Mit dieser Frau sollte man besser nie ein Zimmer allein teilen. Denn gerät man in die perfekt manikürten Fänge von Wasfi Kani, dann ist man gewiss um sein ganzes Geld leichter. Was freilich einem guten Zweck dient. Angefangen hat die Engländerin mit indischen Wurzeln mit ihrem Pimlico Prison Programme, das Kunst in Gefängnisse brachte. Dann folgte 1998 das zuerst belächelte, dann geliebte Unternehmen Grange Park Opera, das in dem gleichnamigen, halbverfallenen, aber stolz palladianischen Anwesen in Hampshire Country House Opera vom Feinsten, vor allem vom Atmosphärischsten fabrizierte. Fasane auf den Anfahrtswegen, Smokingträger zwischen ionischen Säulen, Oper in der Orangerie unter Lüstern aus Federn auf dem ehemaligen Samtgestühl des Royal Opera House, Picknick in Maharadscha-Zelten oder Dinner im glamourös verlotterten Herrenhaus auf Goldstühlen. Keine Alternative zu Glyndebourne, aber eine willkommene Ergänzung für die ewigen Hedonisten, die die Engländer eben immer noch zu sein versuchen.
The Grange, das war einmal. Denn vor zwei Jahren ließ die Besitzerfamilie der Liegschaft verlauten, dass sie das Opernunternehmen nun selbst führen wolle. Und so musste man umziehen, wie schon vorher die bereits 1990 gegründete Sommeroper in Garsington Manor bei Oxford. Letztere nahm den Namen mit und spielt seit 2011 in einer eleganten, das Tageslicht miteinbeziehenden Stahlkonstruktion in Wormsley Park, dem Landsitz der Familie Getty in Buckinghamshire. Und während in Grange nun das Grange Festival unter Leitung des ehemaligen Countertenors Michael Chance ebenfalls Sommeroper spielt, hat Wasfi Kani die neue Grange Park Opera in die London-nahe Grafschaft Surrey transferiert; eine Bahnstation erleichtert zudem die Anreise ungemein.
Man spielt jetzt in West Horsley Place, einem später mit Backsteinen im holländischen Stiel ummantelten Tudor-Gemäuer, das schon Heinrich VIII. zur Hirschjagd besuchte, während seine Tochter Elizabeth I. hier 1559 eine Masque genoss. Man möchte es heute nicht als schlechtes Ohmen nehmen, dass der damalige Gastgeber nur ein paar Tage später verstarb. Denn wie der jetzt Besitzer, der auch schon 82-jährige TV-Moderator Bamber Gascoigne, zu dem sehr renovierungsbedürftigen Anwesen und fast gleichzeitig zu einem Opernhaus im Garten kam, das ist ebenfalls ein englisches Märchen.
Seine 2014 mit 99 Jahre gestorbene Großtante, die Herzogin Mary von Roxburghe, hatte ausgerechnet ihn von ihren 14 Großneffen und nichten erwählt, den ziemlich maroden Besitz zu erben und wie Dornröschen die vernachlässig schlafende Schöne wieder wach zu küssen. Die Herzogin hat selbst ein Opernleben geführt, war eine wilde Society Schönheit in der Zwischenkriegszeit, früh verheiratet und auch bald wieder geschieden: der Gatte ließ ihr die Scheidungspapiere vom Butler zum Frühstück servieren. Die Herzogin bestreikte dieses Ansinnen, ihr Mann dreht ihr die Heizung ab und ließ ihr nur drei Zimmer und eine Zofe, aber sie widerstand und erhielt eine gewaltige Abfindung. In den Sechzigerjahren zog sie nach West Horsley Place, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte und wo sie bis zu ihrem Tod zurückgezogen lebte.
Ein Schlossherr, der Geld braucht und eine Intendantin die eine Bleibe sucht. Das passte, und man war sich schnell einig. Wasfi bekam den Grund für 99 Jahre zur Pacht, Bamber saniert mit den Einkünften sein Haus, das Teil einer Kunststiftung werden soll. Und in kaum zwei Jahren steht nun ein Theater mehr in Surrey, von den zehn Millionen Pfund, die es kostet, sind acht Millionen bereits eingetrieben. An der Spitze der Spendenkampagne standen Stars wie Joanna Lumley („Absolutely Fabulous“) und Bryn Terfel.
Das Theater in the Woods, hinter verwunschenen Gärten gelegen, präsentiert sich als vierrangiges Hufeisen im italienischen Stil mit fächerförmigem Dach und 700 Plätzen. Auch das Covent-Garden-Gestühl ist wieder da. Und im Grundstein liegt die Asche der Herzogin begaben. Man wurde so rechtzeitig fertig, dass man, wenn auch mit die Szene leicht einnebelnden Baustaubwolken, spielen kann, aber die Gäste sitzen noch in einem Rohbau. Die Betonsteine sollen später mit Backsteinen ummäntelt werden, noch stehen nur Orangenbäumchen davor, drinnen ist nichts verkleidet, man geht über Pressholz und lehnt an Gipspappe, Längst hängen nicht alle Lampen, das künftige Deckengemälde, eine hintersinnige Collage aus einer Hubert-Robert-Vedute und einer Hommage an die Künste, ist nur als großflächiger Entwurf zu bestaunen. Eine ambitiöse Treppenspindel existiert ebenfalls nur als Zeichnung. Das Luxuriös sind augenblicklich nur die Toilettenwagen, es gibt sie als Design- und als Country-Variante, beide sogar mit Abstellflächen fürs Champagnerglas.
Wie aus dem Stand ist West Horsley Place bereits wieder mit Picknickern bevölkert, die mal aufgedresst sind, mal in Selbstgebatikten kommen, auch der obligatorische Kilt ist dabei. Man schnabuliert und pichelt zwischen Rosen und Obstbäumen, am Eingang wird Country House Opera Schokolade verkauft und auch die Maharadscha-Zelte stehen neuerlich im Rund. Der Spielplan macht dieses Jahr keine Experimente, es gibt „Walküre“, „Jenufa“ und „Tosca“ mit dem Debütanten Joseph Calleja, der am nächsten Galaabend auch beim Menü im Plastikzelt am Feigenbaum zu finden ist. Wer mehr bezahlt, darf sogar ins Haus mit seinem reichlich abgewetzten Interieurs zum „Dinner bei der Herzogin“. Nächstes Jahr folgen dann unter anderem „Maskenball“ und das Musical „Oklahoma“.
Bei der Gala aber produzieren sich vor Pappsäulen und einem blinkernden Mondhimmel, Bryn Terfel, die Royal Ballet Ballerina (und Simon Keenlyside-Ehefrau) Zenaida Yanowsky mit zwei Partnern sowie die lettisch-russische Akkordeonspielerin Ksenija Sidorova. Der erste Teil ist Bach und Händel vorbehalten, Sir Bryn lässt sich zur Kantate „Ich habe genug“ sogar umtanzen. In der zweiten Hälfte singt er generös Boito, Wagner, sein ältestes wie jüngst gelerntes Schubertlied, Irisches und Walisisches, Yanowsky tanzt lyrisch-sinnlich ein Bach-Busoni-Präludium und das Christopher-Wheeldon-Duo „After the Rain“ auf Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“. Kein Zweifel, auch diese neue Grange Park Opera wird ein Erfolgsstück werden.
Noch bis 15 Juli. www.grangeparkoperaco.uk
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