Die achte biblische Menschheitsplage: kartoffelköpfige Mini-Männlein aus Draht. Das haben wir jetzt zumindest bei den Bregenzer Festspielen in der nur dreimal gegebenen, anschließend an die Kölner Oper wandernden Indoor-Premiere von Gioachino Rossinis „Moses in Ägypten“ gelernt. Zugegeben: Das in der Fastenzeit 1818 als verkleidetes Oratorium, als „azione tragico-sacra“ herausgekommene Musiktheaterstück hat zwei fast unüberwindliche Schwierigkeiten für jeden Regisseur parat: die Darstellung der sieben Plagen samt dem im Schweinsgalopp zu absolvierenden finalen Zug durchs Rote Meer sowie eine nicht zu verleugnende Statik. Beides wollte die durch ein witzig-freche Inszenierung der zur Folklore-Quizshow umgeswitchten „Perlenfischer“ im Theater an der Wien in Österreich bekannt gewordene Niederländerin Lotte de Beer durch offensives Puppenspielen umschiffen. Dafür hat sie sich ihre Landmänner von dem Theaterkollektiv Hotel Modern ins alttestamentarische Interpretationsboot geholt. Das Ergebnis: ein gewisser Überdruss an ablenkenden mechanischen Mitspielern.
Es beginnt im Arbeitslicht. Drei der Hotel-Performer fummeln vorne an ihren Miniaturmodellen von Städten in Obersicht und güldenen Tempeln in diversen Größen. Hinten hat Christoph Hetzer eine möglichst wenig ablenkende, aber auch nicht wirklich aussagekräftige Einheitsinstallation aufgebaut. Ein über künstlichen Sandwellen rotierendes, mit rohen Holzkisten vollgestelltes Steg-System mit einer an den Spionage-Radarufsatz am Berliner Teufelsberg erinnernder Kugel, die sich später trefflich als Projektionsfläche eignen wird. Die Ägypter tragen saunataugliche Kostümierungen, die Israeliten sehen aus wie antike Grüne-Fundis.
Da passiert auch im weiteren Verlauf sehr wenig. Die Puppen und ihre Spieler übernehmen nämlich mit einer ersten, putzigen Marionettenheuschrecke schnell die Deutungsmacht, und ihre Manipulatoren verschieben und arrangieren dann auch in den großen Chortableaux die Masse nach ihrem Gutdünken. Doch die vier Jeans & Shirt-Träger wirken als Mischung aus Ersatz-Göttern, Über-Ich oder Archäologen seltsam harmlos. Ein wirkliches Konzept ist neben dem Puppen-Platzieren in ihrer ausufernden szenischen Existenz nicht zu erkennen.
Die große Finsternis, tote Ton-Menschlein in Großaufnahme – am Anfang funktioniert das, auch wenn man sich schnell fragt, warum man eigentlich beim Verfertigen dieser Aufnahmen zusehen muss: vorproduzierte Videos, wie sonst opernüblich, hätten den gleichen Zweck erfüllt. Und je länger der Abend dauert, desto ärgerlicher wird man: weil das niedliche Herumhantieren nur ablenkt, weil es sich großsprecherisch immer mehr vor die eigentliche Opernhandlung schiebt, weil Lotte de Beer weder der Geschichte, noch den hier vorgeführten Gefühlen traut, die Sänger zu vokalisierenden Pappkameraden degradiert.
Im traumschön reflektierenden Quartett zwischen dem in die Israelitin Elcia verliebten Pharaonensohn Osiride, die eben von seiner Mutter Amaltea und dem Moses-Bruder Aron in flagranti entdeckt wurden, macht sich vorne das Hotel-Trio mit enervierendem Requisiten-Hantieren wichtig. In der berühmtesten Nummer der Oper, der harfenumwallten Preghiera vor dem desaströs im Schilfmeer endenden Angriff der Ägypter, sieht man die Sänger gar nicht mehr; dafür werden, umrahmt von Geierkreischen und Wüstenwindsäuseln, wieder klapperdürre Mignons vor der Kamera vorbeigezogen.
Da wird eine an sich gute, die Abstraktion und Imagination fördernde Idee zu fitzeligen Bastelstunde und zur „Wie ist es wohl gemacht?“-Erkundung vorgeführt. Es gibt anklagende Bilder zur lamentablen-Situation der Ist-Welt, verstärkt durch die improvisierte Puppenkünstlichkeit, aber sie verbinden sich nicht mit dem leblosen, lustlos abgehakten Bühnengeschehen. Zudem sind die komplexeren Tricks, das göttliche Rachefeuer als Flammenwerfer auf die Stadt oder die gut durchgestrudelten Pixelmeereswogen mit vorproduziertem Material vermischt: Fake Opera New also! Und selbst das hat Katie Mitchell mit ihren hyperrealistischen Videowelten schon besser, aber manchmal ebenfalls vergeblich vorgeführt.
Leider gelingt auch die musikalische Umsetzung dieses „Moisè in Egito“ für Bregenzer Festspielmaßstäbe nur mittelprächtig. Enrique Mazzola dirigiert wenig organisch, findet nicht den richtigen, lyrisch melodiesatten Rossini-Ton; vor allem die Streicher der Wiener Symphoniker haben zu viel vollfetten Schmäh, wo ein trockenes, weit beweglicheres Raspeln notwendig wäre. Das braucht lange, bis es endlich auf Klangtouren kommt, Atmosphäre und Angerührtsein entwickelt.
Gut und versiert sind die beiden Damen Mandy Fredrich (Amaltea) und Clarissa Costanzo (Elcia), auch wenn diese Art von Koloratursorte hörbar sonst nicht zu ihren Hauptmahlzeiten gehört. Sunnyboy Dladla mit aparter Thronfolger-Seitenlocke macht als Osiride mit Dynamik und Schattierungen wett, was seinem hell monochromen Tenor an Farben fehlt; der stimmlich etwas dünne Matteo Macchioni ist ein solider Aronne. Nur noch Wüstendürre verströmt der meckrige Andrew Foster-Williams als Faraone, und für die Titelrolle als Moisè hat Goran Juric weder die nötige Fülle, Beweglichkeit und Technik, geschweige denn das Charisma. Auch der Prager Philharmonische Chor klang hier schon besser, runder und engagierter.
So gähnt nicht nur im Zentrum dieser Bregenzer Premiere sängerisch eine Leerstelle. Die mit der selbstreferenziellen Bibel-Muppet Show nicht zu füllen ist.
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