Sasha Waltz hat es eilig. Die designierte Chefin des Berliner Staatsballetts, die zwar erst im Sommer 2019 an die Macht kommt, will ihre Stellung möglichst schnell stärken. Nachdem vorher nicht nur im Kommunikationsprozess nach innen wie außen so ziemlich alles schiefgelaufen ist. Eingesetzt unter zweifelhaften politischen Prozessumständen, zunächst nur schweigsame Frau, will sie jetzt ganz schnell Vorlagen schaffen. Dazu gehört eine Pressekonferenz, bei der bereits am Freitag gemeinsam mit dem von ihr abhängigen Kodirektor Johannes Öhman das Planungsfeintuning für ihre Tanzherrschaft in Berlin vorgestellt werden soll. Und es ist natürlich auch kein Zufall, dass Waltz, die fast zwei Jahre nichts Neues geschaffen hat, jetzt innerhalb von drei Monaten gleich zwei neue Stücke herausbringt: „Kreatur“ und „Women“, das eine 90, das andere 70 Minuten lang, die sie jetzt auf der internationalen Plattform „Tanz im August“ zwecks bessere Sichtbarkeit fast parallel laufen lässt. Ob sich Sasha Waltz damit freilich einen Gefallen getan hat? Beide Werke, selbst das ungleich bessere „Kreatur“ offenbaren, wie sie ihre Werke zusammenpuzzelt, wie wenig sich bei ihr weiterentwickelt. Und wie wenig das mit dem kompatibel ist, was das Staatsballett bisher zeigt.
„Kreatur“ meint mal wieder schon im Titel alles und gar nichts, so wie bereits 2000 ihr Schaubühnen-Hit „Körper“, von dem sich immer noch Waltz’ heutiger Ruhm speist. Alles andere danach, die mehr tänzerischen, zum Teil als Auftragsarbeiten entstandenen Choreografien „Impromtus“, „Roméo et Juliette“ und „Le Sacre du Printemps“ sowie das rasantere „Jagden und Formen“ folgten den selben Mustern. Sie verlässt sich auf sehr gute Mitstreiter für Kostüm, Licht und Musik, vertraut auf die Präsenz und Ausdruckskraft ihrer bewusst variantenreich zusammengestellten Tänzer. Ansonsten gründelt sie inhaltlich im atavistischen Menschsein, stellt aus, ohne konkret zu erzählen, die immer ähnlichen Reihen und Reigen, verkrümmte, verklammerte, verschlungene, verklumpte Grüppchen. Das ist höchst pittoresk und dekorativ, doch aus den bekannten Schnittmustern kombiniert; zudem immer öfters gespeist aus ihren längst zur modischen Marke gewordenen Raumabtastungen in vorzugsweise spektakulär zu eröffnenden Kulturgebäuden. Wie man hört, soll sie natürlich auch das Berliner Stadtschloss samt Humboldtforum quasi-schamanisch schön-und-gut-tanzen.
Sasha Waltz ist eine Marke geworden, sie klont und variiert sich, Neues sieht man gegenwärtig nicht. In „Kreatur“ stellt sie aber immerhin gekonnt aus, etwa ihre überschaubare, clever kombinierte Zahl an Akteuren, fünf Frauen und neun Männer. Als Requisit dient eine steile, schmale Treppe für dramatische Arrangements . Ein bisschen Kampf, ein wenig Erotik (dazu stöhnt dann prompt Jane Birkin ihren Orgasmus-Klassiker „Je t’aime“), manchmal auch nur Krampf. Oder das von ihr schon vertraute Einwickeln in Folien. Waltz gelingen einfallsreiche, bisweilen durch Schwarzblenden getrennte, sanft surreale Szenen.
