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Channel: Manuel Brug – Brugs Klassiker
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Gewandhaus-Jubiläumstour VIII: Blomstedt mit Beethoven und Bruckner in Wien

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Die Tournee-Ruhe mit sechs komfortablen Tagen im selben Wiener Hotel täuscht. Auch wenn so mancher Gewandhausorchester-Musikus jetzt sogar zwei Tage spielfrei hat, er könnte abends noch eingeteilt werden falls ein Kollege kurzfristig erkrankt, hat zu üben für die nächsten Konzerte, Operndienste, Thomaskirche-Kantaten. Der für den Asien-Teil unabdingbare Arzt ist inzwischen auch aus Leipzig eingetroffen. Das sowie klein gehaltene Tourmanagement führt seinen Büroalltag via Internet fort, gerade muss auch das Freundschaftsfußballspiel mit den Wiener Symphonikern organisiert werden. Denn die Philharmoniker als präferierter Gegner sind auf China-Tournee – mit Andris Nelsons, trotzdem geht an der Donau das Opern- und Ballettleben weiter. Nelsons bleibt übrigens gleich in Asien, ein Japantrip mit seinem Boston Symphony Orchestra schließlich sich an. Am 9. November überlappen sich beide Orchester in Tokio, kostbare Zeit für Gewandhausdirektor Andreas Schulz, sich dort mit dem Kollegen aus Massachusetts und dem 21. Gewandhauskapellmeister zu treffen und sich im Angesicht auszutauschen. Auch zum Klassik Underground-Event werden einige USA-Kollegen dazustoßen. Der 19. Gewandhauskapellmeister hingegen, Herbert Blomstedt, hat ausgeschlafen und bereits seine Partituren für Januarkonzerte studiert, wie er mir beim Mittagessen erzählt.

Wir sitzen bei einem Musikeritaliener mit dem bedeutungssatten Namen „Salieri“; doch hier wird niemand vergiftet, höchstens mit Knoblauch. Dozenten und Studenten vom nahegelegenen Konservatorium bevölkern den Souterrainraum, Martin Haselböck kommt auf ein Hallo vorbei, der Vegetarier Blomstedt verspeist mit gutem Appetit Tomatensuppe und Gemüserisotto. Dazu gibt es wie stets nur Wasser, auf Tee verzichtet er. Nachmittags folgt ein Schläfchen, „für die Raffael-Ausstellung habe ich leider keine Zeit“, denn abends steht im Musikverein das längste aller Programme an, Beethovens Tripelkonzert, gefolgt von Bruckners 7. Sinfonie. Mit Pause über zweieinhalb Stunden. Er freut sich schon. Da ist jemand völlig mit sich in der Balance, ruft nonchalant seine unzählige Male gespielten Stücke ab, die er jedes Mal wieder genau analysiert, und dirigiert sie ohne sich und uns zu langweilen.

„Ich genieße nur noch“, sagt Blomstedt versonnen lächelnd. „Wobei ich trotzdem immer bei der ersten Probe beklommen bin, ob ich den etwas mitzuteilen habe In den Konzerten aber, da bin ich nie nervös, da muss ich nichts mehr beweisen. Da gebe ich nur.“ Man glaubt es nicht, da reist ein Neunzigjähriger topfit um die Welt, jetzt nach Asien, im Februar, wie stets, nach Amerika, um diverse Topklangkörper zu beglücken: San Francisco, Cleveland, Boston, Philadelphia, Chicago. Und davor sind es auch noch einmal 14 Konzerte in Berlin, Dresden, München Oslo, Hamburg, Lübeck, Paris. „Das hört sich nach mehr an als es ist“, erklärt er abwiegelnd, „ich achte auf Ruhezeiten. Aber ich habe da zum Beispiel einen Mozartschwerpunkt mit zwei Klavierkonzerten und vier Sinfonien vor, das ist für mich wie ein Geschenk. Ich würde auch gern noch mehr Haydn aufführen, habe das zum Beispiel für den Sommer in Tanglewood für die Studenten vorgeschlagen. Aber dort wollen alle von mir die großen Werke, um sich daran zu messen und um möglichst viele Musiker zu beschäftigen. Also wird es wohl wieder Bruckner sein.“

Herbert Blomstedts Kalender reicht bis 2020 („wollen mal sehen“, kommentiert es das schüchtern), auch mit Wilhelm Stenhammar und Mahler will er sich jetzt, nach dem Neunzigsten, nochmal beschäftigen. Eine Komfortzone kennt er nicht, also muss er sie auch nicht verlassen. Er hat sich nie gefragt, wie lange es weitergeht. Musikmachen ist seine Berufung, da ist er mit Gott im Reinen. Und eine Sinfonie zu dirigieren, das ist für ihn aktiver Glaubensdienst, den schönsten, den er sich vorstellen kann. Plötzlich ist man thematisch mit ihm tief in Fünfzigern, bei Charles Munch und seinen Anfängen beim generösen Bernstein, der nichts sachlich vermitteln konnte „aber unbedingt den Geist der Musik atmete“. Der sybaritische Bernstein und der asketische Blomstedt, da wäre man gern dabei gewesen.

