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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Musikfest Berlin: Riccardo Chailly lässt die Zitronen intellektuell blühen

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Hat eigentlich schon mal jemand gesagt, wie schön doch der neue Philharmonie-Vorplatz im Berliner Abendschein geworden ist? Eigentlich war hier ja nur der Hintereingang über den Parkplatz mit seinen netten, aber in der Berliner Mitte zwischen den Besucherblechkisten etwas deplatziert wirkenden Ölbäumen. Griechische Agora und so, schon klar. Eines dieser vielen Kulturforum-Missverständnisse auf einem staubigen, zugigen Nicht-Platz, der so gern geistiges Wohnzimmer sein will. Der neue Zugang in die teure Halle, über den inzwischen die Masse der Pilger ankommt, putzt aber doch ungemein. Mit mehr als einem Hauch von Süden, wenn das Licht stimmt. Auch wenn auf ein paar Stellplätze verzichtet werden musste. Doch das nur so nebenbei. Denn der Anlass ist ein anderer: Die Filarmonica della Scala (noch mehr Süden!) gastiert mal wieder in Berlin. Und nicht Daniel Barenboim oder ein venezolanisches Nachwuchstalent manipulieren am Sound, sondern ein echter Italiener lässt den wieder aufleuchten. Riccardo Chailly, seit zwei Jahren Scala-Musikchef mit besondere Aufmerksamkeit für das Orchester auch in Konzerten, präsentiert sich bewusst mit deutsch-italienischen Stilwechselbädern. Schert sich dabei wohltuend nicht um ein geistiges Band. Und sein flauschiges Podium in Scala-Rot hat er gleich mitgebracht, zudem auch ähnlich rote Notenkladden.

Zum Konzertauftakt beim Musikfest Berlin gab es das Brahms-Violinkonzert, nicht teutonisch breit, ja fettig, sondern schlank, geschmeidig und wunderbar weich klingend. In besten Gegensatz dazu der eher intellektuelle, erzählende Ansatz des Solisten Leonidas Kavakos, mit dem Chailly seit 20 Jahren ein ungewöhnliches, aber herrlich eingespieltes, sich durch Gegensätze befruchtendes Team bildet. Der mit einer taubenblauen Joppe bekleidete, seine grauschwarzen Virtuosensträhnen  fliegen lassende Kavakos parliert in der Aufmerksamkeit heischenden Kadenz mit etwas sprödem, aber doch glänzend-flüssigem Ton über einer feinen ausgebreiteten Orchstergrundlage, der zweite Satz ist eine gedanklich nie abreisende Meditation, ein funkelnder Tonstrom, geistig gefasst, aber auch sich gehen lassend. Im Finale singt Kavakos das à la ungarese-Thema in den Wiederholungen mit unmerklichen Rubati, die die vorzüglichen Holzbläser bruchlos aufnehmen. Geschmackvoll, stilsicher, makellos ist das. Und Bach gibt es als weitere deutsche Zugabe.

Mehr die Temperamentskrallen gezeigt werden im Verdi-Teil nach der Pause. Doch sowohl die Ouvertüre zur „Sizilianischen Vesper“ wie die zugegebene zur „Macht des Schicksals“ vollführen das mit Italianitá-de-luxe. Das knallt ein wenig, aber immer mit Delikatesse, da wird Spannung aufgestaut, trocken entlädt sich das Schlagwerk, wunderbar wölben sich die Melodiebögen, der Rhythmus pulsiert unmerklich. Das ist allergrößtes Opernkönnen. Verinnerlicht, aber in den seltenen, scharfen Dynamikkontrasten auch schmerzlich grell nimmt Chailly die etwas unvermittelt dazwischen platzierten beiden Chor/Orchesterstücke aus Verdis Quattro pezzi sacri, das Stabat Mater und das Te Deum. Der Rundfunkchor Berlin unter Gijs Leenaars klingt ganz südlich gestimmt, makellos tönen diese Spätwerke, in denen der skeptische Katholik Verdi mal wieder mit seinem Gott hadert, die ritualisierten Texte neue zu befragen, skeptischer auszudeuten scheint. Ein dunkel glühendes Klangland tut sich hier auf, in dem einmal nicht die Zitronen blühen. Riccardo Chailly sei Dank.

Dessen bestens sich mit olivfarbener Haut und dunklen Krussellocken ins italophile Bild einpassender Konzertmeister war – anders als in der Programmheftbeilage angeben – übrigens ein Deutscher: der kurzfristig eingesprungene Raphael Christ, Sohn des ehemaligen Berliner Solobratscher Wolfram Christ, der gegenüber von seinem Vater bei Chailly auch am ersten Geigenpult im Lucerne Festival Orchestra sitzt.

 

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