Vorsicht! Dieser Abend ist nur scheinbar harmlos. Er kommt pappsüß und sentimental daher und ist doch von einer unerwarteteten Boshaftigkeit und Schwärze. So wie eben das gemeine Wiener Gemüt, das hier ausdauernd und mit viel Schmäh besungen wird. Dabei hatte man anfangs durchaus Angst vor zu viel Restsüße, die einen anderntags mit schwerem Kopf aufwachen lassen würde. „Ohne di’ da geht’s halt net“, unter diesem Motto laden Ursli und Toni Pfister als besonders biedere Rebläuse zum Heurigen. Nur das Fräulein Schneider, das durfte diesmal nicht mit in die Grinzinger Buschenschank alias Berliner Stammbar jeder Vernunft. Dafür hat man sich als edelresche wie dialekttrittsichere Frau Wirtin Katja Brauneis engagiert, und Jo Roloff hat sein abgefeimt prächtig aufspielenden Musici zum Schrammelquintett aufgestockt und selbst wieder mal das Akkordeon hervorgeholt. Dazu prangen die Kulissenblätter in Knatschgrün, das Oachkatzerl springt, des Laterndl leuchtet und die ganze Welt ist so wienerwald-donau-so-blau-schön, dass er nicht zum Aushalten ist! Stützstrumpfkompatibel für die Generation Rollator und reif für die Seniorenheimtour, so kommt einem zunächst der Auftakt als eine Art Spin-Off des legendären „Weißen Rössl“ an eben diesem Ort vor, wenn Ursli und Toni anfangs als das Ehepaar Czapek zum monatlichen Heurigen-Exzess hereingewatschelt kommen. Einziger Bruch: Ursli (Christoph Marti) hat über den Fatsuit wieder ein blassblaues Frauenkleid an, schlenkert die weiße Handtasche und trägt Perlenkette unter dem Waltraud-Haas-helmartigen Kurzblondhaar. Und Toni (Tobias Bonn) wurde ebenfalls ausgestopft, doch kleiden ihn Karoanzug und Ton-in-Ton-Krawatte wie -Einstecktücherl zu grauen Schläfen und Glasbausteinbrille ganz ungemein.
Hilde (1921-93) und Richard Czapek (1913-97) gab es wirklich, sie waren nicht berühmte, aber bekannte Wienerlied-Sänger, er auch Komponist. An diesem Abend ist von dem auch äußerlich akribisch nach alten Plattencovern gestalteten Paar, das wie harmlose Pensionisten in Besäusellaune daherkommt, auch einiges an eigenen Werken zu hören: „A klaner Beserlpark da drauß’n in Hernals“, „Einmal im Monat da pfeif i auf Jazz“, „Alt Ottakring“, „I hab ka Ahnengalerie“, „Lass ma’s Radl renna“. Doch so wie in den Fünfziger- bis Siebzigerjahren als Höhepunkt und wohlmöglich populärem Endpunkt des Wiener Lieds eine ewig heilige Reblaus-Welt aus Wien und Weib und Wein und Gesang beschworen wurde, gipfelnd in der berüchtigten G’miatlichkeit, so wird deutlich, dass diese Utopie eine längst schal gewordene ist. Die Pfisters sind einmal mehr mit Songs florettfechtende Soziologen der Spießigkeit. Das aber famos, mit Witz und Charme.
Man ist zugleich angewidert wie fasziniert von diesen mit viel Tremolo herausgedrückten Medleys über die Wiener Vorstadt von Ober St. Veit über Hernals, Lerchenfeld und Nussdorf oder über das Große Wiener Sterben. Und im zweiten Teil, wenn die beiden quasi im Rollen und Kleidertausch noch eine Lehrstunde in Grinzinger Genderstudies liefern, der Toni sein frisches Jodeldiplom mit hellem Dullijö vorführt, Ursli sich in der Mundart verrennt und alleingelassen in Promille-Trübsinn versinkt, dann wird klar, dass diese Kampftrinken und Liederabsingen nur die Flucht vor dem Tod ist.
Der kommt aber sicher – in Gestalt der präzise im mephistoschwarzen Kostüm assistierenden Frau Wirtin. Hier ist der Blaue Bock eine schöne Weaner Leich’, die ganz wunderbar die Schmäh-Kurve kriegt. „Und vergesst’s man net auf Weanerlied“ wie „Das war für heut das letzte Schluckerl“, das wirkt als Finale dann fast schon wie ein letzter Sangesgruß aus dem Totenreich. Denn wie raunzte schon Helmut Qualtinger als der Erzfeind dieser katzengoldenen Heileweilt: „Wenn der Wiener an Schas lost, macht der Herrgott schön’s Wetter und die Engerl, die schnuppern dazu, denn es gibt nix so Resches, so gemütliches Fesches, wie den goldenen Wiener Schas.“ Na dann Prosit! Und noch a Achterl Kellergassler, Frau Wirtin!
Bar jeder Vernunft, Bis zum 19. November
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