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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Juan Diego Flórez: „Bei Mozart muss man die Hosen runter lassen“

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Juan Diego Flórez hat sich eben ein langehegten Wunsch mit einem einzig Wolfgang Amadeus Mozart gewidmeten Album erfüllt. Das soll auch live Konsequenzen haben. Ich habe darüber mit dem 44-Jährigen peruanischen Tenor gesprochen.

Warum erst jetzt Mozart? Angst? Weil er am Schwersten ist?

Nein, nur der verpasste Zeitpunkt! Mozart singt man für gewöhnlich am Anfang einer Karriere mit dem Charme und der Naivität der Jugend, schließlich sind seine Bühnenfiguren meist auch Menschen in der frühen Blüte ihrer Jahre. Auch ich habe im Studium, vor allem in Peru, viel mit dieser Musik zu tun gehabt. Vor allem mit den Konzertarien. Daran soll auf der CD jetzt „Misero! O sogno“ erinnern.  Aber in den folgenden Jahren meines Karriereanfangs war ich in besonderem Maße mit den Jünglingen von Gioachino Rossini beschäftigt. Und immer wenn ich Mozart den Theatern anbieten wollte, dann schüttelten die Verantwortlichen den Kopf und meinten, Mozart-Tenöre haben wir die Menge, aber für Rossinis Kunststücke nur Sie. Also habe ich mich meinem wirklich schweren Los gefügt, und Mozart musste weiter warten. Auf CD gab es nur eine Jugendsünde, die Nebenrolle des Marzio unter Christophe Rousset bei der Decca. Das ist zwanzig Jahre her!

Und warum gerade jetzt?

Weil es höchste Zeit ist! Ich bin gerade dabei, das passiert ja sehr öffentlich, mein Repertoire umzustellen. Tschüss, zu einigen Rossini-Rollen, hallo, Meyerbeer und Massenet. Ich habe mir mit dem französischen Repertoire Zeit gelassen, denn diese Rollen liegen oft sehr in der Mittellage, freilich mit exponierten Tönen. Das hätte meine Stimme vor einigen Jahren noch allzu sehr ermüdet. Doch jetzt passt es. Und Mozart muss sein, schließlich habe ich alle großen Arien, sogar die deutschen der „Zauberflöte“ und der „Entführung“ regelmäßig in meinen Rezitalen gesungen. Ich liebe seine Musik sehr, finde sie aber auch zu singen sehr wichtig, ja heilsam. Hier ist nämlich eine ganz andere Art von Koloratur und Verzierung gefordert, da muss man viel mit dem Atem arbeiten, das geht nicht nur rauf und runter wie bei den Italienern, und das ist technisch mehr die Gestaltung der Charaktere eingebunden. Mozart ist einfach und exponiert zugleich, man ist sehr gefordert, muss sich stets kontrollieren. Mozart ist zudem immer gut, seine Technik zu überprüfen und möglicherweise nachzujustieren, man kann da nicht schummeln. Bei Mozart muss man immer die Hosen runter lassen! Wenn man das aber richtig singt, auch mit einem Belcanto-geschulten Legato, dann muss Don Ottavio kein blässlich gluckernder Schönling sein! Den würde ich gerne noch auf der Bühne singen, ebenfalls Tamino, eher nicht mehr Belmonte und Ferrando.

Also ein Mozart in den besten Mannesjahren?

Ja, so sehe ich es auch, ich möchte als reifer Sänger meine Ausdrucksmöglichkeiten erweitern und so sollen auch das Cover und die Booklet-Fotos verstanden werden. Sie sollen ehrlich sein, ich wollte mich nicht jung schminken, denn ich habe nichts zu verbergen. Mozart mit Lebens- und Singerfahrung also. Unbedingt auf der Bühne singen möchte ich übrigens den Idomeneo, das wäre dann meine erste Vaterrolle, auch den Titus kann ich mir gut vorstellen. Diese Verbindung von der barocken Seria-Oper mit einem neuen emotionalen wie individuellen, ja schon romantischen Zugang, das finde ich spannend. Auch liegen diese klassizistischen tiefer, sind das, was wir dann bei Rossini Baritenore nennen.

Anderseits weitern Sie aber doch auch noch Ihr Belcanto-Repertoire aus?

Bei Rossini gibt es nicht mehr so viel für zu entdecken. Nächsten Sommer kommt in Pesaro noch an der Seite von Pretty Yende, mit der ich in New York im „Conte Ory“ viel Spaß hatte, „Ricciardo e Zoraide“. Das ist vermutlich die letzte der großen neapolitanischen Rossini-Opern, die für mich noch in Frage kommen. „Armida“ interessiert mich nicht mehr und ob ich den Otello je singen werde? Immerhin war ich darin ja Rodrigo. Rossini ist in der jetzigen Phase meiner Karriere der Ausgleichsport. Noch geht es, ich habe die hohen Noten, kann meine Fitness und Kondition austesten. Dafür erweitert sich meine Donizetti-Galerie. Nach dem „Lucia“-Edgardo, der mir viel Freude gemacht hat, ist eben der Genardo in „Lucrezia Borgia“ in Salzburg dazugekommen, Roberto Devereux ist da nicht mehr weit. Der Alfredo in Verdis „La Traviata“ muss folgen. Und ich habe mir sogar schon den Pollione in „Norma“ angeschaut. Irgendwie hat mich Cecilia Bartoli mit ihrem sehr speziellen Zugang zu dieser Oper neugierig gemacht.