Abends vor dem Konzert herrscht im Musikverein wieder das typische Backstage-Gewusel. Bei der Anspielprobe haben die Bläser für den nunmehr 50-jährigen, aber keineswegs erwachsener klingenden Leonidas Kavakos ein Geburstagsständchen intoniert. Hinter dem goldenen Saal, der auch viel enger, beinpeinigender  ist als im Fernsehen, schieben sich jetzt, unmittelbar vor dem Konzert, alle durch ein nüchtern-zweckmäßiges, abgewohntes Labyrinth von Stiegen und Gelassen. Unten im Keller, schlüpfen gerade die stetig wechselnden anonymen Mitwirkenden des Wiener Mozart Orchesters in ihre kreischbunten Fräcke und Rokokoperücken, mit denen sie gleich, wie noch fünfmal die Woche, im Brahmssaal den Touristen die Köchelverzeichnis-Nummern im Akkord um die Ohren blasen und fiedeln, während oben die  Spitzenmusiker am andern Ende der Verdienstpyramide zwischen dem Logenpublikum auf ihren Auftritt hin zum Podium warten müssen: dort, wo die Bretter abgewetzt sind, die Gitter und ausgeleierten Begrenzungen wackeln, trotzdem mit schweren, altmodischen Notenständern hantiert wird, sich alles drangvoll übereinaderstapelt, die Celli nur in zwei Reihen Platz haben, das Publikum ihnen seitlich vorn über und selbst hinter ihnen auf den Pelz rückt. Zwei Welten, im härtesten Kontrast.Zu hören ist dann draußen sowieso nur eingeschränkt, für die zahlend Gequetschte, wie für die Spieler, die anders als die Hausorchester auf Verdacht und ohne beständige Praxis zusammenfinden müssen. Empfehlenswert ist es in diesem Saal eigentlich für das Publikum erst ab der 11. Reihe. Oder man lauscht links von der Dirigentenauftrittstür in der „Loge“ der legendären Margarethe Gruder-Guntram, der 1995 schließlich 87-jährig gestorbenen Musikvereinsdirektorin, die hier, hinter einer inzwischen ehrenhalber beschilderten Tür  nebst telefon durch ein Gucktürchen zwischen Musikerfüßen den Dirigenten fest im herrischen Blick hatte. Ja, das Musikvereinsgebäude ist auch eine geschäftige Klangfabrik, mit nur wenig Subvention muss das Haus geldwertig und ohne Unterlass am Summen und Brummen gehalten werden.

Seit 31 Jahren macht das nun als dienstältester Direktor Thomas Angyan, er hat aber noch die Zeit, bevor er hinterher zum Geburtstagsdinner für Kavakos bittet, mir noch einmal die genaue Genese des auch jetzt von der wieder aus Paris und Berlin komplettierten, bewährten Beethoven-Boy-Band mit Bravour bewältigtem Tripelkonzerts zu erklären: Erst wurde es hier beim Fürsten Lobkowitz im Festsaal (heute Theatermuseum) in geschlossener Gesellschaft vorgestellt, dann in Leipzig uraufgeführt und einen Monat später wieder in Wien nachgespielt. Also, mögen beide Städte damit so glücklich werden wie eben wieder das Wiener Publikum!

Steigerung ist möglich – mit Bruckner. Noch einmal kantet Herbert Blomstedt los, quadriert, tippt an oder wartet einfach nur ab, fast 70 Minuten lang. Faszinierend in der Nahsicht, wie das Orchester immer stärker klanglich anschwillt, und wie diese massive Tonwand etwa nach dem Scherzo, ganz fein und schnell verpufft. Das ist edle Größe und gar nicht stille Einfalt. Das Wechselspiel von Wagnertuben und Hörnern im zweiten Satz, ihre kontrollierten Entladungen (ohne den sanktionierten Beckenschlag bei der letzten Themensteigerung) hinter dem Streicherschutzschild, das auch die Holzbläser so mühelos elegant, doch nachdrücklich überwinden, aus der Seitennahsicht wird das körperliche Arbeiten überdeutlich, die göttlich anmutenden Musikmischung wirkt sehr erdhaft. Und trotzdem: Unter Blomstedt bleibt es ein feinfühliger, ganz natürlicher Mix aus Steigerungen, Übergängen, Sphärenwechseln.

Touristenhände (vermuten wir zu Gunsten der Wiener) wollten nicht warten, bis das Klatschsignal gegeben war; auch am Abend vorher blökte ein japanisches Hände im Schubert los. Was tut’s? Der Beifall war groß und lang. Herbert Blomstedt war zufrieden, mir hat er noch ein klangkonserviertes Abschiedspräsent zukommen lassen, und auf Kaiserart bleibt nur noch zu sagen: Liebes Gewandhausorchester, es war wieder sehr schön, es hat mich sehr gefreut. Bis zum nächsten Mal, viel Spaß in Ungarn und Asien!

Der Beitrag Gewandhaus-Jubiläumstour VIII: Blomstedt mit Beethoven und Bruckner in Wien erschien zuerst auf Brugs Klassiker.


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