Je länger das dauert, desto mehr wird das Reihungsprinzip deutlich, manches ist auch einfach zu lange geraten, in der Substanz zu dünn und plötzlich saftlos. Dazu wummert Soundwalk Collective effektiv und pseudo-tiefgründelnd. Das Tollste an „Kreatur“ sind, neben den Tänzern als aufdringlich halbnackten Schmerzensmänner und –frauen, die wie Ausrufzeichen wirkenden Kostüme der holländischen Modeschöpferin Iris van Herpen. Die sind leichte Hüllen und schwere Panzer, haben gleich anfangs die Wirkung von fluffigen Badeschwämmen, umspielen elegant die Bewegungen oder wirken als Fanal in Gestalt des igelhaftschwarzen Wesens, das in der langen Schlusssequenz seine Regenschirmspeichen gefährlich aggressiv auf- und ausstellt. Solche Bilder wirken nach, auch wenn der Eindruck der fließenden, verharrenden Bewegungen schon längst verflogen ist. Was bleibt ist also – Design.
Im Mai wurde das ziemlich einhellig bejubelt, die vornehmlich weibliche Tanzkritik lässt ihre einsame Heldin Sasha Waltz nicht so schnell fallen. Richtig peinlich wurde es aber jetzt in „Woman“ – zum möchtegern-sakralen Spektakel aufgepeppt in der leeren Backsteinhülle von Friedrich Schinkels St. Elisabethkirche. Das Publikum versammelt sich am Boden sitzend im Halbkreis, und aus der Apsis strömen 19 Frauen im fein gebastelten Wallakleidchen, um eben ihr Frausein zu thematisieren. Stöhnend und raubtierhaft grunzend wie schreiend, zum Rudel versammelt und weit ausschweifend. Sie tippeln, spreizen die Beine und beten im Dämmerschein priesterinnenhaft zum Himmel, zur großen Mutter. Sie stampfen und ziehen sich aus der Mitte, dem Schoss empor. Dann sind alle schnell wieder nackt (Sasha Waltz scheint eine Obsession mit Brüsten zu haben!) und tragen (Plastik)gekröse mit sich herum, spritzen wässrigen Blutsaft. Ja, ja: Ritual, Fruchtbarkeit, Ritus, Weihe, Mysterien, Kult. Vor allem aber: Kunstgewerbe.
Zum Fremdschämen wird es, wenn Sasha Waltz dann (Zitat! Inspiration!) eine feministische Kunstikone für ihre pseudo-kultische Peinlichkeit beklaut und missbraucht, Judy Chicagos Installation „The Dinner Party“, drei zum Vulva-Dreieck geformte Tische für dreimal 13 berühmte wie legendäre Frauen der Weltgeschichte. Sasha Waltz langt das nur zu einer orgiastischen, ob ihrer Klischeegeladenheit aus nächster Nähe nur peinsam zu beobachtenden Organspeisung der 19. Da werden Bäuche gestreichelt, Fruchtbarkeit beschworen, an Waschungen erinnert und aus Hautfalten Flüssiges geschlürft. Die hingebungsvollen Tänzerinnen, die sich Kunststoffherzen um den Hals legen und Gummidärme in die Haare schlingen, welche auch von Gabeln durchpflügt werden, wirken dabei fast als Missbrauchsopfer.
Feminismus als banales Bacchantinnen-Gewese. Das soll archaisch sein und ist nur albern. Karlsruher Kunstkrampf. Sasha Waltz beweist hier wieder mal, das sie augenblicklich vor allem zur Handarbeitslehrerin des zeitgenössischen Tanzes erstarrt ist. Und ihre Bühne bleibt ein Schaufenster, in dem hingebungsvoll vor allem drapiert, dekoriert und arrangiert wird. Mit geschmacklich wechselhaftem Ergebnis. Es könnte also durchaus sein, dass diese ostentativ strategische Doppeldemonstration des gegenwärtigen Waltz’schen Kreativpotentials auch als Schuss nach hinten losgegangen ist. Was ihre Stellung beim Staatsballett nicht unbedingt festigen wird. Jetzt sind wir aber erstmal auf den 8. September gespannt.
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