Miranda ist ein Opfer. So jedenfalls eine radikal feministische Meinung zur einzigen Frau in William Shakespeares letztem Theaterstück „Der Sturm“. Des Magiers Prospero naives Töchterlein, von der man im Stück kaum etwas erfährt – einzig gehalten, so der Plan des Vaters, um mit seinem hier gestrandeten Neffen verheiratet zu werden und so die verfahrenen Familiendinge wieder ins Lot zu bringen. Heute darf das natürlich nicht mehr sein. Fanden jedenfalls die beiden Damen Cordelia Lynn (Librettistin) und Katie Mitchell (Regie). Und besannen sich auf eine alte theatralisches Vorgehensweise: das Pasticcio. Das wurde erfunden, um Komponisten zu erlauben, auf einen neuen Text alte Musiken neuerlich zu verwenden. So ist es jetzt mit „Miranda“ an der Pariser Opéra comique geschehen. Da stellte Raphaël Pichon mit und für seine Ensembles Pygmalion ein wunderfeines Flickwerk aus Henry-Purcell-Musiken zusammen. Wir befinden uns einige Jahre weiter in einer betonbrutalen Aussegnungshalle. Miranda hat sich umgebracht, Hinterbliebene haben sich versammelt: Prospero mit seiner zweiten Frau Anna, der Witwer Sebastian mit dem gemeinsamen Sohn Anthony, der Pfarrer, die Trauergemeinde.
Plötzlich bricht eine weiße Braut mit schwarzer Strumpfmaske herein: Miranda ist gar nicht tot, sie will die Lebenslügen der unglücklichen Ehe und des sie dominierenden Vaters aufzudecken. Man kann solches jetzt gut aber auch unnötig finden, als Spinn-Off-Fortsetzung ist es clever ausgedacht und vertont. Pichon sowie seine fantastischen Vokal- und Instrumentalensembles lassen uns in Tränen schwimmen. Mit Emphase singt Kate Lindsay Miranda. Katherine Watson als Prosperos Frau Anna begeht ebenfalls auf. Sohn Anthony (Aksel Rykkvin) weiß nicht, zu wem er halten soll. Gatte Ferdinand (Allan Clayton) erweist sich als traniger Waschlappen. Und Prospero? Der schnappt sich in Gestalt Henry Waddingtons den von Miranda gezückten Revolver und steht am Ende des vor dem Selbstmord. Katie Mitchell inszeniert das gnadenlos realistisch und zupackend, man erlebt aber auch Henry Purcell als unseren Affekten sehr nahen Seelenklangmaler. Mehr bald in Oper! Das Magazin.
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