Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

Koskys Bayreuther „Meistersinger“: Nachts im Nürnberger Gerichtssaal

$
0
0

Ein Sinfonieorchester. Mit Chor. Wohlmöglich bereit, „Freude, schöner Götterfunken“ anzustimmen. Oder, wie jetzt, „Ehret Eure deutschen Meister“. Nachspiel. Blackout. Das also ist es, was der Regisseur Barrie Kosky am Ende seiner Bayreuther Neuinszenierung der „Meistersinger von Nürnberg“ als Sinnbild für die echte, wahre, deutsche und natürlich einzige Kunst hereinfahren lässt, die da ein einsamer, als Richard Wagner verkleideter Hans Sachs als sein Lebensideal verteidigt. Eine Musikertruppe. Ehret Eure deutschen Orchester! Was sonst? Das mutet so rührend an wie banal zugleich. Der freche Australier, längst schon Mittelpunkt und Teilchenbeschleuniger auf dem hiesigen Kunstkarussell, nicht erst seit er 2013 als Intendant die Komische Oper Berlin übernommen hat, feiert also mit Paukenpomp und C-Dur eine Institution, die auch die anwesende Kulturministerin Monika Grütters für die internationale Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes als spezifisch deutsch nominiert hat. 2019 könnte darüber abgestimmt werden. Aber mehr noch: Kosky ist der erste Jude (wen es interessiert…), der auf dem Grünen Hügel inszeniert, der ja auch einmal ein brauner war. Und er findet einen solch versöhnlich-nachdenklichen, aber ein auch wenig einfach gestrickten Schluss für eine hochkomplexe Sache, an der gerade er sich durchaus wüst hätte die Zähne ausbeißen können.

Deutsche. Meister. Sänger. Nürnberg. Die anvisierte kleine Komödie zur Entspannung geriet Wagner 1862 selbstredend wieder zur großmächtigen Musiktheater-Angelegenheit. Zum nationalen Schaustück, späteren Eröffnungs-Repräsentanz-Opus diverser deutscher Staatsformen, ellenlang, nicht nur lustig, von vielerlei Machthabern als chauvinistische Kampfklangwaffe missbraucht. Barrie Kosky möchte die Geschichte dieses Werks, das hier erst vor zehn Jahren von der jetzigen Festspielleiterin Katharina Wagner sehr heftig auf seine schlimme Historie und ambivalente Bedeutungsvielfalt abgeklopft worden ist, nicht unterschlagen, aber er will sich davon auch nicht einschüchtern und erdrücken lassen. Bayreuths Geister sollen gebannt sein, aber ein wenig soll doch mutwillig der jüdische Dibbuk in sie fahren.

So geht er dreiteilig vor. Er verändert den Schauplatz, die Identität der Figuren und die Bedeutung dieser ach so deutschen Komödie. Zunächst einmal aber bebildert er schon die Ouvertüre, die Philippe Jordan ungewöhnlich leise, nobel, zurückhaltend spielen lässt. Hier türmt sich noch nicht mit Blechstößen aus vollen Bläserbacken C-Dur. Hier breitet sich wohlig ein fein strukturiertes Klangpanorama als Hörbild aus. Das Barrie Koksy gleich komödienhaft und slapstickhaft bevölkert. Aber nicht als Nürnberg.

Fotos: Enrico Nawrath

Wir sind – mal wieder – im Hause Wahnfried. Da herrscht Kommen und Gehen in der Halle, Geschenke und Lieferungen werden gebracht, ähnlich wie beim Lever der Marschallin in Strauss’ „Rosenkavalier“. Richard Wagner ist endlich ein etablierter, eitler, gefragter Mann. Eben kommt er vom Spaziergang mit den fein gekämmten Neufundländern Molly und Marke, das Dienstmädchen fächert herum. Cosima hat Migräne, ihr Vater Franz Liszt präludiert am Klavier. Und auch Kapellmeister Hermann Levi ist da – in diesem strikt antisemitisch geführten Haus: der gehasste wie gebrauchte „Hausjude“, der an Wagneritis erkrankt ist, der später den „Parsifal“ urraufführen und einer von Wagners Sargträgern sein wird.

Das biografische Spiel mutiert schnell zum Surrealen, Kosky nennt es ein Lubitsch-haftes. Nicht nur muss Levi, der sitzen bleibt, sich wie alle anderen zum jetzt aus dem Off erklingenden Eingangschoral in der Katharinenkirche zum christlichen Gebet niederknien. Und während in den live ertönenden „Meistersingern“ die Vorbereitung zur Singschul voranschreitet, Ritter Stolzing das Evchen neckt, steigen im engen Bayreuther Bühnenbild aus dem Klavier lauter Wagners, große und kleine, dazu in mittelalterliche Geschenkverpackungsroben gehüllte Herren als Väter der Franken-Klamotte. Sogar einen schwulen Meistersinger gibt es diesmal – Hans Foltz (Timo Riihonen).

