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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Lucerne Festival III: Der grüne Dschungel hat einen atonalen Oberaffen

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  • Das Lucerne Festival hält einen selbst als Beobachter beschäftigt. Was wir zum Beispiel ganz vergessen haben: Neben den im täglichen Stundenplan fast schon als Routine empfundenen F-Klasse-Konzerten, dem LFO, dem Academy Orchestra, den artists étoiles sowie den Meisterklassen für Dirigenten wie Komponisten gibt es auch noch den composer in residence. Als solcher wurde dieses Jahr der Holländer Michel van der Aa eingeladen. Was bestens passt. Denn der 47-Jährige interessiert sich genauso für Filme und Multimedia, hat bereits eine 3D-Oper komponiert und verlinkt gerne Spären, ist ein Weltenwanderer zwischen alten Instrumenten und moderner Technik. So wie in seinem Cellokonzert mit Film Up-Close, das er nun – nach der Kammeropern „Blank Out“ mit Miah Persson und „Das Buch der Unruhe“ nach Fernando Pessoa – in den 40min vorstellt, natürlich gespielt vom artist étoile Jay Campbell. So greifen hier die verschienden Festival-Spähren und –Reihen ineinander.

„Identität“, das natürlich auch. Denn rechts sitzen das Alumni-Orchester und der Solist im orangenen Shirt (grün hatte es sein müssen!), links steht eine noch leere Leinwand. Übe die bald Bilder einer Frau huschen. Die sitzt an einem Zahlencode, bedient eine Art Morsegerät, das selbst Lärm macht. Es gibt also Zuspielungen, die Livemusik und den Filmton. Es soll hier um die Niederlande und den Widerstand unter der deutschen Besatzung gehen, so viel verrät der kommunikative, aber über Inhalte sich gerne spröde ausschweigende Komponist mit dem hochstehenden Stoppelhaar über der beginnenden Platte (das wäre auch noch eine Möglichkeit für Heinz Holliger gewesen, aber: zu spät!!) Das Stück sieht und hört sich jedenfalls bunt an, auch deshalb, weil der Solist – noch so ein Allenstellungsmerkmal im Repertoire – interagieren, sprich: seinen altmodischen Stuhl und eine gedrechselte Lampe durch die Gegend tragen muss, so wie die Filmfrau es will. Die liegt nämlich nachher diese umarmend damit im Dunkel. Auch Blackout im Saal. Das wiederum zahlreich erschienene Publikum (nur wenig Abwanderung gab es) ist begeistert. Auch wenn sich und das „Verdoppelte Ich“ der Konzertankündigung nicht wirklich erschlossen hat.

Nach diesem Amuse-Bouche wenden wir uns vom KKL ab, Barenboim und sein Divan dürfen heute im zweiten Konzert allein Don Quichote von Strauss und die Fünfte Tschaikowsky musizieren, wir wollen zu Heinz Holligers Meisterkurs Dirigenten, draußen beim Südpol. Den theoretischen Teil haben wir freilich verpasst, wie auch die sich bereits an der Busstation breitmachenden Akademisten, die ebenfalls zum nächsten Klangdienst müssen. Den dort anwesenden etwa zehn Zaunzuhörern erklärt Holliger (Achtung: Haare zum Teil auf Halbmast, hat was von einem Heiligenschein) noch einmal kurz das erste Stück, Charles Koechlins von ihm so geliebtes „Dschungelbuch“ (es wird also doch noch luzerngrün), von dem er sich den Satz „Les Bandar-Log“ ausgesucht hat. In der Disney-Version ist das natürlich Louis Prima als swingende King Louis mit seiner Affenrasselbande. Doch auch Koechlin enfernt sich etwas von Kipling. Er beschwört zwar ruhig dösende Regenwald-Atmosphäre, aber wenn es bei ihm laut und schrill wird, da defilieren da viele Parodien auf den damals zeitgenössischen Musikbetrieb vorbei: die Neobarocken mit kreischigen Fugen etwa oder das stotternd dröhnende Kontrafagott, das den Oberpriester vorstellen soll – natürlich den der 12-Ton-Musik, René Leibowitz.

