramatik. Die Semiramis hüllt sich in ihre königlichen Koloraturen wie in einen Panzer, die Fiorilla hat divenhaft freche Schärfe, und die Rosina in der Sopranvariante wird mit andern Farben als sonst und fantasievollen Ausschmückungen versehen.
Olga Peretyatko: Rossini! (Sony Classical)
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