In den letzten Jahren wollte man Alban Bergs Büchner-Oper „Wozzeck“, die besser ist als die Stückvorlage (was sie wiederum mit Debussys „Pelléas et Mélisande“ gemein hat) gern in der Gegenwart sehen. William Kentridge hat ihn in Salzburg freilich in die Entstehungszeit gerückt und als traumatische Weltkriegsreminiszenz des Komponisten ausgelegt. Stirbt Wozzeck, dann brüllt der Krieg los, dann beginnt das Massensterben. Eine Proletarieroper aus dem Geist des Pickelhauben-Militarismus. Soldaten sind auch bei Robert Carsen präsent, der das jedes Mal wieder packende Werk jetzt im Theater an der Wien herausgebracht hat. Doch während die Alban Berg Stiftung im „Höllen“-Keller des Hauses eine intensive Ausstellung mit Berg auch in historischer Uniform zeigt, herrscht auf der Bühne Gegenwart und Überzeit. Sie ist leer, Wände mit je neun Ausgängen und entsprechend vielen Seilen für schnell neue Schauplätze freigebenden Brechtgardinen, mehr braucht es nicht für die drei mal fünf Szenen. Und wenn hier Wozzeck im Teich versinkt, dann tut er das zwischen Soldatenkörpern. Die erheben sich dann freilich alle zum Nachspiel in einer Art von Epiphanie. Nur ein Gewehr bleibt liegen – auf dem reitet das gänzlich verlassene Kind allein ins Nichts.
Karg und klar ist das, einfach und direkt aus den Personenkonstellationen entwickelt. Und alles im gleichen Tarn-Look. Selbst das Klavier im Wirtshaus ist so bemalt, und auch das Camouflage-Etui, das die Fixerin Marie für ihr Rauschgiftbesteck bereithält. Was schon der einzige Interpretationszusatz Carsens ist. Leo Hussain dirigiert eine entschlackte, gehärtete Neuorchestrierung von Eberhard Kloke mit eckig-kantigem Ansatz. Die Wiener Symphoniker verzichten auf jeden Fin-de-Siècle-Schmäh. Wiener Schule als konsequenter Expressionismus. Florian Boeschs erster Wozzeck ist ein Krafttier von einem Mann, doch mit verwundbarer Seele und leisen Tönen. Laut, aber beherrscht ist hingegen Lise Lindstroms Marie. John Daszak (Hauptmann), Stefan Cerny (Doktor) und Ales Briscein (Tambourmajor) sind wunderbar plastisch Typen mit sehr individuellen Tönen. Ende der Woche hat an der Düsseldorfer Rheinoper mit dem gleichen Werk Stefan Herheim Premiere. Mit Bo Skovhus, der sich auch die Wiener Premiere anschaute. Dann ein wenig mehr.
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