Quantcast
Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
Viewing all articles
Browse latest Browse all 826

Mitreißendes Melomanen-Manna: Verdis „Don Carlos“ französisch und fast ungekürzt erstmals an der Opéra

$
0
0

„Justizia“ fordert Königin Elisabeth von Valois normalerweise in Italienisch, wenn sie bei ihrem Mann Philipp II. hereinstürmt, um sich über eine gestohlene Kassette zu beschweren. „Justice“ singt jetzt Sonya Yoncheva in der Pariser Opéra Bastille mit dem am schönsten majestätisch auftrumpfenden und dabei apart flackernden Sopran, den man sich nur vorstellen kann. Und damit tut die Opéra national als damals auftraggebende Institution 150 Jahre nach der Uraufführung endlich einem Meisterwerk Genüge, dass eigentlich erst nach dem zweiten Weltkrieg als ein solches in aller Repertoirebreite erkannt wurde: „Don Carlos“, Giuseppe Verdis schönster, tiefsinnigster, monumentalster, in jedem Fall längster Oper. Die bis heute freilich – aus Schlendrian und Bequemlichkeit gegenüber dem internationalen Sängermarkt – immer noch meist in der vom Komponisten selbst gekürzten vieraktigen italienischen Version von 1884 aufgeführt wird. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde „Don Carlos“, eben nicht „Don Carlo“,  erst durch die Claudio-Abbado-Aufnahme von 1985 mit lauter des französischen nicht mächtigen Stars bekannt. In Paris, wo man gern mit seinen selbst kreierten Grand Opéras brutal kürzend und entstellend verfuhr, wurde das Werk im Original seit der (bereits beschnittenen) Kreation erst 1996 am Théâtre du Châtelet wieder gezeigt. Damals war, bei der mit Antonio Pappano am Pult und Luc Bondy als Regisseur, sowie Karita Mattila, Roberto Alagna, Thomas Hampson, José van Dam und Waltraud Meier aufwartenden Produktion (die auf CD und DVD festgehalten ist), Stéphane  Lissner dort Intendant. So wie jetzt an der Opéra, wo mit den Rollendebüts von Yoncheva, Elina Garanca und erstmals auf Französisch auch Jonas Kaufmann und Ildar Abdrazakov (der gerade einen Deutsche-Grammophon-Vertrag bekommen hat), Manna für Melomanen in dieser besonders hoffnungslos ausverkauften It-Premiere des Opernherbstes gereicht wurde. Am Pult stand der Musikchef Philippe Jordan, es inszenierte der für abgründigen Psychologismus gern gebuchte Krzysztof Warlikowski. Man spielte die komplette Fassung, also bevor Verdi das obligatorische Ballett komponiert hatte und mit den ersten Schnittem in der Partitur startete, damit das damalige Publikum noch die letzten Vorortzüge erreichen konnte. Drei Stunden und 40 Minuten waren nun also zu hören, 4 Stunden und 5 Minuten sind es (mit der der „La Peregrina“-Einlage im dritten Akt) in der Wiener Fassung Peter Konwitschnys (ebenfalls als CD und DVD greifbar); das ist eine Stunde mehr als etwa in der Karajan-Aufnahme.

Nicht alles ist wirklich nötig. Etwa das vierte Finale, wenn der Mob nach dem Mord an Posa (und dem herrlichen, das Requiem-Lacrimosa vorahnen lassende Duett zwischen Carlos und Philipp) ins Gefängnis stürmt, ist in der gekürzten Fassung dramatisch konziser, aber etwa der kleine klerikale Gerichtschor im letzten Finale verstört noch stärker in seiner Unausweichlichkeit einer unheimlichen Macht, die marionettengleich alle an ihren Fäden führt, auch den eigentlich schwachen König Philipp. Darin geht Verdi in seiner Kirchenkritik weit über den idealistischen Schiller als Stofflieferanten hinaus, und ausgerechnet der Pole Warlikowski greift das dankend auf. Doch bei ihm, der dieses Jahr bereit seine vierte Inszenierung vorlegt (davon drei in den letzten drei Monaten!), ist auch nicht alles notwendig, obwohl im spannungsvolle Kurzschlüsse und Beziehungskisten gelangen.

Auf das permanente Videogegriesel, das Małgorzata Szczęśniaks bewährt viereckig halbhohen Einheitsraum als Schnee der Erinnerung wie einen alten Film überzieht, hätte man zum Beispiel gern verzichtet. Ein fröstelnd machender Saal ist das, auch Gefängnis, holzgetäfelt, in den sich mit rotem Schmuckgitter eine Art Beichtstuhl hineinschieben lässt, der sich auch als Turnraum für Fechtübungen entpuppt, in dem (geniale Idee) die Gärten von Aranjuez situiert sind. Zum Autodafé, das lange mit der zaudernden Privatheit des Königspaares vor einer halbtransparenten Schleiersofitte konterkariert wird, fährt eine Art Hörsaal herein. Des Königs Arbeitszimmer, wo dieser auch seine große Arie zu seiner schlafenden Geliebten Eboli hin singt, ist ein eleganter Heimkinosaal. Und könnte, so aktuell ist manchmal Oper, der Tatort für eine Harvey Weinstein sein. Carlos sitzt schließlich in einem Käfig, der ihm jeden körperlichen Kontakt zu Posa beschneidet. Den interpretiert Warlikowski sowieso als biederen Buchalter politischer Ränke. Was sicherlich der beschränkten darstellerischen Natur Ludovic Téziers entgegenkommt, der sich gleichwohl vokal mit elegantem Kavaliersbariton verströmt, von Jordan aber zu einem eiligen, gar nicht melodramatisch ausgekosteten Sterben angehalten wird.

