So langsam vollendet sich mein privater Verdi-Kanon. Die erste seiner Schiller-Opern, „I Masnadieri“, ist endlich dazugekommen. Danke, Wiener Volksoper! Wenn auch „nur“ als „Die Räuber“ in holzigem, gar nicht gereimten Deutsch. Selbst das Münchner Gärtnerplatztheater, wo ich es 2008 verpasst habe, spielte das krude Banden-Ding im Original. Jetzt fehlen nur noch der der fade Erstling „Oberto“, der so gut wie nie gespielte, weil grottenschlechte „Alzira“, die „Stiffelio“-Zweitfassung „Aroldo“ und die Erstfassung des „Somon Boccanegra“. Eher lässliche Lücken. Zumal auch schon Verdis zweite Schiller-Beschäftigung (nach „Giovanna d’Arco“), komponiert 1847, nach dem „Macbeth“ und vor der Pariser „I Lombardi“-Umarbeitung „Jérusalem“, für London einmal mehr offenbart, wie schwankend sein Qualitätsniveau während der arbeitsreichen Galeerenjahre vor dem „Rigoletto“ 1851 doch war. Da stehen Geniestreiche und melodiöse Meisterwerke neben Dutzendware. Wenig Inspiration verraten auch „I masnadieri“, wo die Handlung in vier Akten und acht Bildern von zwei Stunden Spieldauer so hurtig wie schematisch abgearbeitet wird. Musikalisch wie interpretatorisch ist in dem grobkörnigen Werk wenig zu holen.
Regisseur Alexander Schulin beschränkt sich deshalb auf einen immer wieder Gefühle wie eingefroren ausstellenden Al-Fresco-Tabelaux-Stil ohne in irgendwelchen psychologischen Details vorzudringen. In einer vorwiegenden schwarzweiß-Optik versucht er leidlich erfolgreich arrangiert ein Mischung aus Grand Guignol und deutschem Expressionismus-Stummfilm, auch nicht eben neu, aber funktionstüchtig. Bettina Meyer hat im dafür auf einen sonst weiße Bühne einen aufgebockt kreiselnden schwarzen Kasten mit einer schwarzen, vieltürigen, trichterförmigen Wohnhalle gebaut – das Schloss der Moors, das begehrt und verteidigt wird. Im Vorspiel mit der schönen Cello-Kantilene, die Roland Lindenthal auf der Bühne spielt, sitzen Karl, Franz und Amelia als Kinder in Rot von der Macht der Musik vereint da, dann streben sie auseinander. Möge das Hauen und Stecken, Intrigieren und Verfluchen, Lieben und Töten beginnen. Bettina Walters pittoresk verschlissene Kostüme schwanken dazu ideenreich zwischen Ancien Regime und Gothic Horror.
Gesungen wird, angefangen vom lauten Chor, direkt und ohne viel, schon bei Verdi nicht vorgesehene Zwischentöne. Vincent Schirrmacher als Karl offenbart einen belastbaren Gebrauchstenor, der einige hohe Töne umgeht, Boaz Daniel gibt die etwas gemütliche Canaille Franz mit ordentlich auftrumpfendem Bariton. David Sitka (Kammerdiener Hermann) und Christian Drescher (Roller) machen viel aus ihren kleinen Rollen. Zum 70. Geburtstag durfte Kurt Rydl mit altersgemäß ausfransendem, aber mächtig aufdrehendem Bass nicht nur den Grafen Maximilian, sondern als Geist auch noch den Pfarrer geben, der Franz in Wahnsinn und Tod treibt. In der koloraturenüberkrusteten, aber dankbaren Jenny-Lind-Rolle der Amelia ist Sofia Solviy ein verlässliches Zwitschervögerl. Und auch Jac van Steen im Graben mag es grobmotorisch, effektiv, nuancenfrei – aber mitreißend. So geraten diese Wiener „Räuber“ immerhin zu einem gut konsumierbaren Raritäten-Abend.
Der Beitrag Wiener Volksoper: Verdis „Räuber“ als sehenswerter Raritäten-Abend erschien zuerst auf Brugs Klassiker.