Die Spezies der Komponistenwitwen war schon eine sehr besondere, übertroffen freilich noch von den langlebigen, weil spät meist zum x-mal geheiraten und bisweilen sehr nervigen, zumindest hartnäckigen Operettenkomponistenwitwen. Ein Unterabteilung, klein aber kostbar, verkörperten schließlich die Operettenkomponistentöchter. Die charmantestes, sehr besondere und einfach nur im besten Sinne operettigeste unter ihnen ist eindeutig Yvonne Kálmán, unter Freunden nur als Yvonneka bekannt. So wurde sie nämlich bereits von ihrem über alles geliebten Vater Emmerich (Imre) Kálmán gerufen. Der freilich starb schon 1953 in Paris, da war sie gerade mal 16 Jahre alt. Schließlich war sie die jüngste der drei Kinder, geboren in Wien, als Säugling schon auf der Flucht, in Paris, New York, Los Angeles und Paris aufgewachsen. Doch ihre deutschsprachigen Wurzeln hat sie stets zu bewahren gewusst. Und auch ihre ungarischen. Zwar mag in Budapest gegenwärtig nicht das beste politische Klima herrschen, aber Yovonneka hatte vorher schon beste Beziehungen zum berühmten Budapester Operettentheater. Dort ist man konservativ und frohsinnig, hatte Kálmán immer schon bevorzugt im Tourneegepäck, etwa bei den legendären München-Gastspielen im Sommer (gegenwärtig gastiert dort die Paprika-Connection mit der „Herzogin von Chicago“ altbewährt im Deutschen Theater). Und deshalb wurde jetzt, schließlich sitzt der Papa nicht umsonst in lebensgroßer Bronze auf der Bank vor dem Entree, der – ja es, wurde leider öffentlich – 80. Yvonneka-Geburtstag als großer ungarisch-amerikanisch-deutsch-österreichisch-mexikanischer Birthday-Bash gleich über drei Tage begangen.
Der Einzug der rund 100, teil aus der ganzen Welt angereisten Gäste erfolgte protokoll- und anlassgerecht über das Parlamentsgebäude, selbst ein nationalistischer Operettentraum in extrem prachtvoller Post-Spätrenaissance. Vorbei an der originalen Stephanskrone unter der Kuppel, bewacht von stramm säbelzückender Soldateska, ging es in einen Raum voller schwülstiger Fresken (das Balaton-Panorama in der Mitte passte, schließlich wurde Papa Imre dort im Badeort Siófok geboren). Hier überreichte Zoltán Balog, Minister für menschlichen Angelegenheiten (of human affairs), der selbstredend in der Lieblingsfarbe Rosa gekleideten Jubilarin die Medaille „Pro Cultura Hungarica“ für ihren unermüdlichen Operetteneinsatz für Papas Werke.
Nach einem champagnerblasen-gesättigten Austritt auf den Panoramabalkon über der Donau gab es anschließend im Bus gleich halbliterweise die echte Witwe Clic, Yvonnekas bevorzugte, aus München im Auto annährend hektoliterweise ins Land geschmuggelte Brausemarke. Und alle waren total entspannt, als man endlich in der Nähe von Kaiserin Sisis Lieblingsschloss Gödöllö ankam, um Pferdeshow, Piroschka, Paprika, Goulasch, Barackpálinka und überhaupt ungarische Lebensart bis spät in die Nacht zu erleben. Nur die Mexican Girls Gang, allen voran Lupe und Raquel, schossen noch reichlich Tequila nach, um endlich Betriebstemperatur zu erreichen. Über alle Promille behielten freilich wackere Ex-Lufthanseaten die Contenance, auch wenn es nie über die Wolken ging.
Yvonneka, die, die vor allem das schrille, bunte, in Maßen elegante, multikulturelle Berlin liebt, auch wenn sie für gewöhnlich weit weg davon, in Mexiko, Kalifornien und München residiert, verkörpert die ganze Lebenslust und den unzerstörbaren Optimismus der Gattung. La Kálmán wirft wie eh und je die blonden Locken in Positur, klappert mit den roten Ringen. Sie ist trotzdem ein Musterbespiel einer mit der Zeit gehenden Erbin. Papas Hinterlassenschaft im Schützengraben, die Csardasfürstin von einem Mann verkörpert, sie hat alles zugelassen – nach reiflicher Überlegung. Operette muss schließlich modernisiert werden dürfen.