Cosima, die spitze, ein wenig angestrengte Anne Schwanewilms ist inhaltlich und vokal längst schon Eva geworden, der famos vielfältig charakterisierende Johannes Martin Kränzle übernimmt vom Levi den Beckmesser. Der junge Wagner entpuppt sich als verlässlich tenortrompetender Klaus Florian Vogt mit entstellender Perücke, der noch jüngere als sein grandios präzise deklamierender Lehrbub David (Daniel Behle). Und der dritte, lange stumm die Spielfäden in der Hand haltende Wagner dieser gar nicht heiligen Trias ist natürlich der joviale, souveräne Michael Volle als Hans Sachs. So fügen sich auch der ungewohnt komische Günther Groissböck (Liszt und Vater Pogner) und die patente Wiebke Lehmkuhl (Zofe und Magdalene) in die Familienaufstellung aus dem Geist der Renaissance.

Das wuselt und fuselt so vor sich hin, meist sehr witzig beschwingt: wenn die Meister sich umständlich zur Teestunde setzen; oder wenn David seine nicht enden wollende Aufzählung der blumigen Singweisen (Hageblüh-, Rosen-, Rosmarin-, Pomeranzen, Gelblöwenhautweis) anhand von frisch gelieferten Parfümflakons mit einer olfaktorischen Einlage versieht. Da ist brillante Personenführung  zu sehen, Regiehandwerk vom Feinsten. Aber: So wirklich neu ist das nicht. Biografische Kurzschlüsse zwischen Wagner und Werk gab es inzwischen sehr oft auf der Bühne zu sehen. Fast schon lassen jene Produktionen aufsehen, bei denen kein Richard-Double auftaucht. Und die komplexe Beziehung etwa zwischen den Wagners und Hermann Levi, den sowieso nur noch Wagner-Fachleute kennen, lässt sich so auch nicht wirklich erzählen. Stolzing kam bereits bei Katharina Wagner aus einem Flügel, und überhaupt erinnert dieses Arrangement sehr an Stefan Herheims nicht nur hier Aufführungsgeschichte geschrieben habenden „Parsifal“ von 2008.

Gerade auch wenn am Ende des komödienvergnügt dahinfluschtenden ersten Aktes das Bühnenzimmer von Rebecca Ringst zurückfährt und einen weiteren, geschichtlich konnotierten Raum offenbart: den leeren Saal 600 im Nürnberger Schwurgerichtsgebäude, in dem 1945/46 die Nürnberger Prozesse gegen die Nazihauptverbrecher stattfanden. Das ist ein (ebenfalls nicht neues) Versprechen auf Kommendes: Wagners Oper und ihre unselige Rezeptionsgeschichte, die Fortschreibung ins Heute. Ein Prozess und Festwiesen-Urteil samt Preisauslobung einer Braut der ganz anderen Art?

Nach der ersten Pause folgt Ernüchterung: Im selben Saal, in dem nur ein einsamer Wächter in Uniform steht und die vier Alliierten-Flaggen prangen, liegt jetzt lediglich eine Wiesenmatte aus (ähnlich wie in Koskys Berliner „Eugen Onegin“), auch das Rednerpult wird von Grün umspielt. Ein atmosphärisches Naturbild, in dem man durchaus den Flieder zu riechen glaubt, in dem also im Dämmerschein die Johannisnacht heraufzieht. Und in dem ein kreuzkonventioneller zweiter „Meistersinger“-Akt abläuft, mit Liebeständelei hier und Besohlungsschwank da, nur dass Sachs immer noch Wagner ist und Eva Cosima, während die anderen längst in historische Kostüme (von Klaus Bruns) geschlüpft sind. Ein wenig fad beflissen wirkt das, obwohl es musikalisch weiterhin zauberhaft bleibt, so gut und auf harmonisch hohem Niveau gesungen wird, wie selten in Bayreuth. Bis auf die immer schriller scheppernde als Pony mit Cul de Paris hoppelnde Cosima/Eva.

Und dann die Prügelfuge, das Pogrom der Bürger, das das Idyll zerreißt, längst schon auf der Wagnerbühne als jener Moment etabliert, wo der reale (alt-)deutsche Antisemitismus seine hässliche Fratze zeigt: Barrie Kosky lässt nun das dürerzeitlich gekleidete Volk in üppigen Falten, Mäntel und Hauben wie eine Welle hereinschwappen, das dreht sich lediglich dekorativ. Vorne vermöbeln David und die Lehrbuben Beckmesser, der unter einem Wagner-Konterfei in Öl fast erdrückt wird. Und plötzlich eine fies karikierende Judenmaske wie aus dem „Stürmer“ aufhat. Als ob man das nicht verstehen würde, pumpt sich zudem deren Pendant als aus dem Rednerpult aufsteigender Ballon monströs auf. Ein Fanal, das schon, aber keine jäher, böser Einfall. Und während der unsichtbare Nachwächter (den als Einspringer generös Georg Zeppenfeld gibt) schließlich seinen Beruhigungsruf über das Schlachtfeld schallen und Philippe Jordan die dezent, aber sehr klar geführte Kunstkrawall-Polyphonie sanft aushauchen lässt, sinkt die böse Luftblase schrumpelig zusammen. Nur der Davidstern bleibt stehen.

