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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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DSO in Fernost: Asientournee IX

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HalloDa ist selbst DSO-Orchesterdirektor Alexander Steinbeis nicht mehr zu halten. Zwischen Nasty Nuns, verstümmelten Schulmädchen, kreischigen Krankenschwestern, Pharaonen, Grinsekatzen und dickwadigen Biene Majas wird noch spätnachts für Handyfotos posiert als gäbe es kein Tournee-Morgen. Wir sind inzwischen im Südwesten des japanischen Archipels auf der Insel Kyūshū angekommen. Dort gibt es irgendwo zwischen den Hochhäusern der Millionenstadt Kitakyūshū noch einen steil emporragenden, freilich rekonstruierten Burgturm des Kokura Schlosses des hier einst herrschenden Ogasawara-Clans. Man isst zudem gern und viel Hühnchen, auch halbroh als Sashimi und Spieß mit gerösteten Mägen, wie wir beim abendlichen Dinner feststellen konnten. Außerdem feiert man Halloween! Nicht ganz so ausufernd wie in Tokio, wo selbst der Masseur bei der Arbeit als Spiderman verkleidet ist, aber doch mit viel Kunstblut und kindlichem Selfie-Spaß.

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Ein kurzer Gedanke gilt dem 9. August 1945, als hier Fat Man abgeworfen werden sollte. Das verhinderten jedoch Rauchschwaden aus den am Vortag mit Brand- und Sprengbomben angegriffenen Stahlwerken in Yahata. Stattdessen wurde um 11:02 das Ausweichziel Nagasaki von der zweiten Atombombe der US-Airforce getroffen – drei Tage nach dem Abwurf von Little Boy über Hiroshima. Daran scheint an diesem Halloween-Abend keiner der jungen Leute mehr zu denken, Amerika ist längst unreflektiert das große Pop-Vorbild, und deshalb soll es – „Trick or Treat“ – so gut wie möglich imitiert werden. Selbst an Bahnverkaufsstellen sind liebevolle Halloween-Ecken mit Gespenstern, Skeletten, Hexen und Fratzengemüse aufgebaut.

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Janusköpfiges Japan. Alles wird hier besser gemacht und perfekt adaptiert als dort, wo es ursprünglich herkommt. Ob das klassische Musik ist oder ein keltisches irisch-amerikanisches Maskenkürbisfest. Mit Bus, Flieger und wieder Bus aus Tokio angekommen, wird das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin im Wedding-Space des aktuellen Tourhotels zudem gleich Zeuge eine auch nicht unbedingt hier verwurzelten, aber formvollendeten japanischen Edel-Hochzeit de Luxe. Da wird zwischen rosa Blumenschmuck arios gejodelt, gegeigt und in die Harfe gegriffen. Der katholische Priester steht bereit, die weiblichen Verwandten haben sich in Kimonos geworfen, die Braut wird mit Schleier wie Schleppe gerichtet und theatralisch in einem Vorhang-Geviert platziert, bevor sie sich dem Bräutigam präsentiert. Wir sind alle total europäisch-christlich ergriffen.

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Um noch nicht einmal zwei Stunden später bereits wieder in einem nüchternen Konzertsaal mit dem poetischen Namen Harmonie Cinq Kitakyūshū Soleil Hall und einer guten Akustik einmal mehr Beethoven zu lauschen. Doch zunächst entfesselt erstmals Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre (ein Lob den sanglichen Klarinetten!) ihren Meerpanorama-Zauber. Mit der russischen Pianistin Yulianna Avdeeva ist anschließend eine patent-burschikose Tastenstürmerin für Beethovens 3. Klavierkonzert am Start. Bei Tugan Sokhiev und ihr hat es offenbar schon in der gestrigen Probe klick gemacht, und auch das Orchester hat mit der erst vierten weiblichen Chopin-Preisträgerin von 2010 seinen Klangspaß. Das ist ein zupackendes, klangprächtiges Miteinander, sehnig, doch filigran, sportiv, aber ohne Muskelspiele. Als Zugaben-Goodie gibt es ein Chopin-Nocturne.

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Diesmal ist das Publikum wieder deutlich älter, verhalten beim Auftrittsapplaus, am Ende sich ordentlich steigernd. Brave und konforme Senioren sitzen aufmerksam lauschend in den roten Sesseln, aber auch schräge Hutfrauen und ein faltenreiches Miss-Kitty-Girlie. Weder Sokhiev noch die DSOler, alle gesund, keiner genervt oder gelangweilt, segeln auf Autopilot für die Provinz, wohin erst seit jüngster Zeit auch internationale Orchester kommen. Im Gegenteil – die (mit Berlin) fünfte und vorletzte Eroica erfüllt mit Enthusiasmus und Tonschönheit den Saal. Im 3. Satz dirigiert Sokhiev eine Zeitlang nur mit den Augen, im Finale zieht er spontan das Tempo an, versucht Tour-Varianten ohne Unfälle. Keiner wird dabei aus der Kurve getragen, man gleitet wunderbar durch die Beethoven-Bahn. Seine Interpretation wird immer entspannter, ohne Dogmatik, nur der seltsam beiläufige Schluss des Trauermarsches gibt Rätsel auf. Einen Versuch hat er noch.

Darüber morgen mehr!

Der Beitrag DSO in Fernost: Asientournee IX erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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