Andere waren schneller, aber sind nicht unbedingt besser. Morgen erscheint – endlich – bei belvedere die erste Lied-CD der sehr besonderen Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller: „Traumgekrönt“ mit Liedern von Strauss, Berg und Schönberg. Ich habe für das Booklet folgendes Interview beigesteuert. Eben debütierte die junge Künstlerin als Marzelline im „Fidelio“ an der Met in New York Anna in „Don Giovanni“ an der Mailänder Scala. Als Pamina kehrt sie im Dezember 2017 zurück nach New York, anschließend folgt ihr Debüt an der Oper Zürich in Mozarts „Idomeneo“ als Ilia. 2014 erlebte Hanna-Elisabeth Müller als Zdenka in Richard Strauss’ „Arabella“ unter Christian Thielemann ihren internationalen Durchbruch und wurde kurz darauf als „Nachwuchskünstlerin des Jahres“ ausgezeichnet. Von 2012 –2016 gehörte sie dem Ensemble der Bayerischen Staatsoper an, der sie auch weiterhin als Gast verbunden sein wird. Mit ihrer Vielseitigkeit ist die junge Sopranistin regelmäßiger Gast auf den Konzertpodien. Das Jahr 2017 begann für Hanna-Elisabeth Müller mit einem spektakulären Einspringer bei den Eröffnungskonzerten der Hamburger Elbphilharmonie mit Beethovens Neunter. 2017/ 2018 wird die Sopranistin u. a. bei den Berliner Philharmonikern unter Yannick Nézét-Séguin zu Gast sein. In letzter Zeit arbeitete sie mit Orchestern wie dem Cleveland Symphony Orchestra unter Franz Welser-Möst, dem Orchestre de Paris unter Daniel Harding, dem Königlichen Philharmonischen Orchester in Stockholm unter Simone Young, dem WDR Sinfonieorchester unter Christoph Eschenbach, der Tonhalle Düsseldorf unter Adam Fischer oder dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin unter Robin Ticciati. Mit ihrer festen Klavierpartnerin Juliane Ruf tritt sie regelmäßig in wichtigen Liedzentren wie dem Heidelberger Frühling, in der Kölner Philharmonie, im De Singel Antwerpen und beim Festival Rheinvokal auf.
Nennen Sie sich eine Liedsängerin?
Unbedingt. Lied hatte Priorität in meinem Unterricht. Das ist meins. Wobei ich natürlich auch sehr jung war, als ich mit dem Singen und dann auch bald dem Studieren begann. Und da weiß man ja noch nicht so genau, wo eine Stimme hingeht, wie viel Volumen sie entwickelt. Da war das Lied immer ein sehr sicheres Terrain, von dem aus ich mich immer weiter vorgetastet habe. Meine Grundlagen wurden also im Lied gelegt, deswegen ist es mir so nahe, die Oper kam eigentlich erst dazu, als ich professionell vorgesungen habe.
Und das war dann gleich an der Bayerischen Staatsoper?
Im Grunde ja. Ich hatte eigentlich kein Repertoire, aber sie haben mich trotzdem genommen.
Das heißt, Sie wollten auch unbedingt in Richtung Oper?
Es war sehr verlockend. Im Studium war das immer wie ein verbotener Ort, hier mal eine Arie, da mal eine Ausschnitt, aber immer nur ein wenig, als ob es gefährlich wäre. Lange dachte ich, vielleicht habe ich gar nicht die Stimme dafür, aber da hat sich dann ja doch geändert. Trotzdem ist mein „Liebesverhältnis“ zum Lied dadurch nicht abgeschwächt worden. Ich weiß inzwischen, dass ich auch voluminöser singen, ganz andere Charakterzüge von mir durch Rollen entdecken kann, aber die Quelle meines Singens, die Essenz, die ist unbedingt das Lied geblieben.
In der Oper verkleidet man sich, versteckt sich hinter Maske und Kostüm. Im Lied ist man mit sich allein auf dem Podium. Erfordert das nicht sehr viel mehr Mut, muss man da nicht extrovertierter sein?