Dritter Akt: Jetzt stehen zwar die aus den alten Fotos bekannten Möbel im heute in Nürnberg noch real genutzten Rechtssprechungssaal, aber er bleibt weiterhin leer. Eine wiederum überraschungslose, dabei immerhin 75 Minuten lange Schusterstubenszene (ja, Cosima trägt jetzt auch antiken Eva-Look) spielt intensiv vorne links an zwei zusammengeschobenen Tischen. Und bei der sogenannten Beckmesser-Pantomime, in deren Disharmonien man vergeblich denunzierend jüdische Klezmer-Klänge zu entdecken suchte, da tauchen noch einmal ein wenig zaunpfahl-winke-winke fünf Kinder als ikonische Juden-Verunglimpfungen auf. Die Wiederholung macht das Repetieren des bekannten Subtextes nicht besser.

Zumal ja auch Kosky klarstellt, dass in einem historischen Nürnberg, so wie es jetzt als Bürgerschaft zur Festwiese eifrig in Akten blätternd, Angeklagten-, Richter- wie Verteidiger-, Staatsanwalt- und Zeugenbänke gleichmachend besetzt, ein Jude als honoriger Stadtschreiber nie durchzusetzen gewesen wäre. Aufzug der Stände, „Wach auf“-Chor, die beiden Preislieder (das jämmerliche Beckmessers sogar mit dessen spezieller, blechern klingender Harfe auf der Bühne!) spulen sich mit fast enttäuschend routinierter Komik ab. Und dann sind alle handelnden Personen auf einmal verschwunden (was Umstände macht und dauert), die Geschichte löst sich im Nichts auf. Nachts im Nürnberger Gerichtsmuseum steht ganz allein Hans Sachs alias Richard Wagner am Pult und hält seine notorische Ansprache ins Leere. Was weder der originale Schuster noch der Komponist je tun mussten, war doch diese Oper von Anfang an ein echter Erfolg und stand der Komponist mit seiner Meinung völlig in der Mitte der damaligen Bourgeoisie.

Eine ideales Nürnberg aus Geschichte und Zeithistorie im vielfach aufgespaltenen Kopf des monströsen Richard W., der hier im Zeugenstand steht. Barrie Kosky hat hoch gepokert, hat sich viele kluge Gedanken gemacht, „ein bisschen Lubitsch, ein bisschen Überraschung“ versprochen, Ebenen eingezogen, Erzählstränge ausgelegt. Und findet, trotz schöner Einzelmomente im Verlauf, letztlich zu wenig Originellem, Erhellendem und zu einem enttäuschenden, sich seltsam verläppernden Schluss. Während in der Wahnfried-Halle immerhin noch „Comedy tonight“ herrscht, spielt er mit der bedeutungsschwer aufgebauten Gerichtskulisse nicht wirklich. Sie bleibt ein nachgebautes Theaterzimmer. Natürlich ist es ihm anzurechnen, das es nazi- wie hakenkreuzfrei bleibt.

Aber diese insgesamt üppige, in der Personenführung detailfreudige „Meistersinger“-Inszenierung tut nie wirklich weh, noch reicht sie an die stärksten der Rezeptionsgeschichte heran, gar weist sie neue Deutungswege. Musik heilt alle Wunden, und man möge sich als Lehre aus dem Kampf zwischen Tradition und Fortschritt sowie auf wahre nationalen Werte und Kulturgüter wie eben das Sinfonieorchester schlechthin besinnen – das ist nach sechseinhalb Stunden Oper etwas wenig. So was es halt nur Parnass, Prozess und Paradies.

Philippe Jordan im Graben aber huldigt mit dem hier besonders schweren, wortreichen Dialogstück dessen beständiger Parlando-Bewegung. Der Text wird verstanden. Was keine gering zu schätzende Meisterleitung ist. Seine „Meistersinger“, sie wissen wenig um Melancholie, sie stehen klar leuchtend, mit hurtigen Tempi auf der Sonnenseite. Glückhaft auch die Besetzung, wenngleich Anne Schwanewilms’ Eva deutliche Schwächen offenbart. Groissböcks volltönender Pogner, Behles gewitzter David, die schönstimmige Magdalene Lehmkuhls, alle fein. Michael Volle, 2007 hier noch Beckmesser, hat sich seit seinem Debüt 2013 in Salzburg schön in den Sachs hereingearbeitet, offeriert herrliche Zwischentöne, humane Farben. Und hat auch am Ende noch Kraft. Kränzle ist ein subtiler, feingeistiger, tiefenpsychologisch fesselnder Beckmesser. Und Klaus Florian Vogt scheint zehn Jahre nach seinem Bayreuth-Debüt in der gleichen Rolle als Stolzing ungeschlagen, auch wenn die Höhen schwerer geworden sind. Wenig Buhs, viel Beifall, Getrampel gar.

So gilt’s in dieser Bayreuther „Meistersinger“-Premiere in erster Linie der Musik und dem Singen. Es hätte wahrlich schlimmer kommen können.

Der Beitrag Koskys Bayreuther „Meistersinger“: Nachts im Nürnberger Gerichtssaal erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826