Und wieder war es drückend schwül mit regnerischen Erleichterungen. Bei einem letzten Salzburg-Wochenende war das Wetter festspielkonform und auch die dargereichten Aufführung bestätigten noch einmal den günstigen Eindruck des Festival-Sommer 2017: Substanz mit Glanz, ernsthafte Auseinandersetzung mit wichtigen Werken, wirklich festspielhaft. Und während in den Konzerten mit den Wiener und Berliner Philharmonikern, Simon Rattle und Daniel Barenboim sowie dem 40. Dienstjubiläum vor Ort von Anne-Sophie Mutter im Endspurt noch einmal auf Stars gesetzt wurde, gingt es in den Opern sehr auch um die Sache. Zumindest in den szenischen. „Wozeck“ in der schwarz-weiß schraffierten Zeichentrick-Vision William Kentridges erzählt ästhetisch nichts Neues, wenn man das Bühnenschaffen dieses Künstlers kennt (oder es in der hervorragenden, sinnfällig begleitenden Ausstellung im Rupertinum/Museum der Moderne kennenlernen konnte), rückt das „Wir armen Leut’“-Panorama aber sinnfällig in den Ersten Weltkrieg. Schließlich wurde dieses Meisterwerk auch nach diesen Erfahrungen von Alban Berg (er war damals Schreiber im Kriegsministerium) 1925 uraufgeführt. Überragend ein reifer Matthias Goerne in der Titelrolle, stark auch Asmik Grigorian als Marie, blendend die übrige Besetzung. Interessant der lyrisch-melodische, ja süffige Klangansatz Vladimir Jurowskys am Pult der Wiener Philharmoniker.
Grandios auch die neuerlich Wiederbegegnung mit dem nunmehr 39-jährigen „Lear“ von Aribert Reimann in seiner 28. Produktion. Was für ein starkes Stück, ergreifend, aufrüttelnd, neuerlich in der Felsenreitschule als idealem Ort sehr heutig von Simon Stone visualisiert. Ein Spiel der Mächtigen, bald aber Ohnmächtigen aus der Mitte der Festspielbesucher. So nah kam die Kunst dieses Jahr kaum. Doch der Feier-Naturalismus einer immer mehr zerfledderten Wiese wicht einer strengen Stilisierung im zweiten Teil. Die Besucherstatisten auf der Bühne werden ritualisiert geschlachtet, ein Reich und einer Weltordnung ersaufen im Blut. Und der verrückte König im Trainingsanzug stirbt mit seiner verschmähten Tochter im Krankenbett (das vierte in diesem Salzburg-Sommer!) einer weißen Wüstenei und verliert sich im Bühnennebel. Toll! Franz Welser-Möst und die Wiener spielen das souverän als schroffe Klangfläche und humane Klage, im Schlagwerkgewitter und in der einsamen Litanei. Handverlesen ist die Besetzung mit einem nuancenreichen Gerald Finley als Lear, Evelyn Herlitzius und Gun-Brit Barkmin als kreischender Gier im Chanelkostüm, der herben Jungmädchenhaftigkeit Anna Prohaskas als Cordelia.
Zur Salzburg-Tradition gehört immer auch noch ein konzertantes Belcanto-Zuckerl am Ende, zum dritten Mal nun schon mit Juan-Diego Flórez. Diesmal galt der Vokalzauber Donizettis herrlichem Gift-und-Dolch-Schinken „Lucrezia Borgia“. Krassimira Stoyanova sang sich tapfer und klangfein als mordende Mama durch die Titelrolle, obwohl die Belcanto-Stratosphäre eigentlich nicht ihr Sopranistinnen-Ding ist: eine charmante Fehlbesetzung. Flórez zeigte als Genaro vokal erneut seine dunkel Männlichkeit in der breiter werdenden Mittellage, verfügt aber nach wie vor über sichere hohe Cs; auch wenn man dafür bis nach der Pause warten musste. In dieser Musik mit seiner nicht so großen Bassstimme besser aufgehoben als im schweren Verdi-Fach scheint Ildar Abdrazakov (Don Alfonso). Mit wendiger Mezzoglut räumte die schlankstimmige Mezzo-Überraschung Teresa Iervolino als Maffio Orsini ab, nur ihre Strassplateauschuhe und das Rüschenkleid schienen optisch wenig pagengerecht. Ein Ärgernis neuerlich das blaskapellenhaft lärmende Mozarteumorchester unter dem rüde gleichförmigen Marco Armiliato. Auch Donizetti kann man subtiler spielen. Mehr bald in Oper! Das Magazin.
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