Schlechter Beischlaf, vergiftete Pilze, eine korrupte Polizei, das ist der Stoff, aus dem der jungendfreche Dmitri Schostakowitsch 1934 sein Erfolgsstück „Lady Macbeth von Mzensk“ zusammengerührt hat. Genosse Stalin hasste es („Chaos statt Musik“ ließ er die „Prawda“ ätzen), für den Komponisten wurde das subversive, unverstellt sinnliche Werk so lebensgefährlich wie für Katharinas Schwiegervater deren mit Rattengift angereichertes Pilzgericht. Die Opernwelt aber liebt die „Lady“ nun seit fast vierzig Jahren – seit die unverstellt satirisch-böse Urfassung wieder verfügbar ist. Selbst im seriösen, glamourösen Salzburg war das unbedingt ins Schwarze treffende Schmuddelstück schon unter Gerard Mortier bei den Festspielen 2001 in der Regie von Peter Mussbach als Koproduktion mit dem Mariinsky Theater und Valery Gergiev am Pult zu erleben gewesen. Und die griffig-grelle Provinzmordsatire als übersexualisiertes Zeit- und Zerrbild eine virtuos-meisterliche Partitur, funkensprühendes Wunderwerk aus witziger Instrumentierungskunst, neuer Sachlichkeit und famos übersteigertem Menschheitspathos, mähte auch jetzt ihr Salzburger Publikum im Beifallssturm nieder.
Denn endlich stand hier einmal der inzwischen 74-jährige Mariss Jansons bei den Wiener Philharmonikern am Opernpult. Das allein schon legitimierte den im weiteren Verlauf dann leider doch auf hohem Niveua enttäuschenden Abend. Gegenüber seinem Dirigat 2006 mit dem Concertgebouw Orchest an der Holländischen Nationaloper in der ungleich stärker packenden, bohrenden Regie von Martin Kusej, hat er jetzt noch mal eine gehörige Spur an Temperament zugelegt, aber auch an Lautstärke. Das wird freilich von der juwelenklirrenden Festspiel-Society ob seines virtuosen Seiltanzes über die Klippen der Emotion wie der Ironie als stachliger Sinneskitzel begeistert geschlürft. Vor allem, weil Jansons und die willig brachialen Philharmoniker Ecken und Kanten zuspitzen, sich ohrenbetäubend rhythmusknatternd in Walzer und Märsche werfen. Tuba und Posaunen verröcheln triebhaft in ihren berüchtigten Orgasmus-Glissandi, aus jedem Streichersolo träufelt verführerisch Kunsthonig, scheinbar weichherzige Holzbläser-Soli verklären gänzlich unsympathische Menschen.
Dirigent und Orchester schnüffeln wonniglich nach schönen wie wirkungsvollen Stellen. Doch eine gewisse Äußerlichkeit bleibt. Vor allem der letzte Akt mit seinem eben auch nicht zu trauenden Menschheitspathos gerät ein wenig zu sentimental, lässt die immer noch vorhandene Ironie über Katharinas emotionales Scheitern, über Mord und Selbstmord an der neuen Gefährtin ihres Ex-Geliebten Sergej auf dem Weg ins Gulag fast mitleidig erscheinen. Dabei ist hier auch Trübsinn und Pathos nicht zu trauen. Doch dafür ist Mariss Jansons dann eben doch zu nett. Ein wenig Mitleid mit Katharina soll schon sein.
Obwohl solches das szenische Geschehen schwer macht. Bühnenbildner Harald B. Thor hat die Cinemascope-Breitwand des Großen Festspielhauses gut im Griff, hat sie geschickt mit drei bedrohlich hohen Plattenbaufassaden samt monströser Treppe, die sich zum Fanal für die legebatterieartigen Fickzellen von Brasilia, Prora und Wladiwostok zusammenschieben fokussiert. Doch die werden sind samt müllverzierten Hinterhof kaum bespielt und sind wenig wandelbar. Zu ebener Erde schieben sich schubladenartig Katharinas hotelneutral-strahlendes Schlafzimmer und das computerisierte Büro ihres Mannes Sinovi heraus. Oligarchen-Eleganz im verkommenen Hochhaus? Später stehen da auch die Polizeistation mit ihren strickend wenig komisch der Langeweile trotzenden Insassen und das alberne Gefangenenlage, wo nicht Katharina sondern nur zwei am Strick hängende Puppen einen banalen Bühnentod finden. Tanja Hoffmann hat alle in ziemlich neutrale Kostüme gesteckt.
Denn Regisseur Andreas Kriegenburg hat sich augenscheinlich nur wenig Inszenierungsgedanken gemacht, er versucht es mal wieder – wie gegenwärtig in gefühlt jeder russischen Oper – mit Nachwende-Tristesse: 50 Shades of post soviet Grey. Und beweist mal wieder: Man hat mit ihm einen renommierten Namen eingekauft, den man spielen kann, aber wirklich aufregend, neu gar ist das nicht. Er erzählt die Geschichte nach einer Vorlage von Nikolaj Leskow platt und plan. Seine Katharina, und traurigerweise auch die hier ihr Rollendebüt gebende Nina Stemme kommen nie über den Status desperate housewife hinaus. In ihrem blauen Kleidchen und mit brav-brauner Ponyfrisur bleibt sie das Heimchen am nicht vorhandenen Herd, unterdrückte Leidenschaft, Mordgeilheit gar, Aufbruchsbereitschaft, Zerrissenheit glaubt man ihren dauergeballten Fäusten nie. Viel zu sympathisch tänzelt sie sinnsuchend herum. Und die sonst so großartig hochdramatische Sopranistin hat diesmal ein viel zu großes Vibrato im Angebot, schlimmer noch: die hohen Töne klingen stumpf und erkämpft, die Mittellage flattert matt. Was ist da los?
Um sie herum eine hochsolide Festspielbesetzung: Brandon Jovanovichs rücksichtsloser Sergei hat hier mit stramm sitzenden Tönen die Tenorhosen an und zieht schnell den Gürtel aus. Als Katharina ebenfalls lüstern drangsalierender Schwiegervater Boris ist der wenig bassprofunde Dimitry Ulyanov zu jung und harmlos besetzt, als eine der wenigen Regieideen darf er sich mit einem Wasserspray vom Unrat um ihn her zwanghaft säubern; was später Sergei übernehmen wird. Der unauffällige Maxim Paster als Gatte Sinowi liefert vorwiegend hinter seinem Schreibtisch eine feine Studie in zwangsneurotischem Duckmäusertum. Evgenia Muraveva und Ksenia Dudnikova kreischen rollendeckend ihre jeweiligen Schlampen in der Küche und im Gefängnis.
Das alles pumpt sich extrem kinohaft auf, gleich an drei Ecken wird da gepinkelt und gewichst, der Wiener Staatsopernchor macht auf dicke Sangeskollektiv-Hose, in der Kommunalka, als schusselige Ordnungshüter-Brigade wie im Lager, aber es bleibt alles so fassadenhaft starr wie das pompöse Bühnenbild. Das einzige, was hier verstört sind die unscharf im Blaulicht die Fassaden weichmachenden Videoprojektionen, die ein wenig optischen Horror verbreiten sollen. Ein wenig mau für drei Schostakowitsch-Stunden.
Der Beitrag Salzburger Festspiele: „Lady Macbeth“ vom Plattenbau erschien zuerst auf Brugs Klassiker.