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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Lucerne Festival II: drei Paten des Pultes und ein smaragdgrünes Kleid

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Das Lucerne Festival ist natürlich eine wunderbare Plattform. Für arrivierte Künstler, aber auch für den Nachwuchs, der sich hier breitenwirksam präsentieren lässt. Nachwuchs war hier einst auch einmal Daniel Barenboim, vor 51 Jahren, 1966. Inzwischen ist er ein regelmäßiger KKL-Gast, mit der Berliner Staatskapelle (deren Tubist im Festspielorchester spielt) oder eben seinem West-Eastern Divan Orchestra; das passt dieses Jahr mit seiner Mission ebenfalls perfekt zum Thema „Identität“. Gerade weil man da genau nachschauen muss, es sind viele Spanier im Ensemble, denn Andalusien hat diesen musikgewordenen Gedanken der Völkerfreundschaft und des religiösen Respekts lange finanziell mitgetragen. Der ägyptische Trompeter Bassam Mussad, der im 1. Schostakowitsch-Klavierkonzert mit von der Solopartie ist, wurde hingegen im Sudan geboren, hat einen amerikanischen Pass und spielt bei den Düsseldorfer Symphonikern. So ist Identität eben manchmal auch nur ein Etikett. Waschechte, in Argentinien aufgewachsene Argentinier sind hingegen Barenboim (auch wenn der eher Weltmusikbürger ist) und seine Jugendfreundin Martha Argerich, die ihre lange brach liegenden Beziehung in den letzten Jahren wieder konzertintensiviert haben.

Heute trägt sie bunt (zumindest der Rock) und treibt es auch ebenso – mit Schostakowitsch. Unerbittlich puscht sie die hämmernden Rhythmen voran, die Trompete hat Mühe, mit ihren Staccati hinterherzuknattern. Und dann schüttelt die 76-Jährige das einfach so kraftvoll aus dem Handgelenk, ist schon wieder aufgestanden, ehe die letzte Note verhallt ist. Eviva la Martita! Trotzdem war diese längst graumähnige Löwin nie nur fauchende Raubkatze, im Lento-Teil des übergangslosen Werkes kann sie auch zahm schnurren, zärtlich fantasieren. Faszinierend dieses Miteinander der beiden Pult-Profis, höchst vertrauensvoll und trotzdem spontan. Da habe es die Jungen schwer, mitzukommen, obwohl der Schostakowitsch einschließende Ravel-Doppelwhopper mit Le Tombeau de Couperin und Ma mère l’oye mit viel fein aufgefädeltem Trauerrand und ziseliert buntscheckiger Märchenstimmung serviert wird. Und auch Bergs von Barenboim wie Divan oft exekutierten Drei Orchesterstücke sind alte Klangbekannte. Bassam Mussad, der sich vor allem als Musiker versteht, kommt zudem im Programmheft wie auf dem Festivalblog in der Serie „Das Eigene und das Andere“ zu Wort. Ohne Mehrwert geht es hier nicht!

Ein Festival kann Begegnungsort und Austauschbörse zugleich sein, manchmal versammeln sich aber nur eben gleichzeitig Titanen, die sich zur Kenntnis nehmen, mehr nicht. So geschehen diesen Luzernabend gegenüber vom KKL auf der anderen Seeseite, im Garten des italienischen Restaurants Il Padrino. Es sind wirklich drei Paten des Pultes anwesend, Bernard Haitink und Riccardo Chailly mit Gattinnen sowie Daniel Barenboim mit Agent. Jeder aber bleibt separat, auch drei Klanguniversen also. Immerhin Chailly schwärmt von seinem LFO, wie kollegial die Musker seien, wie offen und neugierig: „Die Trauerzeit für Claudio Abbado ist vorbei. Letztes Jahr haben wir uns kennengelernt, Mahlers Achte war ein letzter Liebesdienst für den Orchestergründer. Und jetzt fangen wir an, Musik zu machen.“ Mit Strauss und Strawinsky, Mendelssohn und Tschaikowsky hat man ein so toughes wie vielfältiges Programm. Schöner können Erziehungsmaßnahmen eigentlich nicht klingen. „Ich will nicht erziehen“, sagt Chailly generös, ich vermitteln, verführen, einladen. Und ich bin mir sicher, diese superbe Mischung aus versierten Orchestermusikern, Pädagogen und Solisten wird folgen.“ Bis hin nach Asien, wo es im Herbst dann auch erstmals gemeinsam auf Tournee geht.

Morgens dann Ortstermin bei Intendant Michael Haefliger. Noch immer schaut das großzügige Büro mit den Courbusier-Sesseln im Pilatushof auf das geschäftige Luzerner Herz. Hier hat einer seine Hausaufgaben gemacht, seit 18 Jahren nunmehr. Die Konzertformate sind ausgeweitet, fast schon ausgereizt. Die Moderne, selbst das Zeitgenössische sind selbstverständlich, nicht nur Feigenblatt. Die Frequenz der Veranstaltungen wurde gesteigert, neben dem unverrückbaren Mittelpunkt großer Sinfonik mit den Besten überhaupt, wo das Publikum wissend und andächtig schweigt und sich verliert, will Haefliger aber immer neu herausfordern. Nachdem der schöne Traum einer Salle modulable geplatzt ist, muss er sich für die von ihm so geliebten szenischen Projekte weiterhin Koproduktionspartner suchen, kann selbst in der Kürze und ohne fehlende Räume nichts Komplexes selbst erarbeiten. Aber er weiß, wie sehr das Publikum nach diesen neuen Formen, Räumen und Möglichkeiten sucht, als Alternative zum klassischen Sandwichkonzert.

Das hier fast schon die Ausnahme ist. Musiker, meist Akademisten, gehören dieser Tage fast zum Stadtbild, und mittags ist regelmäßig die betonmoderne Lukaskirche der Ort, an dem debütiert und präsentiert wird. Heute ist 24-jährige französische Saxophonistin Valentine Michaud dran und verzaubert ihr Publikum 70 Minuten langen mit einem Blasmarathon von schnellen und langsamen, freudvolle und trauernden Tönen. Auch ein paar blue notes und Carmens lockende Haberna sind dabei, die Sonaten von Edisson Denissow, Paul Hindemith, Erwin Schulhoff und William Albright sind zudem allesamt Festivalpremieren. Mühelos hält die hochgewachsene Blondine das durch, brilliert mit lyrisch Besinnlichem, fetzigen Riffs und langezogenen Bögen. Keinerlei Saxophon-Abnutzung stellt sich ein. Und keineswegs in der zweiten Tastenreihe verharrt ihre ebenfalls starke, rhythmisch furiose Klavierpartnerin Akvilė Šileikaitė.

Sicher schadet es auch nicht, dass hier ein smaraggrünes Seidenkleid (grün scheint die Farbe dieses Luzernsommers zu sein…) kurvenreich und hochgeschlitzt ebensoviel verpackt wie offen lässt. Das Auge isst eben auch im Konzert mit. Und hinterher gibt es für Michaud 25.000 Franken Karrierestartgeld (plus diese Konzert) des Prix Credit Suisse Jeunes Solistes. Da sehen und hörten die Bänker, wie gut sie ihr Geld angelegt haben. Kein Zweifel, Valentine Michaud wird unser Konzertleben zukünftig bereichern. Nach solchen jungen Talenten gieren alle Veranstalter, so ist Klassik wirklich spannend und sexy.

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