Schon, aber in einer kleinen, beschränkten Form, die man voll ausfüllen, in jeder Nuance nutzen sollte. Das lernt sich leichter, finde ich. Und von dieser Grundlage aus, als ich gesanglich sicher war, konnte ich dann eigentlich viel leichter in extrovertiertere Regionen vordringen. Im Lied bin ich es, die mit der meiner eng vertrauten Pianistin etwas entwickelt und gestaltet. Am Ende bin ich dafür verantwortlich, stehe dafür ein. In der Oper sind so viele andere Absichten und Ansichten von unterschiedlichen Menschen beteiligt, dass man weniger original ist und mehr als Gesamtwerk fungiert. Heute freilich liebe ich beides, ich könnte weder auf die Oper noch auf das Lied verzichten.
Was ist dabei für Sie jeweils besonders?
Bei der Oper das Große, das Volumen, dass so viele auf und hinter der Bühne auf einen Punkt konzentriert sind, und dass man dann manchmal wirklich Flügel bekommt. Im Lied ist die Stimmung sehr intim, sehr besonders, nur ein Klavier und eine Stimme – kein Chor, Bühnenarbeiter, Dirigent, Kollegen und Kulissen.
Was fordert Sie mehr?
Eindeutig ein Liederabend. Da darf man nie nachlassen, muss immer konzentriert sein. Muss geben, aber auch haushalten mit seinen Kräften, muss sich blitzschnell einen anderen Stil und eine neue Figur anverwandeln. Man muss unbedingt die Komfortzone dabei verlassen. Ich bin immer wieder überrascht, was in einem Liederabend alles möglich ist. Wie unterschiedlich ich selbst mir bekannte Texte doch immer wieder lese und deute. Drei Liederabende sind für gewöhnlich auch drei unterschiedliche Konzerte, die werden nie gleich sein. Deswegen ist es so wichtig, dass ein Liederabend gut komponiert ist, dass er funktioniert. Und das merke ich immer erst unter Livebedingungen. Deswegen tausche ich durchaus noch einmal Titel aus oder ändere die Reihenfolge, weil mir klar wird, die Leute gehen anders besser mit, oder es fühlt sich einfach nur stimmiger an. Und dann genieße ich es.
Was war anfangs Ihr Liedrepertoire?
Die Mädchenlieder von Brahms, viel Mozart natürlich, aber auch französisches Repertoire, Fauré. Dann kam Schubert dazu, Erzählerisches, Schwergewichtigeres. Der vertrackte Hugo Wolf. Wobei natürlich am Anfang auch viel technische Entwicklung im Vordergrund stand, dann das Erzeugen von Stimmungen; die großen erzählerischen, komplexen Lider, die kamen erst später.
Was war das Schwierigste?
Diese höhere, erst durch sehr viel Kunst und Können mögliche Natürlichkeit, die ja das große Paradox des Liedes ist. Nur wenn man nicht mehr merkt, wie schwer es ist, dann hat man ein Lied gemeistert. Und dabei habe ich sehr viel durch das Hören meiner Stimme, also durch Aufnahmen gelernt. Ein Liederabend ist gesungene Sprache, daran muss sich auch der Hörer immer wieder gewöhnen, deshalb ist es meine Aufgabe als Interpret, ihn schnell und leicht in diese Sphäre zu ziehen, ihm dem Übergang in diese ganz andere Welt zu bereiten, so dass er es schnell vergisst. Dass Beste ist für mich immer, wenn ein Hörer nicht mehr ins Programmheft schaut und Texte mitliest, sondern sich angesprochen fühlt und auch so versteht.
Nehmen Sie dieses Ideal auch mit auf die Opernbühne?
Ja, sehr. Und ich werde oft für meine Textverständlichkeit, für mein natürliches Gefühl für Sprache gelobt. Da merke ich dann, ich hab es richtig gemacht. Gerade für Frauen sind etwa die Strauss-Partien, was den Text angeht, wirklich heikel. Aber weil ich im Lied schon früh darauf trainiert worden bin, möchte ich Bedeutung nicht preisgeben, auch wenn oft nur Vokale viel schöner klingen.
Mussten Sie lernen, wie man Lied und Oper im Terminkalender ausbalanciert?
