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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Toulon: Olivier Py zeigt in Hervés „Mam’zelle Nitouche“ sogar Gummibusen

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Oh, là, là, jetzt ist es also raus: Olivier Py, einer der bekanntesten französischen Regisseure und Leiter des altehrwürdigen Festival d’Avignon, führt eine zweite Existenz als Transe! Als ob wir uns das nicht schon längst gedacht hätten, bei der Frequenz an Drag Queens in seinen diversen Inszenierungen, aber für die Opernklientel war das sicher neu. Enthüllt wurde das jetzt eben an der Opéra de Toulon, wo Py als Loriot offiziell nur den Dritten-Akt-Komiker in Hervés „Mam’zelle Nitouche“ gab, einer der berühmtesten französischen Operetten, durchaus mit Kult-Status. In diesem „Fräulein Rührmichnichtan“, was natürlich nur bigott gemeint ist, geht  es freilich sehr handfest zu. Und ein paar Tage bevor er in Berlin an der Deutschen Oper mit den Proben für „Le Prophète“ (Premiere 26. November) im Rahmen des dort voranschreitenden Meyerbeer-Projekts startete, spielte Py noch in dieser schrillen, schrägen, vor allem temporeichen Inszenierung seines ständigen Bühnenbildners Pierre-André Weitz. Und zwar nicht nur den dusseligen Brigardier im Ballettröckchen, sondern auch noch die hochgeschlossene, aber gut bestückte Mutter Oberin in der Klosterschule (die durchaus an all die lockeren Louis-de-Funès-Nonnen erinnert) und später die mit großem Gummibusen prunkende Primadonna. Die wurden freilich von „Miss Knife“ gegeben, Pys Stöckelschuh-Pseudonym, unter dem sich auch diverse Youtube-Clips finden lassen.

Fotos: Frédéric Stéphan

Die nun heftig in Frankreich von Nantes über Limoges und Rouen bis – vorerst – Montpellier tourende „Mam’zelle Nitouche“-Produktion war der zweite Streich in der von der Stiftung Palazzetto Bru Zane vorangetriebenen Hervé-Operetten-Renaissance. Während man auch Projekte um Offenbach oder Charles Lecocq fördert, ist das Werk des als Louis Auguste Florimond Ronger geborene Hervé (1825-92) ein besonderer Herzensangelegenheit des Leiters Alexandre Dratwicki. Und so versammelte sich jetzt am Mittelmeer mehr oder weniger die gleiche Crew, die bereits Hervés „Les Chevaliers de la Table ronde“ vor zwei Jahren zu einer weitgereisten Ritter-Comedy-Klamotten-Bühnenwiederbelebung verholfen hat. Und auch diesmal ist eine Best-Of-CD bis Ende des Jahres geplant.

Außerhalb Frankreich wird die 1883 komponierte „Mam’zelle Nitouche“ vor allem in Osteuropa gern gespielt und sie wurde auch mehrfach verfilmt – kurioserweise sogar 1931 in Deutschland; in Frankreich mit Fernandel und der James-Dean-Verlobten Pier Angeli. Für das sentimental-verruchte Werk um ein nur vorgeblich unbescholtenes Mädchens, dass mit Hilfe seines Musiklehrers (ein deutliches Selbstporträt Hervés) nach ein paar harmlosen Verwirrungen im Theater samt Umweg in die Kaserne seine wahre Liebe findet, setzt  der natürlich auch als Ausstatter fungierende Weitz wieder auf entfesselte Aktion und Geschwindigkeit. Hier muss jeder im bestens aufgelegten Ensemble gleichzeitig singen, spielen und tanzen (was besonders die charmante Lara Neumann in der Titelrolle sehr kokottig-kokett vorführt). Dazu dreht sich die Drehbühne vom Bahnhof zum Bistrot, und die Türschilder rotieren vom Refektorium zum Rekrutenschlafsaal. Rote Vorhänge flattern, Glühbirnen blinken, und sogar eine Heilige schreitet als Revue-Madonna einher. Die Froufrous rascheln tricolorefarben, wie überhaupt das ganze flotte Nichts sehr patriotisch daherkommt – als „Opéra revolutionnaire“ preist es schon irreführend, das mit der Marianne aufwartende Bühnenplakat an. Strohhut und Kokarde trägt das Einlasspersonal, und ein Weißclown dreht im Foyer die Orgel.

Aber hier ist nichts wie es scheint, es geht nur, wunderbar animiert von der mal lyrisch feinen, mal mit viel Tschingderassabum daherkommenden Partitur, die Jean-Pierre Haeck  mit Schmackes dirigiert, um den Spaß am musikalischen Blödsinn. So frivol wie zungenbrecherisch sind die Reime Henri Meilhacs (der auch für „Carmen“ und alle großen Offenbach–Operetten verantwortlich zeichnet), die mit einem großen Wortanteil das nach dem Siebzigerkrieg ausstatterisch etwas abgespeckte Genre als opérette-vaudeville ausweist: flotter, wendiger, freizügiger, mit kurzen Couplets, keinen großen Finali. Was hier voll ausgespielt wird. Music Hall und Café-concert werden beschworen, ein janusköpfiges Wesen aus Cancan-Tänzerin und Soldat führt schon am Anfang den doppelten Boden von Stück und Inszenierung vor. So wie schon auf dem Theatervorhang à la Delacroix die Gewehre durch Blumensträuße ersetzt sind. Intelligente Klamotte, wie schwer ist das doch! Und wie leicht funktioniert es hier, wo der Regisseur, auch noch lustvoll als Theaterdirektor-Knallcharge im Stück auftaucht…

Der Beitrag Toulon: Olivier Py zeigt in Hervés „Mam’zelle Nitouche“ sogar Gummibusen erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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