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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Gewandhaus-Jubiläumstour III: Mit Salonen und Strawinsky in Paris

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Nein, keine Panik, Herbert Blomstedt geht es gut und er ist bereits mit dem Auto an den nächsten Tourneespielort Luxemburg vorausgefahren. So kann er sich angenehm ausruhen, bevor einen Tag später das nächste Gewandhausorchesterkonzert ansteht. Aber die restlichen 130 Mitwirkenden haben heute frei  – stimmt nicht, es tönt es schon wieder, fleißig, fleißig, geigerisch hinter Hoteltüren!). Und ich  – danke, danke an die terminlich perfekt ineinandergreifende Tourneeplanung – verbringe nicht nur den immer sonniger werdenden Tag zwischen Louvre (eine wunderfeine Renaissance-Ausstellung über Franz I. und den Einfluss niederländischer Künstler auf den französischen Hof) und Musée des Arts decoratives (eine als Eigenwerbung grandiose, bereits fünfjährige Mädchen als künftige Parfüm- und Sonnenbrillen-Kundinnen ködernde – mehr können sie sich auch in Zukunft nicht leisten –, grauenvoll überfüllte und noch schlimmer überheizte Schau über das Haute-Couture-Haus Dior) sowie mit stets unterhaltsamen Begegnungen mit den Spitzen der Pariser Opéra (Chefdirigent, Castingchef, Intendant) in der Bastille-Oper wie dem Palais Garnier. Der Tag wird gekrönt von einer wirklich spannungsvollen Ballettpremiere, die man als wunderbar passgenaues, die Ohren freifegendes Gegenstück zu Blomstedt, Leipzig und einer schöne Überfülle an selbst uraufgeführter Klassik bis Spätromantik sehen kann: Esa-Pekka Salonen dirigiert das ihm längst vertraute, unter Philippe Jordan um so vieles besser gewordene Opernorchester in einer tänzerisch brillanten Tripple Bill aus zweimal Strawinsky, mal choreografiert von Balanchine, mal von Bausch, die eine Uraufführung von Saburo Teshigawara zu  Salonens Violinkonzert umrahmen. Sehr gut getaktet!

Auch die neue Directrice Aurélie Dupont weiß, was sie dieser ehrwürdigen Institution an Qualitätsniveau schuldig ist. Schließlich ist hier das Ballett älter als die Oper. Und bis heute stilbildend. Durch Technik, Truppe und Repertoire. Die ehemalige Étoile-Tänzerin kennt ihr Stammhaus halt aus dem Effeff. Ihr ist auch bekannt, das gerade zeitgenössischer Tanz im Kontrast zu den Goldinkrustierungen und dem Plüsch des Palais Garnier besonders wirkungsvoll kontrastieren. Wie an diesem schnittigen Abend.

Fotos: Agathe Poupeney/Opéra national de Paris

Als einziges Truppe weltweit tanzt das Ballet de l’Opéra de Paris nun sein zwanzig Jahren den „Sacre“, der ja auch ein Wuppertaler Signaturstück ist. Die 32 Akteure plus die hingebungsvolle Eleonora Abbagnato als Auserwählte im roten Unterkleid haben ihn wirklich in der DNA, interpretieren ihn aber mit ihrem perfekt klassischen Können und ihrer Grazie, gepaart mit Kraft und Erdhaftigkeit inzwischen vielleicht noch besser als die Urtruppe – zumal wenn sie aus dem Graben so feinfühlig aufpeitschend wie zartstimmig begleitet werden. Und es ist jedes Mal wieder ein Schauspiel für sich, in der Pause bei offenen Vorhang den Bühnenarbeitern zuzusehen, wie sie aus neun Müllcontainern den heidnischen Russentorf (andere Zusammensetzung als in Wuppertal) auf das Bodentuch kippen und kunstvoll verteilen. Wofür es gern akzeptierten Extraapplaus gibt.

Bei Balanchines „Agon“, immerhin von 1957 und eine witzig, ostentativlangsame Abkehr von der Klassik zu Strawinskys splissig-spröder Musik, wurden wieder einmal die direkten Linien deutlich, die zu William Forsythes produktiver Weiterdeutung führen: Der Körper wird noch mehr verbogen, die Pose weit mehr in Frage gestellt. Und doch ist bei beiden Choreografen immer die Liebe zu Petipa zu spüren.Und bei den acht Solisten plus vier Gruppentänzerinnen souverän-schmiegsames Können.

Eher an Marco Goeckes fliegende Hände erinnert hingegen der Anfang von Saburo Teshigawaras Novität „Grand Miroir“, das sich auf ein Baudelaire-Gedicht bezieht. Solange Esa-Pekka Salonen in seinem von Akiko Suwanai makellos mit leuchtendem Ton vorgetragenen Violin Concerto es hektisch minimalistisch vielstimmig schwirren und wirren lässt, geht das so weiter. Der Mann in grauer Unterwäsche des Beginns wird freilich von neun weiteren, ähnlich gekleideten Tänzern, vier Herren und fünf Damen, ergänzt und abgelöst; deren nackte Haut ist allerdings monochrom bunt bemalt: Es gibt den roten Mann und die orange Frau, Blau, Froschgrün, Gelb, Lila – alles da. Im Licht von oben, das ein Viereck auf den Boden stanzt, mal hinten mit einer weißen Platte abgeschlossen wird oder einen schwarzen Kreis ausspart, sehen sie aus wie Marsmenschen, bewegen sich solipsistisch kreiselnd und laufen wie in Trance. Sie werden langsamer, wenn die Musik ihr Tempo drosselt, stärker dräut. Das ist dicht und spannend anzusehen. Immer dunkler wird es, dann ist es plötzlich vorbei, so wie auch die Klänge verfliegen. Und ein wenig Sehnsucht nach Schubert kommt schon auf! Morgen wieder – und dann mehr davon. Doch vorher wartete in der Rotonde de Glace ein immerhin von Fauchon gecaterter Champagnerempfang. Voilá, les Français!

Der Beitrag Gewandhaus-Jubiläumstour III: Mit Salonen und Strawinsky in Paris erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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