Es ist vor allem wichtig, dass man dafür genügend Zeit einplant. Ein Liederabend braucht den Vorlauf des Repertoiresuchens und Ausprobierens. Und dann müssen die Konzerte in einer gewissen Reihenfolge kommen. Alle drei Wochen zwischendurch mal ein Liederbend, das geht gar nicht. Ich will bestens präpariert sein, Liederabende mit Notenständer, das mache ich nicht. Ich will den direkten Kontakt, ich beobachte ja auch, wie ein Publikum reagiert, das formt erst ein Konzert. Durch die Wiederholung und Variation wird es ja nur intensiver. Das ist ein herrliches Gefühl.
Wie kam es jetzt zu dieser CD?
Das Angebot kam von außen. Ich habe mich sehr gefreut, das ist eine tolle Möglichkeit, und es ist jetzt genau als Zeitpunkt richtig. Auch weil man mich gegenwärtig vielleicht eher mit Oper assoziiert, fand ich es wichtig, meine Anfänge als Liedsängerin stärker beleuchten zu dürfen. Und so habe ich mich konzentriert, deutsche Sprache, drei Komponisten. Ich wollte nicht das ganze Füllhorn ausschütten.
Wie haben Sie das Repertoire Ihrer ersten CD zusammengestellt?
Das sind Lieder, die mir ans Herz gewachsen sind, die ich aber unbedingt auch machen wollte. Und so haben wir sie erst in Konzerten gesungen und dann eingespielt. Jetzt bin ich gespannt, ich weiß, wie ein Publikum damit im Konzertsaal umgeht, aber die Hörerfahrung als CD ist sicher eine andere.
Was stand am Anfang Ihrer Repertoireüberlegungen?
Sehr schnell Alban Berg mit seinen Sieben frühen Liedern, ich wollte sie unbedingt in der Originalfassung für Klavier aufnehmen, obwohl ich inzwischen auch die Orchesterversion singe. Dann habe ich zusammen mit der mir wirklich nahen Pianistin Juliane Ruf nach weiteren Stücken gesucht und wir sind schnell bei Richard Strauss gelandet. In seiner Musik bin ich zu Hause, sie passt gut zum Fin-de-Siècle-Gefühl Bergs. Darauf hin haben wir gezielt nach Liedern gesucht, die die Realität hinter sich lassen und sind schnell bei Werken mit Blumen angekommen. Die sind sehr zweideutig, es lassen sich viele Parallelen zu Berg ziehen. Bei Strauss sind auch kleine, unbekannte Lieder dabei, ganz entspannt zum Hören und Durchatmen zwischen all der Riesenfülle. Dann habe ich noch eine Verbindung gesucht, die aber doch auch schon andere Wege beschreitet, und so kam dann die Schönberg-Auswahl als Ergänzung und Kontrast dazu.
Passen diese Werke noch in unsere Zeit oder sind es historische Zitate?
Ich finde, dass sind absolut auch noch Gefühle von heute, die hier behandelt, angesprochen, analysiert werden. Da liegen Jahrzehnte dazwischen, manches mag man heute anders in Worte fassen, ist ein weniger vorsichtiger. Aber ich finde mich als Frau unbedingt in diesen emotionalen Zuständen wieder, ich übersetzte das in die Gegenwart. Mein Lieblingstext ist übrigens „Traumgekrönt“, das funktioniert auch ohne Musik perfekt. Berg hat das für seine Frau ausgewählt, und so empfinde ich die Strauss-Stücke fast als weibliche Antwort darauf. Das sind herrliche, ganz fein ausgeführte Gemälde von Mädchen, Miniaturen an einer imaginären Wand, die unmittelbar zu uns sprechen.
Haben Sie alle die Lieder auch live gesungen?
Ja, nicht in dieser Reihenfolge, aber jedes wurde auf den Prüfstand vor Publikum gestellt, während eineinhalb Jahren. Dann haben wir die Gruppen zur Seite gelegt und später neu ausprobiert, bis es reif zum Aufnehmen war. Die Lieder sind mit uns gewachsen und wir mit ihnen. Das ist kein Studioprodukt.
Gibt es schon Überlegungen für weitere CDs?
Schumann möchte ich unbedingt aufnehmen. Und ich sammele schon französisches Repertoire, Poulenc, Debussy, wohlmöglich Duparc, das fände ich eine tolle Kombination. Und natürlich gäbe es schon Ideen und Wünsche für eine Opern-CD, aber das ist Zukunftsmusik!
Hanna-Elisabeth Müller: Traumgekrönt. Juliane Ruf (belvedere)
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