Christoph Marti von den „Geschwister Pfister“, nun Sylva Varesku und Tante Božena Guddenstein zu Clumetz auf Operettenzeit, wurde ein besondere Freund: „Ich kannte ihn nicht, war skeptisch, heute bin ich verliebt in ihn. Bei ihm ist es mir völlig egal, ob er eine männliche oder eine weibliche Rolle spielt, Christoph ist einzigartig.“ Doch weil er gegenwärtig für eine wietere Damenrolle in einem Heurigenlokal probt, waren er und „Bruder“ Toni leider verhindert.
Ihre Rolle als frohsinnig-lebensgierige Vermittlerin zwischen gestern und morgen, die auch mal die Flasche Veuve Clicquot unter dem Tisch deponiert, wenn oben nur Sekt ausgeschenkt wird, spielt Yvonne Kálmán nach wie mit Grandezza. Schließlich war ihr eigenes Leben nicht ohne operettige Absurdität. Den gegenüber dem Nachwuchs stets liebevollen Vater hat die sich ewig inszenierende Mutter gleich zweimal geheiratet, so wie sie ihre Biografie komplett neu erfunden und sich beständig zur Kunstfigur der Operette stilisiert hat. Die jüngste Tochter heiratete dreimal, erst einen Buffo aus Daddys letzter Operette, zuletzt den Lufthansa-Cargo-Chef für die USA, mit dem sie auch in Australien lebte – und sogleich in Sydney mit Joan-Sutherland-Dirigiergatte Richard Bonynge Kálmán-Premieren klarmachte. Sie war Galeristin, heute betreibt sie im mexikanischen Badeort Puerto Vallarta die Casa Yvonneka. Unten wohnt sie, oben vermietet sie 12 Schlafzimmer: Ferienapartments mit Csárdásprinzessin!
„Kálmán ist wie Puccini, aber zum Mittanzen“ lautet ihr Motto,. Oder, um es mit einem von Papas Welthits zu sagen: „Ganz ohne Operette geht die Chose nicht.“ Und natürlich auch nicht die Puszta-Party zum Achtzigsten. Schon im Parlament sangen Abgesandte aus dem Operettenhaus Papas Ohrwürmer, ebenso fiedelte und zymbalte sie später die Zigeunerkapelle während Salami, Grieben und Grillspezialitäten samt reichlich Entenleber gereicht wurden. Bei der Pferdeschau trat sogar Sisi höchstselbst auf, und so mancher Flachland-Csikós musste mit der Peitsche nach der Weinflasche schnalzen.
Tag Zwei brachte abends das große Dinner an der intimen, verschnörkelten Zweitspielstätte des Operettenhauses, seit April Kálmán Theater genannt. Die Spitzenkräfte der ungarischen Operette von gestern wie heute unterbrachen die diversen Gänge mit klingenden Einlagen, mal nostalgisch, mal modern. Die Jubilarin als Cinderella im selbstleuchtenden Pink-Princess-Dress mit ebensolchen Hortensien in der Hand hatte schon vorher ihren großen, regentrotzenden Operettendivenauftritt. Während des Essens liefen Fotos aus dem Familienalbum über die Bühnenleinwand, wenn dort keiner sang, tanzte, spielte, geigte oder weinte. Zirkusprinzessinnen, Faschingsfeen und fesche Frackträger wirbelten vorbei.
Der Höhepunkt war aber erst er erreicht, als auch die legendäre Marika Oszvald, dralle Soubrette mit Akrobatikeinschlag, ihren inzwischen etwas gesetzteren, aber keineswegs weniger temperamentsprallen Auftritt hatte. Und dann gab es wieder eine funkensprühende Torte zum Anschneiden. Die erste, am Tag vorher, war für den texanischen Freud, der just an diesem Datum ebenfalls Geburtstag feierte; während Yovonnenkas eigentlicher Jubeltag schon 24 Stunden früher vorbei war.
Es schlossen sich Nachglüh-Brunch und eine allerletzte Rooftop-Cocktail-Party an, mit wieder reichlich Tequila – und die letzte Königin der Operette wurde höchst lebendig in ihr 81. Lebensjahr entlassen. Mögen noch viele weitere folgen!!
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