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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Gewandhaus-Jubiläumstour VII: Blomstedt mit Brahms und Schubert in Wien

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Schon beim Hotelfrühstück sind plötzlich Kinder dabei, ebenfalls nachmittags bei der Proben im goldenen Musikvereinsaal. Das Leipziger Gewandhausorchester scheint plötzlich auf Familienausflug, nicht mehr auf Tournee. Dabei gilt es jetzt hier, vier Konzert im Herzen der Klassik, selbst Riccardo Muti und Mariss Jansons treiben hier ihre Orchester zu Höchstleistungen an. Das Wiener Publikum ist so vieles gewöhnt, so verwöhnt. Angespannt wirkt Herbert Blomstedt nicht, aber er mahnt seine Musiker: „Das ist ein gefährlicher Saal, Geben Sie nicht zu viel, hören Sie genau.“ Besonders wenn er leer ist, die Karyatiden zu scheppern scheinen, wenn es richtig laut wird. Nachher, wenn der menschliche Dämmstoff ihn füllt, ist er ganz anders, nicht zahm, aber zumindest domestizierbar. Und: vorne ist er hui und imperial verschwenderisch ausgestattet, hinten nicht pfui, aber doch besch….eiden im Seventies-Linoleum-Look. Hier zuzelt der Kenner bei einem besonders feinen Diminuendo-Übergang genießerisch mit der Zunge, hier brandet der Applaus besonders heftig, hier sind vor dem leichter erreichbaren (wenn man es weiß) Künstlerzimmer die Bewundererschlangen länger und die Worte schmeichelhafter. Aber auch nicht unbedingt für bare Münze zu nehmen…

Beim Lob für Leonidas Kavakos schon, der spielte das Brahms-Konzert, das seit dem letzten gemeinsamen Leipziger Auftritt drei Wochen gelegen hat, mit ruhiger, doch spannungsvoller Nonchalance, mit konzentriertem Klang und breitem Strich, durchaus vibratosatt. Nobel, anrührend, nachdenklich, doch im Grundduktus freudig erregt. Viiiiel langsamer freilich als kürzlich in Berlin unter Riccardo Chailly mit dem Scala-Orchester. Und als Zugabe gab es wieder die Sarabande aus der 2. Partita BWV 1004, schnörkellos, linienfein, mit einem zauberisch verschwebenden Schlusston. Kurz bevor er hinaus in den Saal gegangen ist, hat er Hebert Blomstedt noch erzählt, dass seine neue, erst im Juni erworbene Stradivari „Willemotte“, benannt nach einem Sammler, von dem legendären Geigenbauer mit Neunzig, drei Jahre vor seinem Tod angefertigt worden sei. „Und Neunzig war damals was völlig anderes als heute“, sagte der gleichaltrige Blomstedt nachdenklich nur, „zum Glück muss ich nicht schnitzen.“ Und begab sich frohen Mutes, fast entspannt, in die Höhle des Musikvereinslöwen.

„Hier lauscht auch Alles, als ob ein himmlischer Gast im Orchester herumschliche“, so heißt es bei Robert Schumann über einen Hörnerruf in Schuberts Großer C-Dur-Sinfonie. Hier war auch das Auditorium ganz Ohr, sogar die vollen, kantig-kontrastintensiven, stetig neu ansetzenden 65 Minuten lang. Die 16er-Besetzung schien noch im Andante an die Saalgrenzen zu stoßen, an der Seite ist hier halt gar kein Platz, das Orchester flutet akustisch über das Parkett hinweg. Doch schon das Andante con moto klang gefasster, und beim Scherzo war wieder die graziöse Leichtigkeit der anderen Konzerte da. Das entfaltete sich einfach, ging immer so weiter. Und war doch irgendwann vorbei. Noch mehr hörte sich das Orchester zu, ohne Verspannung, ohne Krampf. Herbert Blomstedt hat wirklich Masseurqualitäten, göttlich kreative freilich, die Musik strömte einfach so, man ist entspannt, geistig durchgesprudelt, möchte mehr. Der Saal war entzückt. Wien wurde wieder erobert, das steht jetzt schon fest.

Im Künstlerzimmer zeigte Leonidas Kavakos stolz, was er gerade vom ehemaligen Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg zum heutigen 50. Geburtstag geschenkt bekommen hate: ein goldenes Schüsselchen in weißer Dose zum 100. Donauwalzer-Jubiläum. Das war 1967, dem Geburtsjahr des Griechen. Im Musikverein wird nichts vergessen und alles aufgehoben. Nur die Schubert-Sinfonie, die wollte man dann doch nicht spielen, überließ sie den Leipzigern. Die sich ihr jetzt wieder einmal als würdig erwiesen haben. In kleinstem Kreis ging es nun zu Wiener Schnitzel und Kalbsbutterschnitzel, denn in das Jubelfest des so bescheidenen Geigerstars musste natürlich mit Schampus und Wunderkerze hineingefeiert werden. Aber nur ganz wenig, denn gleich steht ja schon wieder das Tripelkonzert auf dem Programm. Morgen letztmalig mehr!

Der Beitrag Gewandhaus-Jubiläumstour VII: Blomstedt mit Brahms und Schubert in Wien erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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