                 

So vorbereitet, können wir die vier jungen DirigentInnen von der Leine lassen. Jeder darf eine halbe Stunde, zwei erstmals am Koechlin, die anderen am zweiten Stück, Debussys orientalischem Ballett Khamma – das Koechlin vollendet und orchestriert hat. Zunächst ist ein Franko-Marokkaner dran. Ohne Stab und sitzend schlägt er sparsam, aber Holliger noch nicht präzise aus dem Handgelenk genug. Er bricht viel ab, bekommt dafür gleich optimierte Resultate. Kommt aber nur bis zur Hälfte des Stückes. Dann folgt eine Deutsche, stehend, mit Stab, sehr harsch in ihren Anweisungen, nur wenige Male unterbrechend. Sie macht in der Mitte weiter und dann nochmals von Anfang an. Mit ihr bespricht sich der hinten guru-gleich thronende Holliger unter vier Augen, während die fast hundert Instrumentalisten sich auf den Debussy verkleinern.

Zeit, diese ein wenig zu studieren. Viel Porno-Schnautz wird bei den Herren wieder getragen, der Konzertmeister führt Schuhe ohne Senkel, dafür zwei verschiedene Socken vor – schon zum wiederholten Male. Brave Blicke bei den Flöten. Ein Kontrabassist ist offenbar gerade in seiner blauen Periode – bis in die Haarspitzen. Ob sich diese jungen Musiker auch ihre Nonkonformität bewahren, wenn sie fest in einem Orchester mitspielen? In Luzern ist noch alles möglich. Der dritte Dirigent, ein Spanier tritt wieder ohne Stab an, schlägt einmal durch, das war es dann für ihn. Der vierte, ein schicker Pole mit Metalstab hat sichtlich Zeit auf seine künftige Maestrofrisur verwandt: seitlich hochgeschoren, in der Mitte zurückgegelt, vorn nach recht hinten zur Tolle gebogen. Hatten wir auch noch nicht!

Wir gehen ein wenig früher und kommen noch rechtzeitig ins KKL zum Encore. Das Interval leuchtet heute Orange. Identity Chance! Zum Glück gibt es es im Wasserbecken noch glubschig grüne Kunst als Bälle-Installation. Das Divan-Konzert hat wegen zwei Zugaben etwas Überlänge. Dann kommen ein paar Bläser, spielen eher robust einige stierkampfarenaartige Marschmusiken als bessere Pflichtübrung weg. Keiner sagt was an, öffentliche Auftreten wird – wie etwa in amerikanischen Jugendorchestern – bei den West-Easterns offenbar nicht gelehrt. Stimmung kommt da nur bedingt auf, nach 15 Minuten ist der etwas lustlose, auch durch Mitklatschversuche nicht zu optimierende Interval-Spaß vorbei. Das müssen wir noch lockere Lucerne Loungigkeit üben!

Morgens dann der Ganz zu den Müttern. In den Clubräumen des KKL ist das Composer Seminar erstmals öffentlich. Der durchaus gezeichnete, müde wirkende, aber frohgemute und konzentrierte Wolfgang Rihm zeigt sich nach seiner schweren Krankheit erstmals wieder in der Halb-Öffentlichkeit. Wiederum sind es etwas 10 Externe, die neugierig sind, was er den 10 jungen, international ausgewählten Komponisten zu sagen hat, die jeweils eine Stunde verschiedene Werke auch akustisch vorstellen, um sie dann gemeinsam mit wechselnden Kollegen (diesmal ist es Dieter Ammann) durchzusprechen. Aber erst einmal gibt es Kaffee und Gipfeli.

Der heutige Klangprobant, ein Deutscher spricht mit großer Geste von Freiheit und Felxibilität, von Möglichkeiten und Zufall, vor allem vom Bewusstseinstrom. So klingt dann auch sein erstes Stück in dem ein wortloser Sopran dominiert. „Warum singt die Frau keinen Text“, fragt Rihm. Der komponist weiß es nicht zu sagen, es hat ihn nicht interessiert: „Sie ist nicht der Fokus“. „Eine Frau mit schöner Stimme, die hoch singt, ist immer der Fokus“, breitet Rihm Geheimnisse aus der Meisterpraxis aus. „Ich will wissen, ob das eine zänkische Hausfrau oder Dido abandonata ist“, grummelt er. Finden wir auch.

So geht es vergnüglich, aber durchaus instruktiv weiter, wir landen – natürlich – bei der deutschen Identität, aber auch bei Utopien. Und am Ende bei Helene Fischer. Was, wenn Wolfgang Rihm mal einen von ihren Texten vertonen würde. „Atmelos durch die alleatorische Nacht“. Man wird ja noch träumen dürfen…

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