Verzückte Mienen im 40. Stock: Zum großen Asientournee-Finale gibt es den Fuji wolkenfrei als sonnenherrliches Frühstückspanorama! Da steigt die Stimmung im New Otani in Tokio nicht nur beim Deutschen Symphonie-Orchester. Bevor die Anspielprobe zum letzten Nachmittagskonzert in der Suntory Hall, zugleich der künstlerisch wichtigste Reisetermin, startet, schwärmen noch einmal inklusive Angehörigen alle Mitreisenden aus: zum Kaiserpalast, wo man anlässlich des Feiertags zumindest auch mal in den Garten vorgelassen wird, zu Uniqlo, um steuerfrei und ein wenig billiger als in Deutschland für den Winter Thermojacken, Isolierwäsche oder Hoodies zu shoppen oder zum Oriental Basar, um letzte landesübliche Mitbringsel, die nicht Hello Kitty heißen, zu erstehen – darunter auch 70 Jahre alte Haori, feinseidene Kimono-Überjacken. Ein lohnendes Ziel ist auch der nahe dem Hotel auf einem Hügel per Rolltreppe zu erreichende Hie Tempel, wo heute besonders viele Leute in traditioneller Kleidung unterwegs sind. Japaner im Kimono, Fächerahorn und ein Shinto Schrein – schon wähnt man sich Jahrhunderte weg von der nur hundert Meter weiter tobenden 37-Milionen-Megametropole.
Diesmal haben es auch alle pünktlich bis 14 Uhr in das unterirdische Tiefgaragenlabyrinth zum Bühneneingang der Suntory Hall geschafft. Hier unten stehen diverse Rolls Royces traut auf ihrer Dauerparkfläche, eine Etage höher breitet sich vor dem berühmtesten, 1986 eröffneten japanischen Konzertsaal der Herbert-von-Karajan-Platz aus – so gibt es ein weißrotes Schild in Salzburger Sütterlin-Emailleoptik an. Hinter der Bühne dankt der Orchesterdirektor allen für eine reibungslose und musikalische ergiebige Reise, unter den 2000 Zuschauern haben bereit die verbleibenden Förderkreis-Mitreisenden Platz genommen, eben von einem Abstecher nach Naoshima, der Museumsinsel von Stararchitekt Tadao Ando, zurück. Sie haben Yoshinko Mori mit dabei, die Witwe eines der reichsten Männer Japans und Betreiberin des Mori Art Museum in eigenen Ropongi Hills Tower.
Und das Konzert bringt wirklich selbst gegenüber der blendenden Akustik in Myazaki noch einmal eine Steigerung. Man bewegt sich in vertrauten, während der letzten Tage gemeinsam ausgeschrittenem Repertoireterrain; man lässt es aber nicht nur laufen, es soll Spaß machen und trotzdem wieder wie neu klingen. Nach der Morgenimpression könnte Mendelssohns so duftig aus dem Nichts anhebende Hebriden-Ouvertüre heute auch Kirschblütensonnenaufgang am Fuji heißen. Das Beethoven-Konzert erklingt in perfekter Geläufigkeit, so sportiv wie sensibel. Yulianna Avdeeva, diesmal in Silber, schlägt so gekonnt zu, wie sie sich Zeit für zarte Rubati lässt, die Musik zum Atmen bringt, keinerlei stupide Wiederholung, sondern Verfeinerung möglich werden lässt.
So folgt auch Brahms’ 1. Sinfonie, mit großem Ton in der üppigen Akustik, wirkungsvoll klangprächtig, c-moll, schafft sich ernst Raum, hat aber meist einen Anflug von Heiterkeit. Tugan Sokhiev, sonst immer verbindlich, nur kurz auf jeder Tourneestation sichtbar, hinterher nie als soziales Bindeglied unterwegs (ganz anders als etwas die beiden letzten DSO-Chefdirigenten Kent Nagano, der das Orchester ins Onsen-Bad einlud oder Ingo Metzmacher, der mal für alle einen ausgab), hier wird er zum Kommunikator. Die Musik scheint durch ihn hindurchzuströmen, er ist ein geistesklares Medium, das einfache, aber perfekte Impulse verteilt, mit und ohne Stock. Sokhiev ist kein Mann für irgendwelche –ismen, bei ihm erstaunt man nicht, erlebt selten kathartische Momente, aber er ist ein genuiner, impulsstarker Musiker. Man hört intensiv zu, auch gelassen, weil bei ihm alles richtig klingt.
Anschließend also entspannte Freude. Diesmal werden sogar zwei Zugaben gewährt, der Grieg nur für die Streicher und noch einmal das graziöse Mozart-Rollkommando der „Figaro“-Ouvertüre. Jubel! Asien hat sich für das DSO wieder einmal gelohnt. Und selbst der morgige Rückflug ist – toi, toi, toi – terminlich richtig gewählt. Den wenn am Freitag die Lufthansa-Piloten streiken wollen, möchten mit der selben Fluglinie die Dresdner Staatskapelle unter Myung-Whun Chung und das hr-Sinfonieorchester unter seinem neuen Chefdirigenten Andrés Orozco-Estrada eigentlich nach Asien!
Zum Schluss noch ein paar Zahlen: 102 Personen waren 13 Tage lang für acht Konzerte und zwei Kammermusikdarbietungen sowie acht Meisterklassen in fünf Städten und zwei Ländern unterwegs. Dabei wurden 22.500 Kilometer zurückgelegt. Für eine Geiger war der Auftritt in der Suntory Hall nach 37 Dienstjahren das letzte Konzert mit dem DSO.
Und wem nützte das? Allen. Dem Orchester wie den einzelnen Musikern, Korea und Japan, dem Veranstalter, Beethoven, Brahms, Schubert und Mendelssohn – der Musik. Ach ja, und die Schlange bei der abschließenden Autogrammstunde von Tugan Sokhiev und Yulianna Avdeeva in der Suntory Hall, sie war so lange, dass sie nur auf drei Fotos ging…
Das war’s aus Japan!
Der Beitrag DSO in Fernost: Asientournee XII erschien zuerst auf Brugs Klassiker.