Jonas Kaufmann steht zunächst mit offenbar nach einem Selbstmordversuch verbundenen Handgelenken an einer Waschschüssel, barfuss und mit Tennissweater, der ihn ein wenig so aussehen lässt, als hätt er bei seinem jüngsten Australien-Gastspiel zumindest einen Koala verschlungen. Seine Arie singt er mit nur noch gepressten, stumpfen Piani, später tönt er lauter, stählern und freier. Der deutsche Star ist gerade auch in dieser Rolle, wo er einst so anrührte, nun definiv kein Tenor der Süße mehr, sondern einer der virilen Kraft. Eine Kordel trennt ihn von der Volksmasse. Doch wer besichtigt hier wen oder steht hinter der Absperrung?

Die Traditionslast dieser zerschlissenen Monarchie, gleichzeitig aber die Wucht, mit der die Staatsräson immer noch die Menschen kujoniert, wird so sofort greifbar. Strange auch der Modellschimmel aus Fieberglas, vor dem als verschleierte Brautpuppe bereits Elisabeth positioniert ist. Immer wieder wechseln sich Videobilder eines Jünglings mit schreckensgeweiteten Augen, der sich zu erschießen im Begriff steht (so wie Carlos dann am Ende in Schmerzensmann kniet) ab mit denen eines irr starrenden älteren Mannes, der wie Goyas Saturn seinen Sohn frisst. Ist damit der König gemeint, der jenseits von Uniform und royalem Gepränge immer mehr die Kontrolle verliert? Mit gar nicht so dunklem Bassbariton liefert Ildar Abdrazakov eine präzise Charakterstudie über Härte und Schwäche, Verstocktheit und falsche Milde. Ihn hat der Großinquisitor im knallengen Knebelgriff. Dmitry Belosselskiy lässt sein Basserz dröhnen, er tritt ohne klerikale Insignien auf, in blauem Fantasiehabbit oder, noch nachhaltiger, im steingrauen Anzug als Felsen der Glaubenshärte.

Wie vorzüglich dieser „Don Carlos“ besetzt ist, zeigen auch die kleineren Rollen, der Page Thibault von Eve-Maud Hubeaux etwa, die bald in Lyon die Eboli singen wird, oder der ruhig und basssatt auftrumpfende Mönch von Krzysztof Baczyk der noch einen ordensbetressten Klapperkreis an seiner Seite hat: den legendären Kaiser Karl V. – oder was die Zeit von ihm übrig gelassen hat.

Im Graben waltet Philippe Jordan gelassen seines Klangdienstes. Nicht auftrumpfend, eher elegant, das schön aufspielende Orchester zu wirklich frankophilen Klängen, nur zart gewürzt mit Italianità anhaltend. Durch die andere Sprachdiktion wirkt die Partitur immer seltsam, aber interessant zwitterhaft, etwas mehr schwarze tinta, druckvoller gestaute Eruptionen hätten den Fluss aufgelockert. Erst im fünften Akt dringt aus dem Graben auch Wärme und starkes emotionales Beteiligtsein. Jordan entwirft dieser grandiose Partitur wie die Architektur eines Riesenreiches in dem die Opernsonne niemals untergeht.

Die mit Vokaljuwelen verzierten Kronen dieses hinreißenden Sängerabends gebühren aber den beiden Debütantinnen. Sonya Yoncheva, erst noch hinter einer Sonnenbrille wie im Kokon ihrer Kleider geschützt, wird als Elisabeth vom Heimchen zur Furie, ihren Wiederstreit der Gefühle legt sie wundervoll in ihrer weich flutende Stimme, die freilich einen scharfen Rand hat, so ihre Absichten konturiert, ihnen Feuer gibt. Dabei heißt die Dauerraucherin Eboli und sie durchmisst in der sehnigen, sinnlichen Gestalt von Elina Garanca die größte tragische Fallhöhe. Eingeführt wird sie mit ihrem frivol koloraturhüpfenden Schleierlied als lesbische, kinky abenteuerlustige Fechtuniformfetischistin, die die Gräfin Aremberg, die stumme Anstandsgeisha Elisabeths, neugierig begrabscht. Doch auch auf Carlos hat sie einen Crash, auf Philipp sowieso. Eine starke Frau, zerrieben von ihren Leidenschaften. Ihr „don fatal“ besingt sie Knie zeigend hinter seitlich fallendem Blondhaar mit Veronica-Lake-Appeal. Eine femme noire, in jeder Körperphase und jedem biegsam-kräftigen Ton. Doch Carlos schnappt ihr immer wieder die Königin weckt, bis zur Fasthochzeit händchenhaltend auf Kirchenbänken als Mutter und Sohn – ein Bild wie von Buñuel.

Ein toller, souverän die gelassen opulente Leistungsfähigkeit der Opéra de Paris vorführender Abend. Am Ende riesiger Jubel, aber auch wilde Buhs für Warlikowski, der mit seinem kahlen Königsgelass, das doch so fantasmagorisch und bisweilen surreal leuchtet, in dem sich ein bitter schmeckendes Beziehungsnetz mit lauter unfertigen, letztlich schwachen und egomanen Persönlichkeiten verspinnt und verknotet, so manchen Zuschauer verstört hat.

Der Beitrag Mitreißendes Melomanen-Manna: Verdis „Don Carlos“ französisch und fast ungekürzt erstmals an der Opéra erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 826