Aber auch im französischen Repertoire geht es weiter?

Werther ist definitiv eine Partie für mich, das fühlte sich konzertant in Paris und szenisch in Bologna wie Zürich sehr gut an, zumal mich die beiden Bühnenproduktionen auch darstellerisch sehr gefordert und durch ihre intelligenten, völlig unterschiedlichen Konzepte aus der Komfortzone gelotst haben. Vor allem Zürich war in allen Parametern ein Glücksfall, ich bin froh, dass wir das aufzeichnen konnten. Aber auch schon vorher habe ich mit dem Raoul in den Berliner „Hugenotten“ einen richtigen Weg beschritten. Das hat mir gerade auf der Bühne auch gezeigt, wie lyrisch man diese Rollen singen kann und muss. Man braucht freilich bei den heute großen und lauten Opernorchestern einen Dirigenten, der auf die Sänger einzugehen weiß. Was Michele Mariotti wunderbar kann, ohne dass er dabei unwichtig wird. Er zwingt zu einem besseren Hin- und Aufeinanderhören – und er hat das auch mit den Wagner- und Strauss-gewöhnten Orchester der Deutschen Oper fertig gebracht, sehr kultiviert und sensitiv. Deshalb freue ich mich schon, an der Wiener Staatsoper mit ihm und seiner Frau Olga Peretyatko den „Guillaume Tell“ wiederaufzunehmen.

Wie haben Sie hingegen jetzt bei Mozart Orchester und Dirigent ausgewählt?

Ich wollte, anders als bei Rossini, unbedingt mit historisch informierten Musikern mit 415 Hertz-Stimmung arbeiten. Das klingt so viel besser, die Balance mit der Sängerstimme ist harmonischer. Und La Scintilla sind mir von allen diesen Truppen am meisten vertraut, da sie sich aus Musikern des Zürcher Opernorchesters zusammensetzen können sie freilich auch das klangliche Idiom des Belcanto, das schwingt im Hintergrund immer mit. Und auch Riccardo Minasi beherrscht Mozarts Rhetorik souverän. Also konnte ich mich gut führen lassen.

Ist es für Sie leichter, jetzt auf Deutsch zu singen, wo Sie doch in Wien leben und mit einer Deutschen verheiratet sind?

Ja, obwohl ich mit Julia meist Englisch rede. Aber auch unsere Kinder sollen mehrsprachig aufwachsen, so soll man sich immer disziplinieren. Ich habe aber auch schon im Studium Operettenarien auf Deutsch gesungen, was mir in Dresden in der konzertanten, mit nur wenigen Proben auskommen müssenden Silvester-„Csardasfürstin“ sehr genützt hat, aber ich bewege mich da immer noch auf dünnem Eis…Doch es wird besser, auch weil ich künftig mehr in Wien auftreten, nicht mehr so viel reisen möchte. Und dann habe ich ja auch noch meine Stiftung in Peru, wo ich meist im Sommer bin, wenn ich nicht in meinem Haus in Pesaro bin.

Als nächste neue Partie folgt Offenbachs Hoffmann in Monte Carlo, richtig?

Ja, Ende Januar, wir diskutieren gerade noch die Fassung. Definitiv werden natürlich die Dapertutto-Arie und das Septett drin sein, schließlich wurden die ja einst an diesem Haus neu „erfunden“. Das wird schauspielerisch wie vokal spannend für mich, Ungekürzt ist das eine gewaltige Rolle geworden und man kommt kaum je von der Bühne. Und dann kommt wohl der Des Grieux in Massenets „Manon“, auch das – eine lange Oper. Von Gounods „Faust“ ganz zu schweigen…da braucht es Energie, zudem ein gehörige Portion Gefühl und Ausdruckskraft. Deshalb muss ich mir die Stimme flexibel, die Muskeln locker halten. Ich pusche nicht, wenn eine Rolle mir nicht liegt, lasse ich sie lieber. So wie der „Rigoletto“-Herzog nach meinem ersten Versuch in Dresden doch wieder einige Zeit ruhen musste. So habe ich das in 22 Jahren ohne Gesangslehrer gehalten. Wobei ich mein strengster Kritiker bin. Ich nehme alles auf und höre es konzentriert auf Fehler ab. Bisher hat das wunderbar funktioniert.

Juan Diego Flórez: Mozart (Sony Classical)

Mozart-Tournee: 2. November Zürich, 6. Berlin, 22. Wien, 5. April Hamburg, 7. Düsseldorf, 11. Frankfurt, 14. Hannover

Der Beitrag Juan Diego Flórez: „Bei Mozart muss man die Hosen runter lassen“ erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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